Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 12. Dezember 2018


Franz Schubert: Sinfonie Nr. 1, D-Dur

Franz Schubert
Franz Schubert (* 1797 im Himmelpfortgrund bei Wien; † 1828 in Wien)

Wie der Vater sollte Franz Schubert Lehrer werden und eine musikalische Grundbildung gehörte damals selbstverständlich zum Lehrerberuf. Er erhielt daher früh Violin- und Klavierunterricht, darüber hinaus Unterweisung im Gesang und im Generalbass. 1808 war er erster Sopranist des Chores in Lichtenthal. Nach dem Zeugnis seines Bruders Ferdinand sollen ab 1808 bereits erste Kompositionen entstanden sein. Nach der Prüfung durch den Hofkapellmeister Antonio Salieri erhielt er im Herbst 1808 eine Sopranistenstelle in der k.k. Hofkapelle. Damit war ein Freiplatz am Konvikt und am Akademischen Gymnasium in Wien verbunden. Im Konvikt spielte die Musik eine gewichtige Rolle. Schubert sang nicht nur, er spielte auch Kammermusik und lernte als Geiger im Orchester Sinfonien und Ouvertüren von Haydn, Mozart und Beethoven kennen. Ab 1812 und mindestens bis Dezember 1816 unterrichtete Antonio Salieri ihn zusätzlich in Komposition, Partitur-, Generalbass-Spiel und Gesang. Als seine Leistungen vor allem in Mathematik nachließen und er aufgrund seines Stimmbruches als Sängerknabe nicht mehr zur Verfügung stand, verließ er 1813 die Schule auf eigenen Wunsch und besuchte nun stattdessen die k.k. Normal-Hauptschule (Lehrerbildungsanstalt) St. Anna. Im August 1814 legte er dort die Abschlussprüfung ab und erhielt damit die Lehrbefähigung als Schulgehilfe.
 Herbst 1814 an war er an der Schule seines Vaters tätig. Während sein Freund Josef von Spaun, den er im Konvikt kennen gelernt hatte und der zu einem lebenslangen Förderer wurde, berichtet, dass Schubert seiner Unterrichtsverpflichtung nur „mit Widerstreben“ nachgekommen sei, sprach seine Schwester Theresia von „Pflichttreue“ und solchem Eifer, dass er trotz des Züchtigungsverbots seine Schüler gelegentlich in „handgreiflicher Weise bestraft habe“. Und obwohl er öfter klagte, die Schule ließe ihm keine Zeit zum Komponieren, arbeitete er an der Schule bis zum Sommer 1818, als er das Engagement als Musiklehrer der Töchter des Grafen Esterházy annahm.
 In keiner Periode seines Lebens hat Schubert so zahlreiche, auch umfangreiche Werke vollendet wie in dieser Zeit eines anstrengenden Berufslebens als Hilfslehrer: fast die Hälfte aller Lieder – 150 alleine 1815 –, mehrere Opern, Singspiele, Messen und Sinfonien – so auch vier der heute zu hörenden Werke: die erste und vierte Sinfonie, die Polonaise und das Rondo.
 Schubert selbst sah diese Frühwerke später mit Ausnahme der Lieder skeptisch. Als er 1923 um die Komposition einer Orchester-Ouvertüre gebeten wurde, lehnte er den Auftrag ab, „da ich fürs ganze Orchester eigentlich nichts besitze, welches ich mit ruhigem Gewissen in die Welt hinaus schicken könnte.“ Und in seinem „Verzeichniß meiner fertigen Compositionen“, die er in einem Angebot an den Schott-Verlag im Februar 1828 zusammenstellte, führte er ausdrücklich nur eine Sinfonie auf – die Große Sinfonie in C-Dur.
  Für Schuberts Entwicklung bedeutsam war die Erweiterung des familiären Streichquartetts zum Doppelquartett und zum Orchester. Dieses wurde von Otto Hatwig geleitet und benannte sich nach ihm „Hatwigsches Orchester“. Es wurde ab 1818 von Josef Otter geleitet und löste sich im Herbst 1820 auf. Es war immerhin mit 35 Musikern besetzt. Schubert schrieb für dieses Orchester sein vierte, fünfte und sechste Sinfonie, während die ersten drei wohl noch vom Orchester des Stadtkonvikts aufgeführt wurden. Und es ist sicher anzunehmen, dass Schubert auch an der Einstudierung dieser Werke beteiligt war.
 Die Einschätzung, dass Schubert sich mit seinen Kompositionen nur an einen kleinen Kreis von Eingeweihten wenden wollte, muss heute als widerlegt betrachtet werden. Bereits 1814 bereitete er einzelne Partituren für den Druck vor und versuchte Verleger dafür zu gewinnen. Von einer breiteren Öffentlichkeit, vor allem auch von der Presse wurde Schubert aber erst 1820 wahrgenommen, als er das einaktige Singspiel Die Zwillingsbrüder und das Melodram Die Zauberharfe auf die Bühne brachte. Auch für seine Missa solemnis As-Dur, die er ohne Auftrag verfasst hatte, bemühte er sich intensiv um eine Aufführung.
 Trotzdem waren es Zeit seines Lebens seine Freundeskreise, die Schubert unterstützten, die Verleger gewannen, die Konzerte veranstalteten. So schloss er sich dem Freundeskreis um den Dichter und Schauspieler Franz von Schober an, den er durch seinen früheren Mitschüler, Josef von Spaun, kennengelernt hatte. Dieser Freundeskreis, dem auch der Dichter Moritz von Schwind und der später als Komödiendichter bekannt gewordene Eduard von Bauernfeld angehörte, unterstützte ihn vor allem auch angesichts seiner Erkrankung an Syphilis 1823. Ab etwa 1825 veranstaltete dieser Kreis als „Schubertiaden“ bezeichnete Konzerte mit anschließenden Bällen und Tanzveranstaltungen, in denen Schuberts Musik im Mittelpunkt stand.



Sinfonie Nr. 1, D-Dur, D 82 (1813)

Orchesterbesetzung: Flöte, zwei Oboen, zwei Klarinetten, jew. in B und C, zwei Fagotte – zwei Hörner, zwei Trompeten – Pauken – Streicher (10-8-6-5-4)
Sätze: I. Adagio – Allegro vivace
II. Andante
III. Menuetto. Allegretto
IV. Allegro vivace
Spieldauer: ca. 30 Min.
Uraufführung: Herbst 1813 in Wien, vermutl. durch Otto Hatwigs Orchester-Verein.

Schubert schrieb die Komposition im Alter von 16 Jahren. Sie ist sicher von Salieri begutachtet worden. Bereits diese frühe Sinfonie zeigt, dass es Schubert nicht um die Arbeit mit Gegensätzen ging, sondern um variierende Ableitung, um das Ausschöpfen der Möglichkeiten, die ein Gedanke bietet. Zwar führt dies Verfahren in den Sinfonien nicht zu explizit monothematischen Strukturen, aber im Detail ist seine Arbeitsweise der seiner Kammermusik vergleichbar.
 Die Exposition des ersten Satzes hat ungewöhnliche Dimensionen. So erstreckt sich das Hauptthema auf lediglich 60 Takte, der Seitensatz auf 20, der dritte Teil hingegen auf mehr als 80 Takte. In der feierlichen, langsamen Einleitung des ersten Satzes durchläuft ein Dreiklang in Streichern und Bläsern eine Oktave, gefolgt von einer absteigenden Antwort der Violinen. Die letzten zwei Takte der Introduktion leiten durch einen Paukenwirbel und eine Dreiklangsbrechung zum Allegro vivace-Hauptthema des Satzes über. Das Hauptthema ähnelt dem Thema aus dem Finalsatz von Ludwig van Beethovens 3. Sinfonie „Eroica“ sowohl im Gestus als auch in Details der Struktur. In der Reprise wird nicht nur das Hauptthema, sondern auch die langsame Einleitung wiederholt.
 Das Andante wird durch das romanzenhafte Hauptthema im 6/8-Rhythmus bestimmt. Der in der Grundtonart stehende Hauptteil wird zweimal wiederholt. Während die erste Wiederholung in erweiterter Form stattfindet, erklingt die zweite Wiederholung wie eine Reprise. Im zweiten Satz fällt Schuberts motivische Verarbeitung auf. Immer wieder wurde auf die Ähnlichkeiten dieses Satzes mit dem zweiten Satz Mozarts Prager Sinfonie Nr. 38 hingewiesen.
 Ursprünglich trug der dritte Satz, das Menuetto die Tempobezeichnung „Allegro vivace“, das später von Schubert in „Allegretto“ umgeändert wurde. Das langsamere Tempo betont den schreitenden Gestus der in Vierteln geführten Basslinie. Der Satz hält sich an die üblichen Merkmale eines Menuetts. Das 33-taktige Trio hat den Charakter eines Ländlers.
 Der heitere vierte Satz folgt der Sonatensatzform ohne langsame Einleitung; jedoch wird die Exposition nicht wiederholt. Das Hauptthema verfügt über eine einfache Struktur. Das Seitenthema ist dem Hauptthema des Finalsatzes in Charakter und Instrumentation verwandt und ähnelt stark dem Hauptthema des ersten Satzes. Nach einer verkürzten Reprise folgt die Coda mit beschleunigten Triolen und einer chromatisch absteigenden Basslinie.


Andrés Orozco-Estrada

Leitung: Andrés Orozco-Estrada

1977 in Medellín, Kolumbien geboren. Er begann seine Ausbildung mit Violinunterricht. Als 15jähriger erhielt er den ersten Dirigierunterricht. Von 1997 bis 2003 studierte er an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Wien, in der Dirigierklasse von Uroš Lajovic, einem Schüler des legendären Hans Swarowsky. 2004 sprang Orozco-Estrada kurzfristig bei einem Festwochen-Konzert des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich im Wiener Musikverein ein. Dieses Konzert, nach dem Orozco-Estrada von der Wiener Presse als „das Wunder von Wien“ gefeiert wurde, führte zu einer intensiven Zusammenarbeit mit dem Orchester, sowie zu Einladungen zahlreicher internationaler Orchester. 2007 wurde er Chefdirigent des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich. Mit der Saison 2014/2015 folgte er Paavo Järvi als Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters und wurde Musikdirektor der texanischen Houston Symphony. Ab der Saison 2021/22 wird er Chefdirigent der Wiener Symphoniker als Nachfolger von Philippe Jordan.