Einführung zum Livestream-Konzert des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 20. Mai 2021


James MacMillan: Larghetto for Orchestra

James MacMillan
James MacMillan (* 1959 in Kilwinning, Schottland)

MacMillan wurde in Kilwinning, North Ayrshire, Schottland, geboren, lebte bis 1977 in Cumnock, South Ayrshire. Er studierte bis 1987 Komposition an der Universität Edinburgh bei Rita McAlister und an der Durham University bei John Casken. Zwischen 1986 und 1988 lehrte er an der Universität Manchester. Danach kehrte er nach Schottland zurück, um eine Stelle als Associate Composer beim Scottish Chamber Orchestra anzunehmen.
 Erste Bekanntheit erlangte MacMillan mit dem Orchesterwerk The Confession of Isobel Gowdie, das im Jahr 1990 bei den „Proms“, einem mehrwöchigen britischen Festival klassischer Musik, vom BBC Scottish Symphony Orchestra uraufgeführt wurde. Dadurch bekam er mehrere Aufträge, etwa ein Konzert für Schlagzeug, Veni, veni, Emmanuel, für die schottische Musikerin Evelyn Glennie, das 1992 uraufgeführt wurde; es wurde fast 500 mal aufgeführt und zählt damit zu seinen am häufigsten gespielten Stücken.
 James MacMillan's Kompositionen sind durchdrungen von spirituellen und politischen Elementen. Der Katholizismus ist ein zentrales Element seiner Musik, die sakrale Instrumental- und Chormusik ein wichtiger Bestandteil seines Werkes, wie z.B. das Magnificat (1999), und mehrere Messen. MacMillan und seine Frau sind Laien-Dominikaner. Ferner orientiert sich MacMillan an traditioneller schottischer und keltischer Musik, was in seinen Werken immer wieder deutlich herauszuhören ist. Dazu finden sich fernöstliche, skandinavische und osteuropäische Einflüsse. Als das schottische Parlament 1999 nach 292 Jahren zum ersten Mal wieder zusammenkam, begleitete eine von MacMillan komponierte Fanfare Königin Elizabeths Eintritt in den Plenarsaal. Einige Wochen nach der Eröffnungszeremonie hielt MacMillan eine öffentliche Rede mit dem Titel „Scotland's Shame“, in der er das Unabhängigkeitsbestreben in Schottland scharf attackierte.
 MacMillans Musik zeichnet sich durch die Mischung vieler verschiedener Stile aus. Aus kantigen, freitonalen Klängen entwickeln sich plötzlich tonale Melodien, die an Wagner erinnern, zerrissene Rhythmen gehen in improvisatorische Lyrizismen oder komplexe Polyphonie über, grelle, aggressive Klangfarben stehen neben feinen, brüchigen Mustern oder samtiger Gefühligkeit, herkömmliche Instrumentation steht neben der Verwendung von Hupen, Trillerpfeifen, Rasseln usw. Bei alledem ist immer die Absicht zu erkennen, mit der Musik „Geschichten“ zu erzählen.
 2000 bis 2009 war er Komponist und Dirigent der BBC Philharmonic, bis 2013 Chefdirigent der Radio Kamer Filharmonie, einem 2013 aufgelösten Kammerorchester des Niederländischen Rundfunks. Im Januar 2004 wurde ihm der Verdienstorden Commander of the British Empire (CBE) zuerkannt. 2015 wurde er in den Ritterstand erhoben. Seine Werke erscheinen exklusiv bei Boosey & Hawkes.



Larghetto for Orchestra (2017)

Orchesterbesetzung: 2 Flöten, Oboe, Englischhorn, 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, als Fernorchester: 1 Horn, 1 Trompete, 1 Posaune – Pauken, 2 Schlagzeuge, Harfe – Streicher
Spieldauer: ca. 13 Min.
Widmung: Manfred Honeck
Uraufführung: 27. Okt. 2017; Heinz Hall, Pittsburgh, PA; Pittsburgh Symphony Orchestra; Manfred Honeck – Ltg.

Das Larghetto for Orchestra ist eine Orchestrierung der Komposition Miserere mei für Chor mit geteilten Stimmen und Soli. Sie folgt sehr genau und ohne größere Zusätze der Ursprungskomposition. Miserere mei ist eine Vertonung von Psalm 51 mit dem vollständigen, lateinischen Text der Vulgata, die 2009 für das Ensemble The Sixteen und seinen Leiter Harry Christophers komponiert wurde. Das Ensemble hat die Komposition alsbald für das Label CORO eingespielt. Bereits Josquin des Prez, Orlando di Lasso, William Byrd, Gregorio Allegri und Georg Friedrich Händel hatten den Psalm vertont, allerdings hatte nur Allegri den vollständigen Text verwendet.
 Die Larghetto-Orchestrierung wurde vom Pittsburgh Symphony Orchestra in Auftrag gegeben, um das 10-jährige Jubiläum von Manfred Honeck als Musikdirektor zu feiern.
 Das Stück beginnt mit vier Cello-Stimmen, die sich aus einem Einklang heraus voneinander lösen. Die unteren Stimmen bilden eine fast unbewegliche Bordun-Begleitung, während die oberen Stimmen einen melancholischen modalen Melodie-Bogen in e-Moll spielen, der sich nach a-Moll weiterentwickelt. In das Verklingen dieses Abschnitts hinein übernimmt die Oboe zusammen mit der Viola den Anfang der Cello-Oberstimme, diese wird abgelöst durch die beiden Violinen, die versetzt nacheinander einsetzen und nun freiere Variationen der Ursprungsmelodie spielen. Nach einer Weile vereinigen sich die beiden Oboen-Stimmen mit den Violinen und die tiefen Streicher und das Blech bringen eine Akkordbegleitung, die ohne Bewegung sehr leise für eine Weile steht. Es bleiben die Oboen mit den Violinen übrig, die Oboen werden von den Klarinetten abgelöst. Und wieder erscheinen die tiefen stehenden Akkorde, die diesmal im pianissimo ausklingen.
 Ein plötzlicher fortissimo-Ausbruch setzt zwei rhythmische Bewegungen gegeneinander; er mündet in ein großes Unisono, das in der Tiefe verebbt, um sich mit den Streichern erneut aufzubäumen zu einem Fanfarenstoß. Ein kurzer homophon gesetzter, sequenzierend verlaufender Diminuendo-Abschnitt beendet diesen ersten Abschnitt choralartig.
 Die Harfe bringt eine neue Klangfarbe, sie spielt zusammen mit den Streichern stehende Akkorde, über denen sich mehrere Soli ablösen, die jeweils quasi psalmodierend einen Ton wiederholen, um mit zwei oder drei Harmonie- und Tonwechseln zu enden. In der Miserere-Partitur lösen sich hier Frauen und Männerstimmen ab. Im Larghetto teilen sich Horn und Trompete diese Rollen. Dazu hat Manfred Honeck – wohl in Absprache mit dem Komponisten – hier drei Blechbläser als Fernorchester eingebaut, die in der ursprünglichen Partitur nicht enthalten sind.
 Wie eine Reprise erscheinen nach einer Generalpause die vier Cello-Stimmen des Anfangs jetzt eine Quart höher. Auch die beiden Oberstimmen erscheinen wieder, diesmal allerdings ganz anders instrumentiert. Die Stimmen werden hier auf mehrere Instrumente verteilt, Trompete, Oboe, Flöten, Klarinette. Und bereits im achten Takt dieser Oberstimme splittet sich die Stimme auf in eine große homophone, akkordische Bewegung im fortissimo ausgehend von den Blechbläsern, zu denen die Holzbläser nur einzelne spitze Triller beisteuern, ein Höhepunkt, der schnell wieder verebbt. Es schließt sich erneut eine Passage psalmodierender Soli an, die jetzt jedesmal in einen kleinen Abschnitt einer Melodie münden, wie sie am Anfang in den Oberstimmen erklungen sind.
 Der Schluss wird eingeleitet mit dem Cello-Motiv des Anfangs, jetzt in E-Dur und alle Instrumente einbeziehend. Noch einmal kommt es zu einem Höhepunkt, ein absteigend sequenziertes Motiv führt zurück in die Tiefe und in einen leise verklingenden E-Dur-Akkord.


Manfred Honeck

Leitung: Manfred Honeck

Der gebürtige Österreicher ist 1958 geboren und begann seine musikalische Tätigkeit als Bratschist bei den Wiener Philharmonikern und an der Wiener Staatsoper. Nach ersten Dirigiererfahrungen mit dem Jeunesse Musicales Orchestra in Wien sowie als Assistent von Claudio Abbado beim Gustav Mahler Jugendorchester wurde er Kapellmeister am Opernhaus Zürich, später Musikdirektor der Oper in Oslo. Von 2007 bis 2011 war er Generalmusikdirektor an der Staatsoper Stuttgart. Seit 2008/09 Music Director beim Pittsburgh Symphony Orchestra. Anfang des Jahres wurde er von europäischen Fachmedien als „Künstler des Jahres“ gewählt.