Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 8. Juni 2022


Jacques Ibert: Escales

Jacques Ibert
Jacques Ibert (* 1890 in Paris; † 1962 in Paris)

Iberts Mutter, eine versierte Pianistin, gab ihm zunächst Geigen- und dann Klavierunterricht, obwohl sein Vater wollte, dass der Sohn seinen Beruf des Geschäftsmanns übernehme. Von Anfang an war Ibert mehr an der freien Improvisation auf dem Klavier interessiert als an der Konzentration auf Technik und Repertoire. Nachdem er 1908 das Gymnasium abgeschlossen hatte, verzögerte er seinen Eintritt in das Pariser Konservatorium, um seinem Vater zu helfen, dessen Familienunternehmen einen finanziellen Rückschlag erlitten hatte.
 Während er dort arbeitete, wechselte er von der Musik zur Schauspielerei, ein Interesse, das ihn sein Leben lang begleiten sollte. Im Jahr 1911 trat Ibert schließlich in das Pariser Konservatorium ein und wurde von Émile Pessard, André Gédalge und Paul Vidal unterrichtet. Zu seinen Mitschülern gehörten Darius Milhaud und Arthur Honegger, mit denen er später mehrfach zusammenarbeiten sollte. Sein Vater war gegen das Musikstudium und entzog ihm die finanzielle Unterstützung, so dass Ibert seinen Lebensunterhalt als Akkordeonist, dem Schreiben von leichten Klavierstücken und Volksliedern und als Begleitpianist zu Kinofilmen verdienen musste. Später sollte er über sechzig Filmmusiken für Tonfilme schreiben.
 Der Erste Weltkrieg unterbrach sein Studium, er trat in eine Sanitätseinheit der Armee ein. Kurz nach seiner Rückkehr gewann er den Premier Grand Prix, der ihm einen dreijährigen Aufenthalt in der Villa Medici in Rom einbrachte. Während seines dortigen Aufenthalts, von Februar 1920 bis Mai 1923, schuf Ibert einige seiner bekanntesten Werke wie La Ballade de la Geôle de Reading (1921) und Escales.
 1937 bis 1960 war Ibert Direktor der Académie de France in Rom und damit für die Verwaltung und die Betreuung der Gewinner des Prix de Rome zuständig.



Escales (1920-22)

Orchesterbesetzung: Piccoloflöte, 2 Flöten (eine auch Piccolo), 3 Oboen (eine auch Englischhorn), 2 Klarinetten, 3 Fagotte – 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba – Pauken, 7 Schlagzeuger, 2 Harfen, Celesta – Streicher
Sätze: 1. Rome – Palermo: Calme / Assez animé / Tempo I.
2. Tunis – Nefta: Modéré très rhythmé
3. Valencia: Animé / Légèrement moins animé / Modéré / Tempo I. / Un peu plus animé
Spieldauer: ca. 14 ½ Min.
Uraufführung: 6. Januar 1924, Paris, Orchestre Lamoureux, Paul Paray – Ltg.

Die Orchestersuite Escales wurde von einer Kreuzfahrt im Mittelmeer inspiriert, der Titel bedeutet „Anlege-Häfen“. Mit ausgeprägten Sinn für Publikumswirkung komponiert Ibert melodiebetont, ganz der Dur-Moll-Tonalität verpflichtet, mit sporadischen impressionistischen Verfremdungen und frei gehandhabter Kontrapunktik ein Werk voller Lokalkolorit.
 Der erste Satz „Rom - Palermo“ beschwört die Sehenswürdigkeiten und Klänge dieser großen italienischen Zentren mit einer Melodie entsprechenden regionalen Geschmacks.
 „Tunis - Nefta“ bringt die Seeleute in Nordafrika an Land; Pauken und pulsierende Streicher sorgen für einen hypnotischen Beat, während eine Oboe die chromatischen Improvisationen der lokalen Rohrblattinstrumente imitiert.
 „Valencia“ schließlich, eine wirbelnde Tanzszene, schließt die Suite mit einer Darstellung der spanischen Kultur in ihrer lebendigsten Form ab.
 Ibert sagte: „Ursprünglich war es eine Orchestersuite mit drei Nummern, die ich genialerweise mit 1, 2 und 3 betitelt hatte ... Die Leute waren, nicht zu Unrecht, der Meinung, dass dies nicht sehr aussagekräftig war ... Sie baten mich freundlicherweise, deutlicher zu werden. Im ersten Satz tauchen gelegentlich die Klänge einer Tarantella gegen den schweren Wellengang des Meeres auf. Wenn ich reise, interessiere ich mich für alles, von Schlangenbeschwörern bis zu überfüllten Stadtvierteln ... Alles, und auch die Musik ... So entstand dieses Motiv, das ich in Nefta, im Süden Tunesiens, hörte und das in Tunis, der zweiten Nummer von Escales, umgesetzt wurde.“


Alain Altinoglu

Leitung: Alain Altinoglu

Der 1975 in Paris geborene Dirigent armenischer Abstammung studierte am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse, an dem er seitdem auch selbst unterrichtet und seit 2014 die Dirigierklasse leitet. 2016 wurde Altinoglu Directeur Musical des Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel, gerade hat er dort seinen Vertrag bis 2025 verlängert. Neben seiner Tätigkeit als Dirigent begleitet er seine Ehefrau, die Mezzosopranistin und Liedsängerin Nora Gubisch am Klavier und macht hin und wieder auch Ausflüge in den Bereich von Jazz und Improvisation. Seit 2021 ist er Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters.