Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 3. April 2019


Franz Schubert: 6. Symphonie C-Dur

Franz Schubert
Franz Schubert (* 1797 im Himmelpfortgrund bei Wien; † 1828 in Wien)

Ab 1808 besuchte Schubert das Wiener Stadtkonvikt. Neben der schulischen Ausbildung war er Sängerknabe und spielte in dem Orchester zunächst Bratsche, später Violine und vertrat gelegentlich auch den Orchesterleiter. Man spielte Symphonien und Ouvertüren überwiegend von Haydn, Mozart und Beethoven. Daneben wurde die Kammermusikpraxis ausgiebig gepflegt. Im Sommer 1812 wurde er Schüler des Hofkapellmeisters Antonio Salieri, der ihn mindestens bis Ende 1816 zunächst zweimal wöchentlich, später annähernd täglich in Komposition, Partitur- und Generalbass-Spiel unterrichtete. In diese Zeit fällt die Komposition seiner 2. bis 5. Symphonie.
 Über den Unterricht Salieris ist zum Teil geringschätzig geurteilt worden. Diese Urteile waren wohl von dem Wunsch geprägt, in Schubert das Naturgenie sehen zu wollen, das keines Unterrichts bedürfe, sie beruhten zum anderen auf Vorbehalten gegenüber der italienischen, auf die Komposition italienischer Opern ausgerichteten Unterrichtsmethode und richteten sich gegen die Person Salieris selbst und sein Alter. Diese Urteile sind inzwischen weitgehend korrigiert. Es konnte nachgewiesen werden, dass Salieri auf der Grundlage von Joh. G. Albrechtsbergers „Gründlichen Unterweisung zur Komposition“ von 1790 unterrichtete und damit ein gründlicher Kontrapunkt-Unterricht anzunehmen ist. Trotzdem empfand Schubert selber seine kontrapunktischen Fähigkeiten als defizitär. Noch 2 Wochen vor seinem Tod nahm er gemeinsam mit Josef Lanz bei Simon Sechter eine Kontrapunktstunde.
 Von 1814 bis 1818 unterrichtete Schubert als Hilfslehrer an der Schule seines Vaters. Auch die Komposition der 6. Symphonie geschah also im Umkreis seiner Ausbildung. Die Symphonien der frühen Zeit wurden von Schubert selber sehr geringschätzig beurteilt. Auf eine Nachfrage nach Orchester-Ouvertüren verwies er 1823 auf Beethoven: „Da ich fürs ganze Orchester eigentlich nichts besitze, welches ich mit ruhigem Gewissen in die Welt hinaus schicken könnte“, und in seinem „Verzeichniß meiner fertigen Compositionen“ von 1828 führte er sie nicht auf. Auch Brahms, der das bis dahin unveröffentlichte Schubertsche Werk in den 1880er Jahren herausgab, beurteilte diese frühen Kompositionen als „Vorarbeiten“. Erst Dvořák setzte sich 1894 für die „im Charakter der Melodien, in der harmonischen Progression und in vielen exquisiten Details der Orchestrierung“ unverwechselbaren Symphonien ein.
 Erst im Sommer 1818, als Schubert als Musiklehrer auf das Schloss der Grafen Esterházy im damals ungarische Zseliz (heute Zeliezovce, Slowakei) angestellt wurde, gelang ihm der Absprung aus der elterlichen Umgebung. Nach seiner Rückkehr im Herbst 1818 wohnte er bei seinem Freund Johann Mayrhofer, ab 1821 bei Franz von Schober und beschäftigte sich ausschließlich mit Komposition. Hier entstand die 7. Symphonie h-Moll.
 Anhand der fünf Symphonien ist die Frage nach der Zuordnung von Schuberts Musik in der musikgeschichtlichen Epochengliederung interessant: Mehr als jeder andere Komponist steht Schubert am Übergang zwischen Klassik und Romantik. Sicher lässt sich zwischen verschiedenen Gattungen unterscheiden: Das Lied lässt sich eher körperhaft, gestisch, dem Alten, der Wiener Klassik verbunden auffassen, während die Instrumentalmusik ausdruckshaft, auf die neue Zeit weisend verstanden werden kann. Sicher ist aber auch, dass die Werke vor 1818, als der Einfluss der Vorbilder Haydn und Mozart noch deutlicher spürbar ist, der Klassik näherstehen als die späteren Werke. Schubert selbst hätte die Frage seit 1817 ganz entschieden beantwortet: Für ihn gab es keinen Zweifel, dass er Romantiker war. Allerdings war dies für ihn ein allgemein kunsttheoretischer Begriff, definiert durch die literarische Romantik, kaum ein musikalischer und sicher kein Epochenbegriff.



6. Symphonie C-Dur, D 589 „Kleine C-Dur Symphonie“ (1817/18)

Orchesterbesetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten in C, 2 Fagotte – 2 Hörner, 2 Trompeten – Pauken – Streicher (10-8-6-5-4)
Sätze: 1. Adagio – Allegro
2. Andante
3. Scherzo. Presto – Trio. Più lento
4. Allegro moderato
Spieldauer: ca. 35 Min.
Uraufführung: Wien, 14. Dezember 1828, Johann Baptist Schmiedel, Ltg.

Die 6. Symphonie entstand von Oktober 1817 bis Februar 1818, ein Jahr nach der 5. Symphonie. Im Unterschied zu einer Vorbereitungszeit von wenigen Wochen für frühere Symphonien Schuberts dauerte diese für die 6. Symphonie fünf Monate. Möglicherweise hat Schubert in dieser Zeit mit Unterbrechungen, während der eigentlichen Kompositionsarbeiten aber zügig an der Symphonie durchgearbeitet.
 Nach Abschluss der Kompositionsarbeiten betitelte Schubert die Symphonie Nr. 6 in Bezug auf die Besetzung auch mit Klarinetten, Trompeten und Pauken als „Große Symphonie in C“. Heute wird die 8. Symphonie in C-Dur, D 944 als „Große C-Dur-Symphonie“ bezeichnet. Die Symphonie Nr. 6 C-Dur D 589 trägt zur Unterscheidung inzwischen den Beinamen „Kleine C-Dur-Symphonie“.

 Der erste Satz beginnt mit einer Adagio-Introduktion, in der der Wechsel zwischen Orchester-Tutti und quasi konzertierenden Holzbläser-Quartetten, als ein wesentliches Element des ganzen Satzes, etabliert wird. Diese Introduktion wirkt wie eine Kurz-Zusammenfassung des ganzen Satzes, der alle wesentlichen Elemente bereits enthält. Das Allegro-Thema, das der langsamen Einleitung folgt wird zunächst von den Holzbläsern eingeführt, dann vom ganzen Orchester übernommen, besteht aus einem kleinen aus einem zunächst umspielten Ton, der dann mit einem kleinen Aufwärtslauf in einen schnellen Akkordwechsel führt. Schnell verselbständigen sich diese Elemente und werden kanonisch gegeneinander geführt. Es folgt ein liedhaftes Seitenthema, das wiederum von den Holzbläsern eingeführt, dann vom Orchester übernommen wird. Es führt in einen Durchführungsteil mit dichten kanonischen Motiveinsätzen durch alle Instrumente. Ein erneuter Einsatz des ersten Themas täuscht eine Reprise vor, führt aber erneut in einen Durchführungsabschnitt in Es-Dur, in dem sich die Akkordwechsel des Themas verselbständigen, bevor das Thema erneut einsetzt. Die Reprise führt dann in eine Stretta-Coda die wiederum mit den verselbständigten Akkordwechseln grandios endet.
 Das Andante des zweiten Satzes enthält ein lyrisches, volksliedartiges Thema. Der Satz wechselt zwischen diesem lyrischen Ton und marschartigen, opernhaften Abschnitten. Aus Figuren des Marsches wird ein Triolen-Motiv entwikkelt, das sich in einem Mittelteil verselbständigt und eine Flächenwirkung erzielt, die an Schuberts späten sinfonischen Stile erinnert. Nach Ansicht des Musikwissenschaftlers Wolfgang Stähr bedient sich Schubert hier musikalischer Klischees in einem Maß, dass damit „die Grenze zur Trivialität, zu einer Musik aus zweiter Hand mehr als einmal berührt“ wird.
 Seinen dritten Satz im Presto-Tempo bezeichnete Schubert als Scherzo und folgt damit zum ersten Mal dem Beethovenschen Beispiel und dessen 2. Symphonie. Ähnlich wie Beethoven verwendet Schubert hier auch in Gestalt und Gliederung eine achttaktiges Schema. Und wie in seinem ersten Satz wechselt er zwischen Streichersatz und Orchester-Tutti konzertierend ab. Das Thema, das aus zwei ähnlich beginnenden, aber versetzten Hälften besteht, zerlegt er im Laufe des Satzes immer weiter und verwendet die Bestandteile um die Struktur zu verdichten und die Energie zu erhöhen.
 Das thematische Material des Più lento-Trios in volkstümlichen Ton besteht zunächst aus einfachen Haltetönen mit kleinen angehängten Tonleitern und fallender Terz. Diese Motive werden durch verschiedene Tonarten geführt. In der zweiten Hälfte bleibt es bei den fallenden Terzen, dazu treten schnelle Achtel-Läufe in den Violinen, und regelmäßige zweitaktige Bass-Metren.
 Der vierte Satz der Symphonie ist ein Sonatensatz ohne Durchführung mit einer überdurchschnittlich langen Coda. Die Themen werden nicht verarbeitet, sondern aneinander gereiht, wie dies in den italienischen Ouvertüren üblich war. Schubert folgt hier dem Stil des italienischen Opernkomponisten Gioachino Rossini, dem er ein „außerordentliches Genie“ bescheinigt hatte. Rossinis Musik war zu der Zeit überaus populär und inspirierte nicht nur das Finale der 6. Symphonie, sondern auch die gleichzeitig entstandenen Ouvertüren (D 590 und D 591). Interessant sind immerhin einige Motive, die aus den vorangegangen Sätzen wieder erscheinen: Kleinteilig wechseln immer wieder die Instrumentengruppen, Streicher oder Holzbläser werden gegen das Orchester-Tutti gesetzt. Im zweiten Teil gibt es plötzlich wieder in den Violinen Sechzehntel-Läufe, die an das Trio des Scherzos erinnern. Schließlich tauchen auch die schnellen Akkordwechsel aus dem ersten Satz wieder auf.

 Die Symphonie wurde kurz nach ihrer Vollendung dem Bericht des Juristen Leopold von Sonnleithner zufolge entweder in einem Privatkonzert des „Hatwig’schen Orchesters“ im Gundelhof oder, nachdem Hatwig erkrankt war, am Bauernmarkt bei Anton Pettenkofer unter Josef Otter uraufgeführt. Die erste öffentliche Aufführung fand am 14. Dezember 1828 – wenige Wochen nach Schuberts Tod – im großen Redoutensaal der Wiener Hofburg im Rahmen eines Abonnementkonzerts der „Gesellschaft der Musikfreunde in Wien“ mit Johann Baptist Schmiedel als Dirigent statt. Über dieses Konzert berichtete die Allgemeine musikalische Zeitung: „Neue Symphonie in C Dur, von Franz Schubert (aus dessen Nachlasse): ein schönes, fleissig gearbeitetes Werk, dessen vorzüglich ansprechende Sätze das Scherzo und Finale sind. Was man vielleicht daran tadeln könnte, wäre, dass das blasende Orchester allzu reichlich bedacht ist, wogegen die Streichinstrumente fast im Durchschnitt nur subordinirt erscheinen.“ Eine weitere Darbietung dieser Symphonie gab es dann allem Anschein nach bereits am 12. März 1829 im Rahmen eines Concert spirituel im Landständischen Saal in Wien.


Andrés Orozco-Estrada

Leitung: Andrés Orozco-Estrada

1977 in Medellín, Kolumbien geboren. Er begann seine Ausbildung mit Violinunterricht. Als 15jähriger erhielt er den ersten Dirigierunterricht. Von 1997 bis 2003 studierte er an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Wien, in der Dirigierklasse von Uroš Lajovic, einem Schüler des legendären Hans Swarowsky. 2004 sprang Orozco-Estrada kurzfristig bei einem Festwochen-Konzert des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich im Wiener Musikverein ein. Dieses Konzert, nach dem Orozco-Estrada von der Wiener Presse als „das Wunder von Wien“ gefeiert wurde, führte zu einer intensiven Zusammenarbeit mit dem Orchester, sowie zu Einladungen zahlreicher internationaler Orchester. 2007 wurde er Chefdirigent des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich. Mit der Saison 2014/2015 folgte er Paavo Järvi als Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters und wurde Musikdirektor der texanischen Houston Symphony. Ab der Saison 2021/22 wird er Chefdirigent der Wiener Symphoniker als Nachfolger von Philippe Jordan.