Einführung zum Konzert des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 1. Oktober 2021


Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 6, F-Dur, op. 68

Ludwig van Beethoven
Ludwig van Beethoven (* 1770 in Bonn; † 1827 in Wien)

Drei Förderer fand Beethoven während seines ersten Aufenthaltes in Wien: Die Fürsten Joseph Lobkowitz, Gottfried van Swieten und Karl Lichnowsky. Den dreien widmete er zahlreiche Werke. Seine 3. Symphonie „Eroica“ hatte er bereits 1802 komponiert, hielt sie aber zurück, um sie im Fall einer Übersiedlung nach Paris Napoleon Bonaparte zu widmen. Denn ihn störte – ungeachtet der mäzenatischen Privilegien, die ihm der Wiener Adel gewährte – die feudale Enge Wiens. „Lumpen gibts in der Kaiserlichen stadt wie am Kaiserlichen hof“ und „so lange der österreicher noch Braun’s Bier und würstel hat, revoltirt er nicht“ schrieb er in einem Brief. Napoleon war der Attraktionspunkt für Beethovens Übersiedlungspläne, doch dessen Ausrufung zum Kaiser im Mai 1804 lösten einen berühmt gewordenen Wutausbruch Beethovens aus, dem das Titelblatt der Eroica zum Opfer fiel. Ferdinand Ries, ein Schüler Beethovens, berichtet von dem Ausspruch Beethovens, nun werde auch Napoleon nur noch „alle Menschenrechte mit Füßen treten und ein Tyrann werden“. Nach dieser Erfahrung sah sich Beethoven nur noch als potenzieller Parisbesucher.
 Das Ereignis führte weiter zu dem Zerwürfnis mit seinem großen Förderer Karl Lichnowsky, der ihm 1800 ein Jahresgehalt von 600 Gulden als Grundlage für eine unabhängige künstlerische Existenz zahlte. Die Spannungen eskalierten im Herbst 1806 bei einem Aufenthalt Beethovens auf Schloss Grätz bei Troppau, dem Sitz des Fürsten, in einer ernsten Auseinandersetzung. Beethoven hatte sich geweigert, vor französischen Offizieren zu spielen. Daraufhin stellte Lichnowsky, der in jenen Jahren außerordentlich hohe finanzielle Verpflichtungen zu erfüllen hatte, die jährlichen Gehaltszahlungen an den Komponisten ein. Beethovens Einnahmen aus Verlagsverträgen und Konzerteinnahmen konnten keine dauerhafte finanzielle Absicherung gewährleisten, so war er weiterhin auf die Gunst seiner Wiener Mäzene angewiesen. Daher bewarb sich Beethoven im Dezember 1807 – vergeblich – bei der k.k. Hoftheaterdirektion um eine Anstellung und erwog erneut, Wien zu verlassen. Eine entsprechende Gelegenheit bot sich, als ihn Friedrich Ludwig III. Graf Truchsess zu Waldburg im November 1808 als Kapellmeister an den Hof Jérôme Bonapartes nach Kassel berief.
 Durch eine Initiative Ignaz von Gleichensteins und der Gräfin Marie Erdödy, die zu Beethovens engstem Freundeskreis gehörten, gelang es, Beethoven in Wien zu halten. Am 1. März 1809 sicherten Erzherzog Rudolph, Franz Joseph Fürst Lobkowitz und Ferdinand Fürst Kinsky dem Komponisten per Dekret ein festes jährliches Gehalt zu – der sogenannte Rentenvertrag – unter der einzigen Bedingung, dass Beethoven in Wien wohnen bliebe.



Symphonie Nr. 6 F-Dur, Op. 68, „Pastorale“ (1807/1808)

Orchesterbesetzung: 3 Flöten (1 auch Piccolo), 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 2 Hörner, 4 Trompeten, 2 Posaunen – Pauken – Streicher
Sätze: 1. Allegro ma non troppo – „Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande“
2. Andante molto moto – „Szene am Bach“
3. Allegro – In tempo d'Allegro – „Lustiges Zusammensein der Landleute“
4. Allegro – „Donner, Sturm“
5. Allegretto – „Hirtengesang. Wohltätige, mit Dank an die Gottheit verbundene Gefühle nach dem Sturm“
Spieldauer: ca. 43 Min.
Widmung: Fürst Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz und Graf Andrej Kirillovič Razumovskij
Uraufführung: 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien unter Leitung des Komponisten.

Die Pastorale ist die einzige Symphonie Beethovens mit fünf Sätzen. Sie nimmt außerdem eine Ausnahmestellung ein, denn ihre Sätze tragen programmatische Überschriften, vor deren wörtlichem Verständnis er aber selbst warnt: „Man überläßt es dem Zuhörer, die Situationen ausfindig zu machen. Sinfonia caracteristica oder eine Erinnerung an das Landleben. Jede Malerei, nachdem sie in der Instrumentalmusik zu Weit getrieben, verliert. Wer auch nur je eine Idee vom Landleben erhalten, kann sich ohne viel Überschriften selbst denken, was der Autor will. Auch ohne Beschreibung wird man das Ganze, Welches mehr Empfindung als Tongemälde, erkennen.“ Das ist eine deutliche Absage an die Programmusik. Beethoven kommt es auf die „Idee vom Landleben“ an, was keineswegs tonmalerische Mittel ausschließt. Er vollzieht eine Synthese von klassischer Sinfonie und Naturschilderung, stellt jedoch mehr seine Liebe zum Landleben dar als dieses selbst.
 Der 1. Satz weist eine traditionelle Sonatenhauptsatzform auf, deren drei Teile, Exposition, Durchführung und Reprise annähernd gleich lang sind. Dazu kommt eine ausgedehnte Coda, die nochmals durchführungsartige Züge aufweist. Der Satz ist durchgängig in Dur gehalten, die beiden Themen unterscheiden sich wenig. Es gibt eine Reihe von pastoralen Motiven, wie Bordune, mehrtaktige Wiederholungen einzelner Motive, melodische Terz- und Sextpassagen, häufige Verwendung der Holzbläser, Anklänge an Vogelgezwitscher. Der ausgiebige Gebrauch der Subdominante gibt dem Satz eine ungewöhnlich entspannte Athmosphäre.
 Der 2. Satz steht in der Subdominant-Tonart B-Dur und verwendet ebenfalls parallele Terzen und Sexten, wohlige Seufzermotive, zwitschernde Klänge kombiniert mit einer sanft plätschernden Begleitung. Während die Kontrabässe überwiegend zupfen, werden die anderen Streicher mit Dämpfer gespielt. Auch dieser Satz weist eine Sonatenhauptsatzform auf. In der Coda gibt es eine zweiteilige, kadenzähnliche Passage, in der die Flöten, Oboen und Klarinetten die drei Vogelrufe von Nachtigall, Wachtel und Kuckuck imitieren, wie Beethoven in der Partitur festhält.
 Der 3. Satz ist ein lebhaftes Scherzo in F-Dur. Es zeigt einen Menuett-ähnlichen Aufbau, es enthält drei verschiedene Tänze. Ein erster beginnt zunächst leise und unisono in den Streichern, wird dann variiert und im fortissimo wiederholt. Es schließt sich eine Parodie einer Laien-Kapelle an, deren Oboen-Melodie „falsch“ rhythmisch verschoben ist. Dem ist die Begleitung eines Fagotts hinzugefügt, das nur drei Töne spielen kann. Das Trio schließlich ist deutlich kürzer und schneller. Es stellt einen bäuerlichen Stampftanz dar, in dem das Orchester nur auf zwei Harmonien stampft. Scherzo und Trio werden wiederholt. Der Satz wird durch eine Coda abgeschlossen, die den Anfang variiert, bevor die Melodie quasi entgleist, in Moll abrutscht, den B-Teil auslässt und die Reprise jetzt im furiosen Presto auf einem Trugschluss abschließt, der direkt in den 4. Satz führt.
 Dieser steht in f-Moll. Beethoven verzichtet hier auf konkrete Themen und bestreitet das dramatische Geschehen mit Motivpartikeln, Seufzern, Tonskalen, Dreiklängen, Chromatik, Disharmonien und Klangeffekten wie Tremoli, Paukenwirbel und schrillen Einsätzen der Piccoloflöte. Beruhigt endet der Satz mit einer Oboenkantilene in C-Dur.
 Der 4. Satz steht wieder in F-Dur und ist ein Sonatenrondo. Es beginnt mit einem Alphornruf in der Klarinette, die das Horn übernimmt. Thematisch greift der Satz auf das Material des ersten Satzes zurück. Der Alphornruf erscheint immer wieder in dem Satz und schließt ihn sanft mit dem solistischen gedämpften Horn ab.


Ariane Matiakh

Leitung: Ariane Matiakh

Sie wurde 1980 in Paris geboren. Bereits als Kind gewann sie Preise für Klavier, Kammermusik und Dirigieren. Von 2002 bis 2005 studierte Ariane Matiakh Dirigieren an der Musikhochschule in Wien bei Leopold Hager, Yuji Yuasa, Erwin Ortner, Ervin Acél und in Meisterkursen bei Seiji Ozawa. Ihre Karriere als Dirigentin begann sie 2005 in Montpellier. Eine Vertretung für James Conlon im Mai 2006 bei Šostakovičs 7. Sinfonie wurde hoch gelobt und markierte den Beginn ihrer internationalen Karriere. Es folgten Stationen in Berlin, Stockholm, Amsterdam, Göteborg, Graz, Nizza und Straßburg. 2018 wurde Matiakh Professorin am Conservatoire national supérieur de musique et de danse de Paris. Ab Beginn der Spielzeit 2019 bis Ende Januar 2020 war Ariane Matiakh Generalmusikdirektorin der Oper und Staatskapelle Halle.