Einführung zu dem Konzert des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 19.November 2021


Wojciech Kilar: Orawa für Streichorchester

Wojciech Kilar
Wojciech Kilar (* 1932 in Lwów, heute Lwiw, Ukraine)

Kilar studierte Klavier am Staatlichen Musik-Lyzeum in Rzeszow und Krakau, außerdem nahm er Privatunterricht in Harmonielehre bei Artur Malawski und in Komposition bei Bolesław Woytowicz. Von 1950 bis 1955 studierte er Klavier und Komposition bei Woytowicz an der Staatlichen Musikhochschule in Kattowitz. 1959/60 ergänzte er sein Kompositionsstudium als Stipendiat der französischen Regierung bei Nadja Boulanger in Paris. Nach seiner Rückkehr nach Polen ließ sich Kilar in Kattowitz nieder. Von 1979 bis 1981 fungierte er als Vizepräsident des Verbandes der polnischen Komponisten, seit 1998 ist er Mitglied der Polnischen Akademie der Künste.
 Zunächst beeinflusst durch Karol Szymanowski, Igor' Stravinskij, Sergej Prokof'ev, Dmitrij Šostakovič und Bela Bartók komponierte Kilar sowohl mit traditionellen, als auch moderneren Elementen und in überkommenen Formen. Ab etwa 1957 radikalisierte er seine Musiksprache in Richtung auf Dodekaphonie und konstruktive Verfahren.
 Zu Beginn der 1970er Jahre reduzierte er seine kompositorischen Mittel und erarbeitete eine emotionsgeladene und programmatische Musik, in der die Konstruktion eines Werkes dessen Expressivität untergeordnet wird. Eine Schlüsselrolle spielten dabei seine Faszination von der Tatra und der Folklore von Podhale und Umgebung, die für ihn zunehmende Bedeutung der Religion und der wachsende gesellschaftliche Widerstand gegen die dogmatische Ideologie der Regierung.
 Ab 1972 setzte Kilar den Prozess der weiteren Reduzierung der verwendeten musikalischen Mittel fort, verbunden mit immer deutlicherer Einbeziehung von harmonisch-klanglichen Aspekten, repetierenden Verfahren und eine neotonale Zentralisierung.
 Wojciech Kilar hat sowohl in Polen als auch im Ausland große Erfolge erzielt. Kilar ist ein geachteter Filmmusikkomponist, der mit den renommiertesten Regisseuren zusammengearbeitet hat. Er hat Musik für über 130 Filme geschrieben. Bekannt sind seine Filmmusiken für Roman Polańskis „Der Pianist“ oder „Bram Stoker's Dracula“ von Francis Ford Coppola.



Orawa für Streichorchester (1986)

Orchesterbesetzung: Streicher: 5 Stimmen der 1. Violine, 4 Stimmen der 2. Violine, 3 Stimmen der Bratschen, 2 Cello-Stimmen, 1 Kontrabass-Stimme
Spieldauer: ca. 8 ½ Min.
Uraufführung: 10. März 1986 in Zakopane, Polnisches Kammerorchester, Wojciech Michniewski – Ltg.

Orawa ist das vierte Werk Kilars, das sich auf die Musiktradition von Podhale bezieht. Die anderen sind: Krzesany für Orchester (1974), Kościelec 1909 für Orchester (1976) und Siwa mgła für Bariton und Orchester (1979).
 Der Titel Orawa bezieht sich auf das Bergland nordwestlich der Hohen Tatra an der Grenze zwischen Polen und der Slowakei, durch das der gleichnamige Fluss fließt.
 Kilar teilt das Streichorchester in fünfzehn Stimmen auf, die teilweise solistisch oder mehrfach besetzt werden. Das Stück kreuzt die Folklore der Karpatenregion mit Patterntechniken der Minimal Music. Kleinräumige aus Sekundintervallen bestehende Figuren werden wiederholt und von metrisch gleichmäßigen Grundrhythmen begleitet, variiert und in allen möglichen instrumentalen Zusammensetzungen dargeboten. Sein musikalisches Material entnimmt er dabei der Musik der Hochlandbewohner, ihrer Energie, ihren charakteristischen Rhythmen, Melodien und der Spielweise der regionalen Podhale-Ensembles. Mit drei gedämpften Solo-Violinen beginnt er und baut im Laufe des Stückes verschiedene Arten von Steigerungen: Vergrößerung der Besetzung, Steigerung der Lautstärke, Beschleunigungseffekte durch Einfügung von ungeraden oder das regelmäßige Muster verkürzenden Takten. Dazwischen wird immer wieder ins pianissimo zurückgegangen, um eine erneute Steigerung zu versuchen. Aus den repetitiven Mustern schält sich plötzlich eine langsame Melodie und mit ihr folkloristische Momente und Harmonik. Die letzte Steigerung mündet in ein gemeinsam gerufenes „Hey!“
„Ich habe immer davon geträumt, einmal ein Stück zu schreiben, das inspiriert ist von einer Musikgruppe aus dem Hochgebirge – und diesen Traum habe ich mir in Orawa verwirklicht. (...) Es ist eines der wenigen Male, in denen ich zufrieden bin mit meiner Arbeit,“ schrieb Kilar selbst über das Stück. Nach der Aufführung setzten die Orawaer Hochländer aus Jabłonka dem Komponisten einen Hochlandhut auf.
 Aufgrund seiner Popularität entstanden Bearbeitungen für Streichquartett, zwölf Saxophone, Akkordeontrio, acht Celli und andere. Während des Sacrum Profanum Festivals in Krakau 2012 diente es als Basis für DJ-Neuinterpretationen.


Krzysztof Urbański

Leitung: Krzysztof Urbański

wurde 1982 in Polen geboren. Er studierte bis 2007 an der Fryderyk-Chopin-Universität für Musik in Warschau. Im selben Jahr wurde er stellvertretender Dirigent bei den Warschauer Philharmonikern und gewann den ersten Preis beim Internationalen Dirigenten-Wettbewerb in Prag. Von 2010 bis 2017 war er Chefdirigent des Trondheim Symfoniorkester in Norwegen. Im Oktober 2010 dirigierte er erstmals das hr-Sinfonieorchester. Seit 2011 ist er Musikdirektor des Indianapolis Symphony Orchestra. Außerdem berief ihn die Jacobs School of Music der Indiana University im Wintersemester 2011/2012 zum außerordentlichen Professor im Fach Orchesterdirigieren. 2015 wurde er mit dem Leonard Bernstein Award ausgezeichnet. Von 2015 bis 2021 wirkte er zudem als Erster Gastdirigent am NDR Elbphilharmonie Orchester. 2019 wurde bekannt, dass Urbański seine Amtszeit als Chefdirigent in Indianapolis 2021 beenden wird.