Einführung zu den Konzerten des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 2. und 3. Dezember 2021


Wolfgang Amadeus Mozart: Symphonie Nr. 38, D-Dur („Prager“) KV 504

Wolfgang Amadeus Mozart
Wolfgang Amadeus Mozart (* 1756 in Salzburg; † 1791 in Wien)

Nach den heftigen Auseinandersetzungen mit seinem Salzburger Dienstherren und dem gräflichen „Fußtritt“ kündigte Mozart im Juni 1781 seinen Dienst und ließ sich als unabhängiger Komponist und Musiklehrer in Wien nieder, ständig auf der Suche nach Auftraggebern, Klavierschülern und Kompositionsaufträgen. Er scheute sich nicht, auf Vorrat zu arbeiten. Die ersten Jahre dieser Wiener Zeit waren durchaus auch finanziell erfolgreich.
 1782 wurde das von Kaiser Joseph II. in Auftrag gegebene deutsche Singspiel Die Entführung aus dem Serail in Wien uraufgeführt, er heiratete gegen den Willen seines Vaters Constanze Weber und er lernte Gottfried van Swieten kennen, einen ausgewiesenen Musikliebhaber und Präfekten der kaiserlichen Bibliothek, der heutigen Österreichischen Nationalbibliothek. Dieser machte ihn bei den regulären Sonntagskonzerten in van Swietens Räumen in der kaiserlichen Bibliothek mit den Manuskripten Johann Sebastian Bachs und Georg Friedrich Händels bekannt, die er in Berlin gesammelt hatte.
 Die Begegnung mit diesen Barockkomponisten machte einen tiefen Eindruck auf Mozart und hatte umgehend großen Einfluss auf seine Kompositionen. 1784 trat er den Freimaurern bei. Speziell in seinen Opern Die Zauberflöte und Le nozze di Figaro sind gesellschaftskritische Töne aus dieser Mitgliedschaft zu spüren, die vielleicht mit dazu beigetragen haben, dass es Mozart nach der Uraufführung des Figaro finanziell nicht mehr so gut ging, allerdings spielte auch der ungünstig verlaufende 8. Österreichische Türkenkrieg gegen das Osmanische Reich eine Rolle. Mit der Aufführung des Figaro 1786, die Joseph II. trotz des systemkritischen Inhalts freigab, überforderte er das Wiener Publikum, so dass es sich von ihm zurückzog. So verschlechterte sich seine wirtschaftliche Situation, ohne dass er dieser Tatsache mit seinen Ausgaben Rechnung trug. Trotz des vorherigen Wohlstandes hatte er keine Ersparnisse angesammelt und musste mehrfach von Freunden Geld leihen. Erfolg hatte er in dieser Zeit nur in Prag.
 Es ist unklar, für welche Gelegenheit Mozart die Symphonie Nr. 38 schrieb, ob für eine Wiener Akademie oder eine Aufführung im Ausland. Das Finale hatte er bereits im Frühjahr 1786 begonnen. Die Einladung nach Prag durch eine „Gesellschaft grosser kenner und Liebhaber“ kam erst nach der Fertigstellung des Werkes und wird daher wohl nicht der Auslöser für die Komposition gewesen sein. Es wird jedoch vermutet, dass Mozart die Symphonie möglicherweise für die Reise nach Prag komponiert habe. Als „Prager Symphonie“ wurde sie erst nach der Uraufführung dort bezeichnet.



Symphonie Nr. 38, D-Dur („Prager“) KV 504 (1786)

Orchesterbesetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Fagotte - 2 Naturhörner, 2 Naturtrompeten - Barock-Pauken - Streicher
Spieldauer: ca. 30-35 Min.
Sätze1. Adagio - Allegro
2. Andante
3. Presto
Uraufführung: 19. Januar 1787 in Prag.

Dieses Werk, das zeitgleich mit der Komposition des Figaro und des Don Giovanni entstand, trägt die Spuren der Opern, ebenso wie das Klavierkonzert Nr. 25 in C-Dur, KV 503. Es ist viel spekuliert worden, warum es kein Menuett enthält.
 Die gravitätische Einleitung beginnt als unisono-D mit Trommelwirbel. Mit auftaktigen Schleifern wird dieses D viermal wiederholt. Es schließen – im Wechsel von Bläsern und Streichern sowie von forte und piano – Vorhalte mit ihren Auflösungen und kadenzartige, chromatische Figuren an. Mit dem Wechsel nach d-Moll folgt ein neues Motiv: Synkopen in den Violinen und eine markante Dreiklangs-Bassfigur im forte wechseln mit einer aufsteigenden, mit Doppelschlägen verzierten Figur der 1. Violine und einem Liegeton des Fagotts im piano. Die Einleitung endet in einer chromatischen Figur abwärts. Das Adagio ist die längste Einleitung, die Mozart je geschrieben hat.
 Nach einem Takt begleitenden Ostinatos der 1. Violine beginnt das erste Thema des Allegros gesanglich-ruhig im piano in den übrigen Streichern. Alsbald löst sich die 1. Violine aus ihrer Begleitung und spielt eine auftaktig-energische Figur. Den Themenabschluss bildet eine kurze Bläserfanfare im forte mit Oktavsprung aufwärts und fallender Tonleiter. Das Thema wird dann ohne die Bläserfanfare, aber mit Gegenbewegung in der Oboe wiederholt. Es schließt ein längerer forte-Block an mit Zunahme der Sechzehntel-Figuren und imitatorischer Verdichtung. Kurz scheint das Anfangsmotiv der 1. Violine auf, doch schnell tritt ein neues Motiv aus aufsteigenden Dreiklangsfloskeln auf. Anstelle des erwarteten zweiten Themas setzt erneut das erste Thema als Variante in A-Dur ein. Der erste Themenblock kombiniert noch einmal mehrere Motive und löst dann die mehrstimmige Struktur durch Sechzehntel-Läufe in den Violinen auf. Das zweite, achttaktige Thema besteht aus wiederholten, gebrochenen Dreiklangsfiguren mit Liegeton, einer gewunden-chromatischen Figur und schließender Kadenzfloskel. Es wird in a-Moll mit Fagottbeteiligung wiederholt und geht dabei in der zweiten Hälfte als Erweiterung mit Bläserbeteiligung in ein neues Motiv über. Die Schlussgruppe kombiniert mehrere Motive des ersten Themenblocks. Die Exposition wird wiederholt.
 Die Durchführung ist nur etwa halb so lang, wie die Exposition. Die Themen der Symphonie werden nach markanten Einsätzen kontrapunktisch kombiniert und gegeneinander gesetzt. Die Reprise verzichtet auf den forte-Block und die Wiederholung des Hauptthemas. Gleich zu Beginn der Reprise ist das A vom Themenbeginn zum Ais verschärft, die Oboen-Gegenstimme in der Wiederholung des Themas enthält einen kurzen Dur-Moll-Kontrast und die Schlussgruppe ist ausladender gestaltet. Durchführung und Reprise werden wiederholt.

 Das Andante beginnt mit einer kantablen Melodie der Streicher im piano, die zweimal in chromatische Sechzehntel-Läufe mündet. Dann setzt ein neues, für den weiteren Satzverlauf wesentliches Staccato-Achtelmotiv im Streicherunisono ein. Dieses Motiv wird von der 1. Violine aufwärts sequenziert, von den Bässen im Kanon unterlegt und begleitet vom Tremolo der übrigen Streicher. Mit fünf schweren Achtelschlägen der Bläser auf H im forte kündigt sich eine Modulation nach e-Moll an, die in der folgenden Streicherkadenz modulierend nach A-Dur führt. Das zweite Thema wird von den Streichern piano vorgestellt. Es ist gesanglich, strebt aufwärts und wechselt zwischen legato und staccato. In der Wiederholung des Themas wird die Schlusswendung von den solistischen Bläsern kurz weitergeführt, dann greifen Oboe, Fagott und Streicher im Frage-Antwort-Dialog die Themenfigur als Variante auf. Ein kurzes Motiv mit Tonrepetition beendet die Exposition. Nach Wiederholung der Exposition führt die Durchführung zunächst das Schlussmotiv vom Ende der Exposition weiter. Dann wird das erste Thema in verschiedenen Tonarten vorgestellt, mit einer Variante des staccato-Achtelmotivs angereichert, bei dem die Bläser dissonante Einwürfe machen. Nach dem letzten Auftritt des ersten Themas in e-Moll folgt ein mehrstimmiger Abschnitt, bei dem das Achtelmotiv versetzt, in Gegenbewegung und chromatischen Änderungen verarbeitet wird. Über Terzfiguren erfolgt die Überleitung zur Reprise. Diese weist keine Wiederholung des ersten Themas auf, manche Tonhöhen und Harmonien sind leicht verändert. Die letzten Takte können als kleine Coda angesehen werden: Sie greifen nochmals das Achtelmotiv auf, das ein letztes Mal die Instrumente durchläuft. Der Satz endet mit dem Motiv im Bass und im pianissimo. Durchführung und Reprise werden nicht wiederholt.

 Das erste Thema des Prestos ist symmetrisch aus zwei achttaktigen Hälften aufgebaut: Zuerst drei auftaktige Achtel zu einer halben Note und eine in Synkopen fallende Linie, dann eine Pendelfigur. Ein forte-Block unterlegt das Hauptmotiv im tutti mit Paukenwirbel und wechselt zur Dominante. Danach wird das Thema wiederholt, aber mit ganz anderer Klangfarbe: In d-Moll und nur von den Flöten, Oboen und Fagott. Ein weiterer forte-Block beginnt ähnlich wie der vorige mit dem Hauptmotiv, moduliert aber in das A-Dur des ungewöhnlich langen zweiten Themas. Dies besteht aus sechzehn Takten, in viermal anderer Besetzung. Es folgt eine Wiederholung mit reicherer Instrumentierung. Noch einmal erscheint das erste Thema mehrfach variiert. Die Schlussgruppe enthält neben dem Hauptthema ein neues Trillermotiv in den Violinen und beendet die Exposition mit Akkordmelodik und Tremolo. Die Durchführung setzt vier Takte forte im tutti gegen vier Takte des Beginns vom ersten Thema im piano in den Holzbläsern gegeneinander. Es folgt eine dichte kontrapunktische Verarbeitung der Themen. Die Reprise ändert Instrumentalbesetzung und Charaktere, der Moll-Abschnitt setzt krachend im tutti jetzt in g-Moll ein. Exposition sowie Durchführung und Reprise werden wiederholt.


Philippe Herreweghe

Leitung: Philippe Herreweghe

wurde 1947 in Gent geboren. Er studierte am Genter Konservatorium Klavier, Cembalo und Orgel. Danach studierte er Medizin und spezialisierte sich auf Psychiatrie. Während seiner Studienzeit leitete er einen Chor. Sein Ensemble, das anfangs noch Amateurstatus hatte, fand bei Musikern wie Nikolaus Harnoncourt oder Gustav Leonhardt Beachtung. So wirkte er an Harnoncourts Gesamteinspielung der Bachkantaten mit.
 Er gehört zu den wichtigen Protagonisten der historischen Aufführungspraxis. Mit verschiedenen Chören und Ensembles beschäftigte er sich vor allem mit vorbarocker Musik, mit den Bachschen Kantaten und der französischen Barockmusik des 17. Jahrhunderts. 1982 übernahm er die künstlerische Leitung des Festivals für Alte Musik in Saintes. Seit 1999 ist er erster Dirigent der „Königlichen Philharmonie von Flandern“ mit Sitz in Antwerpen. 2010 erfolgte die Gründung des eigenen CD-Labels „phi“. Die erste Aufnahme galt Gustav Mahlers 4. Symphonie.