Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 14. Mai 2019


Magnus Lindberg: Parada

Magnus Lindberg
Magnus Lindberg (* 1958 in Helsinki)

Magnus Lindberg studierte ab 1973 Klavier, später Komposition an der Sibelius-Akademie in Helsinki bei Einojuhani Rautavaara und Paavo Heininen. Er besuchte Sommerkurse in Siena bei Franco Donatoni und Darmstadt bei Brian Ferneyhough und schloss 1981 sein Studium ab. Es folgte eine ausgedehnte Reise durch Europa, die verschiedene musikalische Erfahrungen und private Studien bei Vinko Globokar und Gérard Grisey in Paris umfasste.
 Lindbergs Entwicklung ist durch verschiedene Phasen gekennzeichnet. Die Werke seiner Studienzeit waren streng konstruiert, er untersuchte automatische Kompositionsprozesse und die Möglichkeit der seriellen Technik. Ab 1978 wandte er sich freieren, mehr spontanen Kompositionsprozessen zu, setzte Elektronik und Musique Concrète ein und erweiterte sein formales Repertoire.
 In dieser Zeit gründete Lindberg zusammen mit den Kommilitonen Esa-Pekka Salonen und Kaija Saariaho zwei Organisationen: Korvat Auki („Ohren auf“) war ein Treffpunkt für alle, die sich für aktuelle Trends in der zeitgenössischen Musik interessieren, Konzerte, Seminare usw. veranstalten. Toimii („Es funktioniert!“) war ein Ensemble, das sich der Improvisation und der Erforschung neuer Klänge widmete – „ein Labor, in dem Komponisten und Instrumentalisten an neuen musikalischen Ausdrucksmitteln zusammenarbeiten“.
 Anfang der 1980er Jahre beschäftigte sich Lindberg zunehmend mit der Bewältigung großer Klangmassen. In Kraft (1983-85) harmonisierte er bis zu 70 Töne in einer Partitur von einem Meter Höhe. Er benutzte darin die Struktur eines Chaconne-Typus, bei der der Verlauf des Stücks auf einer wiederholten Akkordkette basiert. Diese Idee diente als Grundlage für die Orchestertrilogie Kinetics (1988), Marea (1989–90) und Joy (1990). Obwohl Lindberg sich weniger für elektronische Manipulation von Klängen interessierte, erforschte er die Möglichkeiten kompositorischer Software, und Engine (1996) zeigte komplexe, vom Computer erzeugte Kontrapunkte. Anfang der 90er Jahre sah er die Gefahr einer scheinbaren Oberflächlichkeit seiner Werke – er selbst sprach von „Hollywood“ – und beschäftigte sich daher intensiv mit der Rhythmik Stravinskijs und arbeitete nun zunehmend mit pulsierenden Rhythmen, Orientalismen, monumentalen Formen, versteckten Zitaten und historischen Hinweisen.
 Lindberg baute seitdem auf diesen Entwicklungen auf und verfeinerte seinen Stil weiter, der sich nun zu einer Art neuer Tonalität neigte, die bereits in Werken wie Joy und Aura (1994) angedeutet war. Diese Entwicklung kulminierte in einer seiner bisher populärsten Partituren, seinem Klarinettenkonzert (2002), das eine folkloristische Melodie und eine reiche Orchestrierung aufweist. Eines seiner jüngsteren Werke, Two Episodes wurde 2016 bei den BBC Proms uraufgeführt. Es ist ein Begleitstück zu Beethovens Neunter Symphonie, das Anspielungen sowohl auf die Symphonie als auch auf andere Werke des Komponisten enthält. Ähnlich verhält es sich mit dem Stück Parada (2001) mit Anspielungen auf das Werk Jean Sibelius’.



Parada (2001)

Orchesterbesetzung: 2 Flöten (1 auch Piccolo-Flöte), 2 Oboen, Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fagotte (1 auch Kontrafagott) – 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba – Pauken, 2 Schlagzeuger, Harfe, Klavier (auch Celesta) – Streicher (14-12-12-08-06)
Spieldauer: ca. 13 Min.
Auftrag: Komponiert für das Musikfestival “Related Rocks”.
Uraufführung: 6. Februar 2002 in Basingstoke, Süd-England, Philharmonia Orchestra, Esa-Pekka Salonen, Ltg.

Parada besteht aus einem einzigen weitausholenden, überwiegend langsamen Satz. Das Tempo ist für Lindberg ungewöhnlich, der sonst schnelle, dichte Tempi bevorzugt und von sich sagte, er sei ein Kind seiner Zeit und liebe Schnelligkeit und Komplexität. Er setzt eine Parade von langsam aneinandergefügten komplexen Akkorden, die durch das Stück schreiten. In diese langsame Bewegung brechen Momente schneller Aktionen voller Klarheit, Blech-Explosionen, Einwürfe der Holzbläser ein, die den traumartigen Gestus verlassen und dann zurückkehren in die ruhige Athmosphäre der Akkordreihe. Die Aktionen unterscheiden sich in ihrer Geschwindigkeit, ihrer Gesamtdauer und ihrer Instrumentierung. Je kürzer und schneller sie sind, desto klarer unterscheiden sie sich von dem akkordischen Hintergrund; werden sie länger und langsamer verschwimmen sie mit dem Hintergrund. Es entsteht dann der Eindruck eines An- und Abschwellens. So wird die kontrapunktische Unterscheidung zwischen dem nebelartig schreitenden Hintergrund und der scharf schnellen Aktion im Laufe des Stückes immer unklarer und weniger trennbar.
 Der Dirigent und Freund Lindbergs, Esa-Pekka Salonen, hat das Stück nicht nur uraufgeführt, sondern auch mit dem Philharmonia Orchestra eingespielt, die Aufnahme wurde 2002 bei Sony Classical Records veröffentlicht.


Susanne Mälkki

Leitung: Susanne Mälkki

Sie wurde zunächst als Cellistin ausgebildet und studierte anschließend Dirigieren in Helsinki. Von 1995 bis 1998 war sie Solo-Cellistin der Göteborger Symphoniker, bevor sie sich ganz dem Dirigieren zuwandte. Ab 2002 war sie Chefdirigentin des Stavanger Symphonieorchesters, ab 2006 leitete sie das Pariser Ensemble Intercontemporain. Sie brachte dort zahlreiche neue Kompositionen zur Uraufführung und wirkte an Musiktheaterproduktionen mit Werken von Kaija Saariaho und Morton Feldman mit. 2013 wurde sie Erste Gastdirigentin des Gulbenkian-Orchesters Lissabon, seit September 2014 Chefdirigentin der Helsinkier Philharmoniker.