Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 25. März 2021


Magnus Lindberg: 1. Violinkonzert

Magnus Lindberg
Magnus Lindberg (* 1958 in Helsinki)

Magnus Lindberg studierte ab 1973 Klavier, später Komposition an der Sibelius-Akademie in Helsinki bei Einojuhani Rautavaara und Paavo Heininen. Er besuchte Sommerkurse in Siena bei Franco Donatoni und Darmstadt bei Brian Ferneyhough und schloss 1981 sein Studium ab. Es folgte eine ausgedehnte Reise durch Europa, die verschiedene musikalische Erfahrungen und private Studien bei Vinko Globokar und Gérard Grisey in Paris umfasste.
 Lindbergs Entwicklung ist durch verschiedene Phasen gekennzeichnet. Die Werke seiner Studienzeit waren streng konstruiert, er untersuchte automatische Kompositionsprozesse und die Möglichkeit der seriellen Technik. Ab 1978 wandte er sich freieren, mehr spontanen Kompositionsprozessen zu, setzte Elektronik und Musique Concrète ein und erweiterte sein formales Repertoire.
 In dieser Zeit gründete Lindberg zusammen mit den Kommilitonen Esa-Pekka Salonen und Kaija Saariaho zwei Organisationen: Korvat Auki („Ohren auf“) war ein Treffpunkt für alle, die sich für aktuelle Trends in der zeitgenössischen Musik interessieren, Konzerte, Seminare usw. veranstalten. Toimii („Es funktioniert!“) war ein Ensemble, das sich der Improvisation und der Erforschung neuer Klänge widmete – „ein Labor, in dem Komponisten und Instrumentalisten an neuen musikalischen Ausdrucksmitteln zusammenarbeiten“.
 Anfang der 1980er Jahre beschäftigte sich Lindberg zunehmend mit der Bewältigung großer Klangmassen. In Kraft (1983-85) harmonisierte er bis zu 70 Töne in einer Partitur von einem Meter Höhe. Er benutzte darin die Struktur eines Chaconne-Typus, bei der der Verlauf des Stücks auf einer wiederholten Akkordkette basiert. Diese Idee diente als Grundlage für die Orchestertrilogie Kinetics (1988), Marea (1989–90) und Joy (1990). Obwohl Lindberg sich weniger für elektronische Manipulation von Klängen interessierte, erforschte er die Möglichkeiten kompositorischer Software, und Engine (1996) zeigte komplexe, vom Computer erzeugte Kontrapunkte. Anfang der 90er Jahre sah er die Gefahr einer scheinbaren Oberflächlichkeit seiner Werke – er selbst sprach von „Hollywood“ – und beschäftigte sich daher intensiv mit der Rhythmik Stravinskijs und arbeitete nun zunehmend mit pulsierenden Rhythmen, Orientalismen, monumentalen Formen, versteckten Zitaten und historischen Hinweisen.
 Lindberg baute seitdem auf diesen Entwicklungen auf und verfeinerte seinen Stil weiter, der sich nun zu einer Art neuer Tonalität neigte, die bereits in Werken wie Joy und Aura (1994) angedeutet war. Diese Entwicklung kulminierte in einer seiner bisher populärsten Partituren, seinem Klarinettenkonzert (2002), das eine folkloristische Melodie und eine reiche Orchestrierung aufweist. Eines seiner jüngsteren Werke, Two Episodes wurde 2016 bei den BBC Proms uraufgeführt. Es ist ein Begleitstück zu Beethovens Neunter Symphonie, das Anspielungen sowohl auf die Symphonie als auch auf andere Werke des Komponisten enthält. Ähnlich verhält es sich mit dem Stück Parada (2001) mit Anspielungen auf das Werk Jean Sibelius’. Das Violinkonzert, komponiert für ein Mozart-Festival, weist mit Ausnahme der im 18. Jahrhundert üblichen, kleinen Orchesterbesetzung aus Oboen, Fagotten, Hörnern und Streichern sowie der 3-sätzigen – allerdings durch pausenlose Übergänge verschleierten – Anlage wenig Verbindungen zu Mozart auf.



1. Violinkonzert (2006)

Orchesterbesetzung: Solo-Violine – 2 Oboen, 2 Fagotte – 2 Hörner –Streicher (8-6-5-4-3)
Spieldauer: ca. 27 Min.
Sätze: drei Sätze ohne Bezeichnung
Auftrag: Mostly Mozart Festival, New York, zum 250. Mozarts Geburtstag.
Uraufführung: 22. August 2006, New York, Lisa Batiashvili, Violine; Louis Langrée, Ltg.

Kann man als finnischer Komponist dem Vergleich mit Sibelius entgehen? Vielleicht nicht. Aber vielleicht legt man es auch darauf an? Der erste Satz knüpft jedenfalls ganz offensichtlich an das Sibelius’sche Violinkonzert an. Es ist geprägt von hohen nur gelegentlich bewegten Liegeklängen der vielfach geteilten Streicher und einer weitschweifigen melodischen Bewegung der Solo-Violine, zusammengesetzt aus Arpeggien, Läufen, mit Glissandi angereichert und ständig im Tempo wechselnd, ohne rhythmische Akzente. Nur wenige Gewichte kommen aus der Tiefe, diese dann aber natürlich sehr markant.
 Ohne Satzpause beginnt der 2. Satz deutlich mit einem Staccato-Motiv der Bläser und dazwischen gesetzten einzelnen Streicherakkorden. Mit dem Einsatz der Solo-Violine erscheinen wieder ähnliche Strukturen wie im ersten Satz. Am Ende steht eine Solo-Kadenz, der in der zweiten Hälfte einige tiefe Kontrabass-Töne hinzugefügt werden.
 Der dritte Satz schließt ebenfalls ohne Satzpause an die Solo-Kadenz an, man hört die Bläser mit einem schnellen Triolen-Rhythmus. Daraus entwickelt sich alsbald ein markantes rhythmisches Spiel im Wechsel zwischen Orchester und Solo-Geige, das nun an Stravinskij erinnert. Mit Verbreiterung des Tempos bringen die Bläser das Anfangsmotiv der Solo-Violine aus dem ersten Satz. Dies mündet in einen Liegeklang, aus dem sich ein letzter Aufwärtslauf der Solo-Violine löst, um dann mit den Schlussakkorden zu enden.
 Der Solopart ist überaus virtuos gestaltet, hier wechseln gefühlige Passagen auf der G-Saite mit rasanten Figurationen in den höchsten Tönen, vertrackte Doppel-, Dreifach- und Vierfachgriffe mit kraftvolle Oktavparallelen und in der großen Solokadenz, die Motive des Werkes reflektiert, werden gleichermaßen singende wie technische Qualitäten gefordert.


Andrés Orozco-Estrada

Leitung: Andrés Orozco-Estrada

1977 in Medellín, Kolumbien geboren. Er begann seine Ausbildung mit Violinunterricht. Als 15jähriger erhielt er den ersten Dirigierunterricht. Von 1997 bis 2003 studierte er an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Wien, in der Dirigierklasse von Uroš Lajovic, einem Schüler des legendären Hans Swarowsky. 2004 sprang Orozco-Estrada kurzfristig bei einem Festwochen-Konzert des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich im Wiener Musikverein ein. Dieses Konzert, nach dem Orozco-Estrada von der Wiener Presse als „das Wunder von Wien“ gefeiert wurde, führte zu einer intensiven Zusammenarbeit mit dem Orchester, sowie zu Einladungen zahlreicher internationaler Orchester. 2007 wurde er Chefdirigent des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich. Mit der Saison 2014/2015 folgte er Paavo Järvi als Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters und wurde Musikdirektor der texanischen Houston Symphony. Ab der Saison 2021/22 wird er Chefdirigent der Wiener Symphoniker als Nachfolger von Philippe Jordan.

Pekka Kuusisto

Violine: Pekka Kuusisto

Der finnische Geiger wurde 1976 geboren. Mit 3 Jahren erhielt er den ersten Violin-Unterricht. Ab 1985 studierte er in Helsinki bei Tuomas Haapanen. 1992 bis 1996 studierte er bei Miriam Fried und Paul Biss an der Indiana University School of Music. Zusammen mit seinem Bruder leitet er das Lake Tuusula Chamber Music Festival in Finnland. Neben der klassischen Musik beschäftigt er sich auch mit Folk, Jazz und elektronischer Musik.
Er spielt eine Violine von Giovanni Battista Guadagnini aus dem Jahr 1752.