Einführung zum Konzert des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 9. September 2021


Hector Berlioz: Symphonie fantastique

Hector Berlioz
(Louis-) Hector Berlioz (* 1803 in La Côte-Saint-André, Isère; † 1869 in Paris)

Hector Berlioz wurde als Sohn des angesehenen Arztes Louis-Joseph Berlioz geboren, der ihn im Geiste der klassischen lateinischen Bildung erzog und selbst unterrichtete. Ab 1817 erhielt er Flöten- und Gesangsunterricht bei dem Lyoner Geiger und Flötisten, Imbert. In dieser Zeit unternahm Berlioz erste Kompositionsversuche. 1819 kam François-Xavier Dorant als Musiklehrer in die Gemeinde, der Berlioz zum Spiel auf der Gitarre anregte, das er sich selbst beibrachte. 1819 wurde in Paris eine erste Komposition Berlioz' gedruckt, Le Dépit de la bergère, eine Romanze für Gesang und Klavier. Im März 1821 legte Berlioz in Grenoble sein bachelier es lettres ab und reiste im Oktober nach Paris, um dort sein Studium der Medizin an der Faculté de Médecine der Université Royale de France aufzunehmen. Zwei Jahre später legte er das Vordiplom ab, das ihm die Fortsetzung eines Studiums in jedem Fach ermöglichte. Aber schon zu Beginn seines Pariser Aufenthaltes war er den Opern von Christoph Willibald Gluck begegnet und begann ein Partiturenstudium. Neben Glucks Werken waren es die Opern Gaspare Spontinis und Jean-François Le Sueurs, die er schätzen und lieben lernte. Le Sueur wurde schließlich sein erster, zunächst privater Kompositionslehrer. Im Sommer 1826 wurde Berlioz schließlich mit Zustimmung des Direktors Luigi Cherubini regulär in Le Sueurs Klasse am Conservatoire aufgenommen, seit Oktober 1826 besuchte er auch Anton Reichas Kontrapunktkurse. Zu dieser Zeit hatte er sich allerdings schon ein gewisses Renommee als Komponist verschafft, vor allem mit der sehr erfolgreichen Aufführung seiner Messe solennelle im Juli 1825 in der Kirche Saint-Roch. In jene Zeit fällt auch der Beginn der Freundschaft mit Humbert Ferrand, dem Librettisten seiner ersten Vokalwerke, der Scene héroique grecque und der nur in Bruchstücken überlieferten Oper Les Francs-juges. 1827 nahm Berlioz zum ersten Mal am Rompreis-Wettbewerb teil, für den er insgesamt vier Kantaten schrieb. Ausgerechnet die letzte, Sardanapale, mit der er den Preis 1830 gewinnen sollte, ist heute nur noch als Fragment überliefert. Drei kulturelle Ereignisse sollten Berlioz in diesen Jahren entscheidend prägen. Im Herbst 1827 ergriff ganz Paris, vor allem aber die Gruppe der Jeune-France, nach den Aufführungen einer englischen Schauspieltruppe das Shakespeare-Fieber. Die Hauptdarstellerin dieser Truppe war Harriet Smithson, in die er sich verliebte, um die er warb und die er in der Symphonie fantastique als zentraler Figur der Geliebten und idealen Frau verewigte. Die Aufführungen der Beethovenschen Symphonien mit dem Orchestre du Conservatoire, geleitet von François-Antoine Habeneck, waren für Berlioz 1828 die Entdeckung einer neuen musikalischen Welt. Ebenfalls 1828 beeindruckte ihn schließlich Goethes Faust in der Übersetzung von Gérard de Nerval. Seine Vertonung der Huit Scenes de Faust ließ er 1829 auf eigene Kosten als sein op. 1 drucken und schickte dem Dichter ein Exemplar. Nach erstem freundlichem Empfang fragte Goethe seinen Freund Carl Friedrich Zelter um Rat, der in völliger Verständnislosigkeit vernichtend ausfiel. Berlioz aber erfuhr davon nichts, kam selber zu einem negativen Urteil über sein Erstlingswerk, und vernichtete die noch vorhandenen Exemplare. Im Dezember 1830, nach dem Gewinn des Rompreises und kurz vor seiner Abreise nach Italien, fand das entscheidende Konzert seiner bisherigen kompositorischen Laufbahn statt, in dem unter der Leitung Habenecks die Symphonie fantastique uraufgeführt wurde. Erst 1833 gelang es Berlioz, Harriet Smithson gegen den Willen beider Familien zu heiraten. Eine unglückliche Verbindung: Die beiden trennten sich 1844.



Symphonie fantastique op. 14 (1830)

Orchesterbesetzung: 2 Flöten (1 auch Piccolo), 2 Oboen (1 auch Englischhorn), 2 Klarinetten (1 auch kleine Klarinette), 4 Fagotte – 4 Hörner, 2 Kornette, 2 Trompeten, 3 Posaunen, 2 Tuben – 2 Pauken, 4 Schlagzeuge, 2 Harfen – Streicher (14 12 10 8 6). Hinter der Bühne: 1. Oboe (Beginn des 3. Satzes), 2 Glocken
Sätze: I. Rêveries, Passions (Träumereien, Leidenschaften): Largo – Allegro agitato e appassionato assai
II. Un Bal (Ein Ball): Allegro non troppo
III. Scène aux champs (Szene auf dem Lande): Adagio
IV. Marche au supplice (Der Gang zum Richtplatz): Allegretto non troppo
V. Songe d'une nuit du Sabbat (Hexensabbat): Larghetto – Allegro
Spieldauer: ca. 52 Min.
Widmung: Zar Nikolaus I. von Russland
Uraufführung: 5. Dezember 1830, Paris, François-Antoine Habeneck – Ltg.

Der Originaltitel des Werkes lautet: épisode de la vie d'un artiste, symphonie fantastique en cinq parties (Episode aus dem Leben eines Künstlers, fantastische Sinfonie in fünf Teilen). Mit diesem Werk begründete Berlioz die Programmmusik und schuf eines der bedeutendsten Stücke der romantischen Musik überhaupt. Obwohl er an Beethovens 6. Sinfonie anknüpfte, betrat Berlioz in vielerlei Hinsicht Neuland. Das Stück verwendet einige neuartige Instrumentationstechniken, wie etwa das weitgefächerte Divisi-Spiel der Streicher, und eine daraus resultierende innovative Ausnutzung des klassischen Orchesterkorpus. Berlioz bezeichnete sein Werk zudem ausdrücklich als „drame musical“ (musikalisches Drama) und gliedert es folgerichtig in fünf Sätze analog zu den fünf Akten des klassischen Dramas. Im Zentrum der dramatischen Handlung steht die idealisierte Frau und unerreichbare Geliebte eines jungen Künstlers. Für das Motiv der Geliebten verwendet Berlioz ein Leitmotiv (eine „idée fixe“), das in allen Sätzen verarbeitet wird. Diese Leitmotiv-Technik hat Carl Maria von Weber erstmals verwendet. Sie ist später vielfältig von Franz Liszt und Richard Wagner ausgebaut worden.
 In der langsamen Einleitung des ersten Satzes erträumt sich der junge Musiker eine Frau, die seinem Ideal entspricht – musikalisch im Leitmotiv verkörpert – und nach der er sich verzehrt. Im Allegro-Teil wird diese Geliebte mit dem Leitmotiv strahlend eingeführt. In der monothematischen Sonatenhauptsatzform des Allegros werden verschiedene Stimmungen der Verliebtheit durchlaufen.
 Der zweite Satz steht in A-Dur und bringt einen tänzerischen 3/8-Takt. Hier findet der Verliebte die Frau bei einem Ball wieder. In einem Walzer erklingt die „idée fixe“. Zuerst ist er hoch erfreut, doch trübt sich seine Stimmung ein, als er bemerkt, dass die geliebte Frau ihn nicht beachtet. Doch die Tanzveranstaltung steigert sich ungehemmt.
 Der dritte Satz in F-Dur und einem gemächlichen 6/8-Takt beginnt mit einem pastoralen Dialog zwischen Englischhorn und Oboe, wie zwei Hirten, die sich unterhalten. Das mit dem Leitmotiv markierte Erscheinen der geliebten Frau unterbricht diese Szene jäh. Der junge Künstler zweifelt an ihrer Treue. Einer der Schäfer nimmt die Anfangsmelodie wieder auf, der andere antwortet nicht mehr. Die Sonne geht unter, die Pauken grollen einen warnenden Donner, die Einsamkeit und Stille der Nacht beginnt.
 Der vierte Satz in g-Moll und einem marschartigen 2/2-Takt bringt eine düstere Athmosphäre. Der Künstler glaubt sicher, dass seine Liebe verschmäht wird. Er nimmt Opium und versinkt in einen todesähnlichen Schlaf. Er träumt, er habe seine Geliebte ermordet, sei nun zum Tode verurteilt und werde zum Richtplatz geführt. Ein bald düsterer und wilder, dann wieder feierlicher und brillanter Marsch begleitet den Zug. Kurz vor der Exekution durch das Fallbeil erscheint noch einmal das Leitmotiv.
 Der fünfte Satz beginnt mit einem langsamen 4/4-Takt in c-Moll, der schnelle Teil wechselt in einen 6/8-Takt in Es-Dur, später dann C-Dur. Der Verliebte findet sich in einem höllischen Hexensabbat wieder. Gellendes Gelächter ist zu hören. Das Leitmotiv erscheint in einer verfremdeten, schrillen Variation, zunächst in der gellenden Es-Klarinette, dann im ganzen Orchester. Die einstige Geliebte tritt als Hexe auf und wird von den anderen Hexen freudig begrüßt. Dann läuten die Totenglocken, eine Parodie des Dies irae, des Jüngsten Gerichts der katholischen Totenmesse erklingt. Am Ende mischen sich beide Melodien zu einer satanischen Orgie.


Alain Altinoglu

Leitung: Alain Altinoglu

Der 1975 in Paris geborene Dirigent armenischer Abstammung studierte am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse, an dem er seitdem auch selbst unterrichtet und seit 2014 die Dirigierklasse leitet. 2016 wurde Altinoglu Directeur Musical des Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel, gerade hat er dort seinen Vertrag bis 2025 verlängert. Neben seiner Tätigkeit als Dirigent begleitet er seine Ehefrau, die Mezzosopranistin und Liedsängerin Nora Gubisch am Klavier und macht hin und wieder auch Ausflüge in den Bereich von Jazz und Improvisation. Ab 2021 wird er Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters.