Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 11. Februar 2020


Pascal Dusapin: Uncut (Solo No.7)

Pascal Dusapin
Pascal Dusapin (* 1955 in Nancy)

Die musikalische Ausbildung von Pascal Dusapin verlief außerhalb der Konservatorien. In seiner Jugend spielte er Orgel, zeigte zugleich aber auch ein intensives Interesse an Literatur und Dichtung. Neben der Musik beschäftigt sich Dusapin bis heute intensiv mit Fotografie. Im Alter von 18 Jahren wandte er sich ernsthaft, allerdings zunächst autodidaktisch, der Komposition zu. 1974 traf Dusapin mit Iannis Xenakis zusammen, dessen Kurse er als Gasthörer an der Université Paris von 1974 bis 1978 besuchte. Dusapin hatte außerdem Kontakt zu Franco Donatoni, der ihm ebenfalls wichtige kompositorische Hinweise gab. In seinen frühen Werken Timée (1978, Xenakis gewidmet) und Souvenir du silence (1976, durch das Schaffen Donatonis beeinflusst) zeigt sich die Bedeutung der beiden kompositorischen Vorbilder für das Schaffen Dusapins.
 Xenakis bezeichnete Dusapins Schaffen als zufolge als „originell“ und zugleich „sensuell“. 1989 wurde Dusapin bereits in einer Monographie als bedeutendster französischer Komponist seiner Generation eingeschätzt. Zu den Charakteristika seiner Instrumentalwerke gehören Mikrointervallik, Glissandi, Triller und Tremoli sowie Töne, die den melodischen Verlauf unterbrechen und die Aufmerksamkeit auf Details lenken. Seit Go (1992) zeigt sich Dusapins Bestreben, in seinem Schaffen sparsames Material zu definieren und die Kombinationsmöglichkeiten zu reduzieren.
 Dusapin befreit sich von den Fesseln und Zwängen der Musik der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts und behauptet, die „Hiroshima-Musik“ verbannen zu wollen. Laut dem Kritiker Claude Glayman ist Dusapins Musik „spielerisch, freudig […] Alles in allem eine neue Klarheit, aber in der Tradition der französischen Musik: ein post-tonales, post-atonales Universum, das dazu beigetragen hat, die Blockade der Musik unserer Zeit zu lösen.“
 Pascal Dusapin ist der Ehemann der Schauspielerin Florence Darel.



Uncut (Solo No. 7) (2008/2009)

Orchesterbesetzung: Picc., 3 Flöten (1 auch Picc.), 4 Oboen (1 auch Englischhorn), 4 Klarinetten (1 auch Bassklarinette), 4 Fagotte (2 auch Kontrafagott) – 6 Hörner, 4 Trompeten (1 auch Piccolo-Trompete), 4 Posaunen (1 auch Bassposaune), Tuba – 2 Schlagzeuger – Streicher (16-14-12-10-8)
Spieldauer: ca. 11 Min.
Uraufführung: 27. März 2009, Paris, Cité de la musique, par l'Orchestre philharmonique de Liège, Pascal Rophé, dir.; Deutsche Erstaufführung: 21. Januar 2011, Frankfurt am Main, hr-Sinfonieorchester.

Uncut ist das siebte Orchesterwerk des Zyklus Solos für Orchester. Vorangegangen sind: Go (1992), Extenso (1993-94), Apex (1995), Clam (1997-98), Exeo (2002), Reverso (2005-06) und eben Uncut. Dusapin formulierte die Absicht dieses Zyklus so: „Anfang der 1990er Jahre wollte ich von den Laufzeiten zwischen zehn und zwanzig Minuten wegkommen, die immer mit Orchesteraufträgen verbunden sind. Da mir niemand Aufträge für längere symphonische Formen anbot, beschloss ich, abzuwarten. Ich träumte von einer ausgedehnten, komplexen Form, die aus sieben autonomen Episoden besteht, die sich von innen heraus regenerieren, andere Möglichkeiten befruchten und sich in den offen gelassenen Zwischenräumen ausbreiten …“
Uncut fasst den gesamten Zyklus zusammen. Es beginnt mit einer Hornfanfare, ein Motiv, das das ganze Stück bestimmt. Dusapin schreibt darüber: „Die sechs Hörner des Orchesters beginnen die Partitur, deren Zweck es zu sein scheint, eine Mauer einzureißen, alla fanfara. Die melodischen Modi der sechs vorhergehenden Soli durchqueren und zebraisieren den gesamten Raum von Uncut. Die rein metallischen Perkussionen – Glocken, Glockenspiel, Rasseln, Tamtams, Gongs – markieren und unterstreichen jede Kreuzung im harmonischen Geflecht in bitteren, scharfen Strichen. Alles ist vertikal, keine melodische Entfaltung schafft es, die erbaute Konstruktion zu durchqueren. Im Gegensatz zur Reverso, die in der Geographie des Orchesters komponiert ist, ein wenig wie eine Fotografie, die alle Details vom Vordergrund bis in die Ferne zeigt, ist Uncut eine Musik, bei der es fast keine Tiefenschärfe des Klangfeldes gibt. Alles wird von vorne, ohne Abstand, projiziert. Und während sich die ersten sechs Solos sanft auflösen, als wolle sich die Musik eingraben, um im nächsten Solo wieder aufzutauchen, ist Uncut ein kurzes und intensives Stück, das wie ein einziger Block behandelt wird und heftig abschließt. Damit schließt sich die Form des Zyklus der sieben Formen und enthüllt sich: das Ende ist klar, aber alles kann weitergehen …“


Alain Altinoglu

Leitung: Alain Altinoglu

Der 1975 in Paris geborene Dirigent armenischer Abstammung studierte am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse, an dem er seitdem auch selbst unterrichtet und seit 2014 die Dirigierklasse leitet. 2016 wurde Altinoglu Directeur Musical des Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel, gerade hat er dort seinen Vertrag bis 2025 verlängert. Neben seiner Tätigkeit als Dirigent begleitet er seine Ehefrau, die Mezzosopranistin und Liedsängerin Nora Gubisch am Klavier und macht hin und wieder auch Ausflüge in den Bereich von Jazz und Improvisation. Ab 2021 wird er Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters.