Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 25. April 2018


Pëtr Il'ič Čajkovskij: Variationen über ein Rokoko-Thema, op. 33

Pëtr Čajkovskij
Pëtr Il'ič Čajkovskij (* 1840 in Votkinsk (Gouv. Vjarka, Ural), † 1893 in St. Petersburg)

Der Zeitraum von 1866 bis 1878 war für Čajkovskij in mehrerer Hinsicht schwierig. In diesem Zeitraum seiner Lehrtätigkeit am Moskauer Konservatorium für Harmonielehre, Instrumentation und freie Komposition komponierte einige seiner bedeutendsten Konzertstücke und alle diese Werke hatten gravierende Anfangsschwierigkeiten.
 Sein 1874/75 entstandenes 1. Klavierkonzert op. 23 kritisierte sein Mentor und potentieller Interpret der Uraufführung, der Pianist und Dirigent, Nikolaj Rubinštejn, in Grund und Boden. Der Geigenvirtuose und Professor am Petersburger Konservatorium Leopold Auer, dem Čajkovskij sein Violinkonzert op. 35 von 1878 widmen wollte, lehnte dessen Uraufführung ab, er nannte den Violinpart undankbar und unspielbar; Adolf Brodskij brachte das Konzert dann 1881 in Wien heraus, aber Eduard Hanslicks Verriß war vernichtend. Die Variationen über ein Rokoko-Thema op. 33 schließlich hat ihr Widmungsträger, der deutsche Cellist und Professor am Moskauer Konservatorium Wilhelm Fitzenhagen, während Čajkovskij, der ihn um die Herausgabe des Werkes gebeten hatte, im Ausland weilte, in stark und eigenmächtig bearbeiteter Weise publiziert, nachdem er es am 18. Dezember 1877 in Moskau uraufgeführt hatte; die Originalfassung erschien erst in den 1950er Jahren, doch Fitzenhagens Version, seit langem eingeführt und immer wieder nachgedruckt, wird bis heute gespielt.
  Daneben bedrängten ihn private Probleme. Seine Homosexualität isolierte ihn gesellschaftlich und familiär, obwohl er sie als naturgegeben ansah und auch auslebte. Seine Familie drängte ihn zu einer Heirat, die er Juli 1877 mit Antonina Miljukova vollzog. Diese Ehe wurde zum Fiasko, er floh im August 1877 zur Familie seiner Schwester, im September nach St. Petersburg und anschließend in die Schweiz und Italien. Möglicherweise war diese Abwesenheit auch der Grund dafür, dass er sein Variationenwerk der Überarbeitung durch Fitzenhagen ohne Widerspruch überließ.



Variationen über ein Rokoko-Thema A-Dur für Violoncello und Orchester, op. 33 – Fitzenhagen-Version (1876/77)

Orchesterbesetzung: Solo-Cello – 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 2 Hörner – Streicher (12-10-8-6-4)
Sätze: 1. Moderato quasi Andante – Tema. Moderato semplice
2. Variazione I. Tempo del Tema
3. Variazione II. Tempo del Tema
4. Variazione III. Andante sostenuto
5. Variazione IV. Andante grazioso
6. Variazione V. Allegro moderato
7. Variazione VI. Andante
8. Variazione VII e coda. Allegro vivo
Spieldauer: ca. 20 Min.
Uraufführung: 30. November 1877, Moskau, Wilhelm Fitzenhagen, Vc, Nikolaj Rubinštejn, Ltg.

Das Stück entstand zwischen Dezember 1876 und März 1877. Während das Thema, auf dem die Komposition basiert, Čajkovskijs eigene ist, zeigen die anmutigen Konturen, deutlich die Inspiration durch Mozart. Die Variationsform, die Čajkovskij ansonsten wenig interessierte, ermöglichte ihm hier die Wiederholung der harmonischen Strukturen in den Variationen. So vermied er strukturelle Komplexitäten und dramatische Entwicklungen und blieb stilistisch einheitlich.
  Čajkovskij schrieb dieses Stück für Wilhelm Fitzenhagen, einen deutschen Cellisten und Fellow-Professor am Moskauer Konservatorium. Dieser bearbeitete und veränderte die Komposition durchgreifend. Den Cello-Part gestaltete er sehr viel virtuoser, fügte zusätzliche Kadenzen ein, stellte die Reihenfolge der Variationen gänzlich um, strich die ursprünglich VIII. Variation ganz und fügte deren Coda an die ursprünglich IV. Variation, die nun an den Schluss rückte. Damit änderte sich der Charakter des ganzen Werkes vom leichten, graziösen und eleganten Rokoko-Stil hin zum virtuos-romantischen Schwergewicht.
 Čajkovskij hatte allerdings Fitzenhagen freie Hand gegeben und war schließlich ohne Veränderung bei dessen Version geblieben – trotz der Warnung seines Verlegers Jurgenson, der ihm nach Durchsicht der Fitzhagenschen Druckvorlage schrieb: „Dieser widerliche Fitzenhagen! Er möchte Dein Cellostück unbedingt umarbeiten, umcellisieren, und sagt, daß Du ihm die Vollmacht dazu gegeben habest. Herrgott! Čajkovskij revu et corrigé par Fitzenhagen!!“
 Wahrscheinlich gab es zu Lebzeiten Čajkovskijs nur eine einzige Aufführung, eben die Uraufführung am 30. November 1877 in Moskau, bei der die Original-Fassung Čajkovskijs ohne die Veränderungen Fitzenhagens gespielt wurde.
 Die Komposition beginnt mit einer kurzen Einleitung in gemäßigtem Tempo, dann gibt das Solocello das eigentliche Thema, das viermal wiederholt wird, um in einen kontrapunktierenden Abschnitt geführt zu werden, der später wieder aufgenommen wird.
 Die erste Variation bewegt sich anmutig in Triolen, das Orchester übernimmt das Thema.
 Die zweite Variation bringt einen Dialog zwischen Orchester und Solisten, das Tempo des Themas ist annähernd verdoppelt. Aus dem Kontrapunkt des Themas entwickelt sich eine erste Solo-Kadenz.
 Die dritte Variation (Čajkovskijs siebte) nimmt das Tempo wieder zurück, verschiebt die Tonart nach C-Dur, moduliert am Ende zur A-Dur-Dominante, E-Dur, um auf dem E unisono zu enden.
 Die vierte Variation (Čajkovskijs fünfte) versetzt das Thema rhythmisch, so dass der ursprüngliche Auftakt zum betonten Ton wird. Kontrapunkt und Thema werden miteinander verflochten. Der ausgedehnte Triller des Solocellos führt in die nächste Variation.
 Die fünfte Variation (Čajkovskijs sechste) entwickelt aus dem Triller eine Begleitung, über die nun die Soloflöte das Thema spielt. Das Solocello springt in die Basslage, das Orchester übernimmt erneut das Thema, das wiederum in eine Solokadenz mit vielen Trillern führt. Erneut übernimmt die Flöte das Thema, während das Cello in tiefer Lage mit dem Kontrapunkt endet.
 Die sechste Variation (Čajkovskijs dritte) versetzt das Thema nach d-Moll, auch der Kontrapunkt am Ende bleibt in dieser Tonart.
 Die siebte Variation (Čajkovskijs vierte) kehrt zurück nach A-Dur, führt das Thema in ein rasendes Tempo – ein Allegro vivo, das sich überwiegend in 32teln bewegt. Hier ist wiederum die Soloflöte Gegenpol zum Solocello. Der Satz mündet schließlich in einer Coda, die ursprünglich zur achten Variation gehörte, die Fitzenhagen aber strich.


Paavo Järvi

Leitung: Paavo Järvi

stammt aus einer Musikerfamilie und wurde 1962 in Tallinn (Estland) geboren. Er studierte zunächst Schlagzeug und Dirigieren in Tallinn. 1980 übersiedelte er mit seiner Familie in die USA, um dort in Philadelphia und Los Angeles – dort bei Leonard Bernstein – sein Studium fortzusetzen. Gleichzeitig spielte er Schlagzeug in Erkki-Sven Tüürs kammermusikalischem Rockensemble „In Spe“, einer in Estland beliebten Rockgruppe. Ab 1995 widmete er sich mehr dem Dirigieren, zunächst als Orchesterleiter in Stockholm, später in Cincinnati, Bremen und von 2006 bis 2013 als Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters und seitdem sein „Conductor laureate“. Danach dirigierte er Orchester in Paris und Tokio, ab der Spielzeit 2019/20 wird er neuer Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Tonhalle-Orchesters Zürich.

Mischa Maisky

Violoncello: Mischa Maisky

Der lettische Cellist wurde 1948 in Riga geboren. Seine Ausbildung begann er im Alter von acht Jahren in Riga, wechselte mit 14 nach Leningrad und ein Jahr später in die Meisterklasse von Mstislav Rostropovič in Moskau. 1970 wurde er zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt, vermutlich weil seine Schwester nach Israel ausgewandert war. 1972 wurde er von einem amerikanischen Gönner freigekauft, konnte ausreisen und siedelte sich in Brüssel an. 1973 konnte er sein Montagnana-Cello aus dem Jahr 1720 erwerben, auf dem er bis heute spielt. 1974 wurde er durch Rostropovič’ Vermittlung Meisterschüler bei Grigori Pjatigorski. Danach begann er eine internationale Konzertkarriere als Solist und Kammermusiker, hier vor allem mit Martha Argerich, Radu Lupu und Malcolm Frager. Außerdem bildet er zusammen mit zweien seiner Kinder ein Klaviertrio. Sein Repertoire umfasst die gesamte Cello-Literatur mit Ausnahme der Moderne.