Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 25. April 2018


Franz Schmidt: Symphonie Nr. 4

Franz Schmidt
Franz Schmidt (* 1874 in Bratislava, † 1939 Perchtoldsdorf bei Wien)

Schmidt wuchs in Bratislava zweisprachig (deutsch und ungarisch) auf und erhielt früh von seiner Mutter Klavierunterricht. Er galt als pianistisches Wunderkind und konzertierte bald. 1888 musste die Familie aufgrund einer undurchsichtigen Betrugsaffäre seines Vaters nach Wien umsiedeln, wo Schmidt als Hauslehrer zum Familieneinkommen beitragen musste, gleichzeitig aber am Conservatorium der Musikfreunde Violoncello, Musiktheorie und Komposition studieren konnte. 1896 wurde er als Cellist in die Orchester der Wiener Hofoper und der Philharmoniker berufen. Ab 1901 unterrichtete er im Conservatorium, 1911 erhielt er ordentliche Professuren für Violoncello, Klavier, Kontrapunkt und Komposition. Neben seiner Lehrtätigkeit komponierte er zahlreiche Werke, für die er einige Preise erhielt.
 1899 hatte Schmidt seine Jugendfreundin Karoline Perssin geheiratet, die bald Anzeichen einer Geisteskrankheit zeigte, ab 1919 in einer Wiener Heilanstalt lebte und 1942 während der „Euthanasiekampagne“ ermordet wurde. Aus dieser Ehe entstammte die Tochter Emma (* 1902), die kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes 1932 starb. Unter diesem Schicksalsschlag brach Schmidt – ohnehin gesundheitlich angeschlagen – total zusammen. Er konzipierte seine 4. Symphonie als „Requiem für meine Tochter“.
  Anlässlich seines 60. Geburtstages erhielt er den Dr. h.c. der Universität Wien und wurde „Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker“.
  Nach der unaufhörlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands zog er sich in seine Villa in Perchtoldsdorf zurück. Von 1935 bis 1937 arbeitete er an der Konzeption eines Oratoriums apokalyptischen Inhalts, Das Buch mit sieben Siegeln. Die Uraufführung fand schon in der „Ostmark“ statt. Die neuen Machthaber legten ihm unter Drohungen die Komposition einer Kantate Deutsche Auferstehung nahe. 1938 verbrachte Schmidt in verschiedenen Krankenhäusern, vollendete noch zwei Werke für den einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein, mit er schon in den 20er Jahren häufig zusammengearbeitet hatte, gab einigen seiner Schüler Empfehlungsschreiben für eine neue Existenz in den Vereinigten Staaten und begann sich mit der verhängnisvollen Kantate zu befassen. Die Uraufführung erfolgte erst nach seinem Tod im Musikverein. Das Werk aber blieb als Makel an dem Komponisten hängen.



Symphonie Nr. 4, C-Dur (1932-33)

Orchesterbesetzung: 2 Flöten (1 auch Piccolo), 2 Oboen, Englischhorn, kleine Klarinette, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott – 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Kontrabass-Tuba – Pauken, 3 Schlagzeuge, 2 Harfen – Streicher (16-14-12-10-8)
1 Satz: Allegro molto moderato – Adagio – Molto vivace – Tempo I
Spieldauer: ca. 50 Min.
Widmung: Oswald Kabasta gewidmet
Uraufführung: 10. Januar 1934 in Wien, Wiener Symphonisches Orchester, Ltg.: Oswald Kabasta,

Die vier Sätze der vierten Symphonie, die ohne Unterbrechung gespielt werden, bilden damit einen einzigen großen Satz, in dem die sinfonische Viersätzigkeit mit den Prinzipien der Sonatenhauptsatzform miteinander verknüpft sind. Diese Idee war vorher bereits von Dvořák in seiner Karnevals-Ouvertüre und von Schönberg in der Ersten Kammersymphonie ausgeführt worden. Die Symphonie beginnt und endet mit einem einsamen Trompetensolo, von dem der Komponist meinte, es sei „die letzte Musik, die man ins Jenseits mitnimmt“. Tonal entwickelt sich der erste Abschnitt in harmonischen Wanderbewegungen von C-Dur nach Fis, der am weitest entfernten Tonart. Zwischen Fis-Dur und fis-Moll pendelt der Einsatz des lyrischen Seitenthemas, das mit Anklängen an Ländler-Tänze deutlich heller wird. Am Ende steht ein sehr kurzes Vivace, um dann ins Adagio zu führen.
  Dies beginnt mit dem Solocello, das in einen grandiosen Trauermarsch übergeht und schließlich mit der Anfangsmelodie, diesmal in den Holzbläsern und der Solovioline zurückkehrt.
  Ein kurzer Epilog des Solocellos führt in den „Molto vivace“-Abschnitt, der im sinfonischen Gefüge den Platz des Scherzos einnimmt, im Satzzusammenhang aber die Durchführung. Doch ein Scherzando ist nicht in Schmidts Sinn. Stattdessen schreibt er ein Fugato mit einem temperamentvollen, spielerischen Thema, zuerst von den Bratschen eingeführt. Wenig später taucht in den hohen Holzbläsern das sehnsüchtige Thema des Anfangs auf und überlagert dies Fugato. Das Scherzo-Thema verschmilzt schließlich mit der wehmütigen Idee in einer neuen Melodie, die Elemente aus beiden verbindet. Dreimal beginnt das Fugato und jedesmal wird es von diesem chromatischen Thema „abgefangen“. Die Geschwindigkeit wird gesteigert. Schließlich gibt es in der Coda des Scherzos etwas, das der Komponist selbst als „Katastrophe“ bezeichnet hat: Ein plötzliches, scharf dissonantes Fortissimo, das von dem ganzen Orchester gespielt wird und nach und nach in die Stille mündet.
  Der vierte Satz wird nach einigen Zitaten und Anspielungen zu einer Reprise. Das Anfangsthema wird variiert jetzt vom Horn gespielt mit einer mysteriösen Paukenbegleitung. Unter weiteren Umordnungen, Variationen und Kürzungen sei eine hervorgehoben: Im ersten Satz gab eine bemerkenswert starke C-Dur-Kadenz, eine Stelle mit klaren Tonika-Akkorden. Im Schluss-Satz wird diese Kadenz unterbrochen und statt des hellen C-Dur hören wir eine verlangsamte, chromatische Figuration, die schließlich in das Trompetensolo des Anfangs führt. Die Symphonie endet mit dem Klang einer einzelnen Trompete – ein Ende, das von dem Komponisten als „in Schönheit sterbend, mit dem ganzen Leben im Rückblick“ beschrieben wird.


Paavo Järvi

Leitung: Paavo Järvi

stammt aus einer Musikerfamilie und wurde 1962 in Tallinn (Estland) geboren. Er studierte zunächst Schlagzeug und Dirigieren in Tallinn. 1980 übersiedelte er mit seiner Familie in die USA, um dort in Philadelphia und Los Angeles – dort bei Leonard Bernstein – sein Studium fortzusetzen. Gleichzeitig spielte er Schlagzeug in Erkki-Sven Tüürs kammermusikalischem Rockensemble „In Spe“, einer in Estland beliebten Rockgruppe. Ab 1995 widmete er sich mehr dem Dirigieren, zunächst als Orchesterleiter in Stockholm, später in Cincinnati, Bremen und von 2006 bis 2013 als Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters und seitdem sein „Conductor laureate“. Danach dirigierte er Orchester in Paris und Tokio, ab der Spielzeit 2019/20 wird er neuer Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Tonhalle-Orchesters Zürich.