Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 26. September 2018


Un-Suk Chin: Le silence des sirènes

Un-Suk Chin
Un-Suk Chin (* 1961 in Südkorea)

Unsuk Chin wurde 1961 in Südkorea geboren und ist die Tochter eines presbyterianischen Pfarrers; als Kind machte sie ihre ersten Schritte in der Kirchenmusik, spielte Klavier zu Hymnen bei Hochzeiten und Gottesdiensten. Ihren Wunsch, Konzertpianistin zu werden, konnte sie nach ersten Anläufen mangels finanzieller Möglichkeiten nicht verfolgen. Von 1981 bis 1985 studierte sie Komposition bei Sukhi Kang in Seoul, von 1985 bis 1988 als DAAD-Stipendiatin bei György Ligeti in Hamburg. Seit 1988 lebt sie in Berlin. Sie arbeitete dort als freischaffende Komponistin im Elektronischen Studio der TU Berlin, wo sie auch mehrere elektronische Werke realisierte. Mit der Komposition „Acrostic Pun“ (etwa: „Akrostichon-Wortspiel“) für Sopran und Ensemble (1991/93) im Auftrag des Nieuw Ensembles, Amsterdam, gelang es ihr internationale Aufmerksamkeit zu gewinnen.
 Über ihre Musik formuliert sie selbst: „Meine Musik ist das Spiegelbild meiner Träume. Die Visionen von immensem Licht und unwahrscheinlichen Farben, die ich in all meinen Träumen sehe, versuche ich in meiner Musik als ein Spiel von Licht und Farben darzustellen, die durch den Raum fließen und gleichzeitig eine plastische Klangskulptur bilden, dessen Schönheit sehr abstrakt und distanziert ist, aber gerade durch den direkten Appell an die Gefühle Freude und Wärme vermittelt.“
 Chins Arbeiten sind durch einen überbordenden Farb- und Klangsinn geprägt, häufig entwickelt sie aus geräuschhaften Artikulationen perkussive Charaktere, die sie instrumental weiterführt, kleine Struktureinheiten werden vielfach übereinander geschichtet, filigran organisiert und dann entweder zerteilt und differenziert, oder zum Klangausbruch zusammengeführt.
 Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der vokalen Komposition. In den 1980er und 1990er Jahren behandelte sie die Stimme deutlich abstrakter. Mit der Komposition Ihrer Oper „Alice im Wunderland“ (2004-2007) näherte sie sich einer deutlich emotionaleren Schreibweise.



Le silence des sirènes für Solo-Sopran und Orchester (2014)

Orchesterbesetzung: Sopran – 3 Flöten (1 auch Altflöte, 1 auch Piccolo), 2 Oboen (1 auch Englischhorn), 3 Klarinetten (1 auch kleine Klarinette), 2 Fagotte – 4 Hörner , 4 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba – Pauken, 5 Schlagzeuger, Harfe, Klavier – Streicher (12-12-10-8-6 auch geteilt)
Spieldauer: ca. 20 Min.
Uraufführung: 23. August 2014 in Luzern. Luzern Festival Akademie Orchester, Sopran: Barbara Hannigan, Ltg: Sir Simon Rattle.

Die Komposition ist auf Anregung von Simon Rattle für die kanadische Sopranistin und Performerin, Barbara Hannigan, komponiert und mit ihr zusammen entwickelt worden. Chin wollte explizit die vielfältigen stimmlichen und darstellerischen Möglichkeiten dieser Ausnahme-Sopranistin ausreizen.
 Die Komposition ist ein Monodram, das zwei verschiedene Texte verwendet: den Gesang der Sirenen von Homer in griechischer Sprache und Teile aus dem Sirenen-Episode des Ulysses (11. Hauptkapitel) von James Joyce in englischer Sprache, in dem die Sirene eine verführerische Bardame darstellt. James Joyce’s Text ist komprimiert und fragmentiert, er verwendet eine große Anzahl von onomatopoetischen und Fantasiewörtern, die für Chin zu einer Inspirationsquelle wurden.
 Das Stück beginnt mit dem Solo-Sopran hinter der Bühne. Hier wird der Homer-Text verwendet und die Vorstellung der „Rolle“ der Sopranistin ist die der antiken Sirene. Mit ihrem Bühnen-Auftritt wandelt sich die „Rolle“, die Sopranistin wird zur Joyce’schen Bardame, die mit dem Orchester flirtet. Dabei „probiert“ sie die verschiedensten Verführungstechniken in Form von Gesangsarten, -stilen und Rollenkonzepten aus, um am Ende zu Homer, der griechischen Sprache und der Rolle einer antiken Sirene zurückzukehren.
 Im Orchestersatz verwendet Chin eine Kernstruktur – sie selbst bezeichnet dies als Leitmotiv –, die sie vielfach variiert und verwandelt und die über die ganze Komposition präsent ist. Das Orchester ist dabei nahezu immer in einer Begleitfunktion, die Sopranstimme und die jeweilig dazugehörige Rollenvorstellung dominiert die Komposition durchgehend. Barbara Hannigan hat über die dramatische Anlage und die Situation der Sopranistin als Sirene die Auffassung geäußert, diese Sirene sei niemals wirklich machtvolle Verführerin, sondern probiere dies immer nur, die Verführung gelinge aber nicht. Mit der Rückkehr zu Homer am Ende des Stücks gebe sie ihre Verführungsversuche auf und die Figur komme ganz zu sich selbst.
 Der Titel ist einer Erzählung von Franz Kafka entnommen. Die Komponistin hält es allerdings für unmöglich, „das Schweigen“ hörbar zu machen. Sie bezieht den Titel auf eine musikalische Täuschung am Ende des Stückes, wenn die Sopranstimme immer weiter in die Höhe geführt wird, dann von Instrumenten weitergeführt wird und die Illusion entsteht, die Sopranistin würde dies immer weiter singen, über jede stimmliche Grenze hinaus.


Christoph Eschenbach

Leitung: Christoph Eschenbach

wurde 1940 in Breslau geboren, verlor seine Familie im Krieg und wurde ab 1946 von der Cousine seiner Mutter, der Pianistin Wallydore Eschenbach, aufgenommen und unterrichtet. Er studierte in Köln und Hamburg Klavier und Dirigieren. 1965 begann er eine internationale Karriere als Pianist, ab 1972 als Dirigent. Ab 1979 war er nacheinander Chefdirigent in Ludwigshafen, Zürich, Houston, Chicago, Hamburg, Philadelphia, Paris und Washington. Seit 2003 ist er musikalischer Leiter der Orchesterakademie des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Seit 2016 dirigiert er an der Mailänder Scala. Ab der Saison 2019/20 soll er das Konzerthausorchester in Berlin übernehmen.

Marisol Montalyo

Sopran: Marisol Montalyo

Die US-amerikanische Sopranistin absolvierte ihre Ausbildung in New York und am Opernstudio Zürich. Sie war Finalistin des Wiener Belvedere-Wettbewerbs sowie Gewinnerin der Metropolitan Opera National Council Auditions. Nach ihrem Debüt als Bergs „Lulu“ an der Opéra National de Paris wurde sie von der französischen Presse als eine wahre Entdeckung gefeiert. Wegen ihrer leidenschaftlichen Hingabe für zeitgenössische Musik wird sie regelmäßig von den führenden Ensembles, wie dem Klangforum Wien, dem Ensemble Intercontemporain, dem International Contemporary Ensemble (ICE), dem Ensemble Remix und dem Ensemble Modern engagiert.