Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 14. Februar 2018


Dmitri Šostakovič: 1. Klavierkonzert

Dmitri Sostakovic
Dmitrij Dmitrievič Šostakovič (* 1906 in St. Petersburg, † 1975 in Moskau)

Von seiner Mutter, der russischen Pianistin, Sof'ja Kokoulin, erhielt Šostakovič Klavierunterricht und die erste Unterweisung in Musiktheorie. Bald folgten kompositorische Versuche. Mit 13 Jahren trat er in das Petrograder Konservatorium ein, wo er bei Leonid Nikolajev und Maksim Štejnberg studierte. Nach dem Tod des Vaters und einer Tuberkulose-Erkrankung 1922 konnte Šostakovič zwar noch seine Klavierprüfung ablegen, musste aber sein Kompositionsstudium abbrechen. Als Kinopianist sorgte er für den Lebensunterhalt der Familie. Als Aleksandr Glazunov, der Direktor des Konservatoriums, Šostakovič ein für die Fortsetzung des Kompositionsstudiums dringend benötigtes Stipendium verschaffte, bekannte er: „Ich finde seine Musik schrecklich. Es ist das erste Mal, dass ich die Musik nicht höre, wenn ich die Partitur lese. Aber das ist unwichtig. Die Zukunft gehört nicht mir, sondern diesem Jungen.“
 Der sensationelle Erfolg seiner 1. Sinfonie in f-Moll 1925 verschaffte Šostakovič im Alter von nur neunzehn Jahren den Abschluss am Konservatorium und weltweite Anerkennung. Šostakovič erhielt im März 1927 den Auftrag, für die Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der Oktoberrevolution eine Art Hymne zu schreiben. Daraufhin komponierte er im Sommer die 2. Sinfonie Posvjaščenie Oktjabrju (An den Oktober) in H-Dur, eine seiner avantgardistischsten Kompositionen. Mit seinem Ballett Bolt (Der Bolzen) erregte er erstmals den Ärger der Zensoren. Das groteske Stück über Industriesabotage wurde 1931 abgesetzt. Šostakovič veröffentlichte daraufhin in der Zeitschrift Rabočij i teatr (Arbeiter und Theater) seine Deklaracija objazannostej kompozitora (Deklaration der Pflichten eines Komponisten) als Bekenntnis zur Eigenständigkeit musikalischen Beginnens und gegen die Degradierung der Musik zum klischeehaften Illustrationsmaterial. Zwischen 1930 und 1932 komponierte er seine Oper Ledi Makbet Mcenskogo uezda (Lady Macberth von Mcensk), die 1934 im Leningrader Kleinen Operntheater uraufgeführt und in anschließenden Aufführungen international gefeiert wurde. Anfang 1936 wurde die Oper verurteilt, sofort abgesetzt und verboten. Von dem Vorwurf des Formalismus war auch das Klavierkonzert Op. 35 betroffen.
 Šostakovič wurde 1937 als Professor für Komposition an das Leningrader Konservatorium berufen, ab 1948 lehrte er in Moskau. Seine 1937 komponierte 5. Symphonie wurde trotz seiner Verfemung Ende 1937 in Leningrad uraufgeführt und ihr großer Publikumserfolg widerlegte denkwürdig alle Beschuldigungen seiner „Volksfeindlichkeit“. So kam er wieder in Gnade.



Konzert Nr. 1 in c-Moll für Klavier, Trompete und Streichorchester, Opus 35 (1933)

Orchesterbesetzung: Solo-Klavier, Solo-Trompete und Streicher (12-10-8-6-4)
Sätze: 1. Allegretto – 2. Lento – 3. Moderato – 4. Allegro con brio
Spieldauer: ca. 23 Min.

Trotz des Titels könnte das Werk eher als Klavierkonzert denn als Doppelkonzert klassifiziert werden, denn Trompete und Klavier sind hier nicht gleichrangig. Die Trompetenpartien nehmen häufig die Form von kontrapunktierenden Einwürfen an, die den Humor und den Witz der Klavierpassagen freilegen. Erst beim Abschluss des letzten Satzes, unmittelbar nach der Kadenz des Soloklaviers, bekommt die Trompete wirklich solistisches Gewicht.
 Šostakovič komponierte das Konzert im Sommer 1933, wenige Wochen, nachdem er die Arbeit an seiner Oper Ledi Makbet Mcenskogo uezda fertiggestellt hatte und nannte dieses Werk eine „spöttische Herausforderung an den konservativ-seriösen Charakter des klassischen Konzert-Gestus“.
 Gleich zu Beginn des Konzertes werden die ersten drei Töne aus Beethovens Appassionata zitiert. Schon hier zeigt sich die wichtigste Eigenschaft des Werkes: Es geht stets anders weiter, als man es erwarten würde. Šostakovič nimmt seine Zuhörer auf den Arm, weckt Erwartungen, die er auf unvorhersehbare Weise einlöst bzw. frustriert. Er sagt: „Wenn das Publikum bei der Aufführung meiner Werke lächelt oder direkt lacht, so bereitet mir das große Befriedigung.“
 Das Bauprinzip des Klavierkonzerts ist der ungewöhnliche Kontrast. Eine Fülle quasi polyglotter musikalischer Gedanken und Einfälle fügt der Komponist zu einem bunten und faszinierenden Kaleidoskop zusammen. Er kokettiert mit einer ganzen Reihe musikalischer Erinnerungen: Das Klavierkonzert G-Dur von Ravel klingt hier ebenso an wie das Thema der Burleske aus Gustav Mahlers 9. Sinfonie, die Klaviersonate D-Dur von Joseph Haydn und das Rondo Die Wut über den verlorenen Groschen von Ludwig van Beethoven – ein musikalischer Parforceritt quer durch Gattungen und Epochen. Jede romantische Emotion nimmt er sofort wieder aufs Korn und konterkariert sie. Trotz der Fülle so unterschiedlicher musikalischer Episoden wirkt das Konzert weder chaotisch noch überfrachtet. Der 27-jährige Šostakovič hält mühelos die Balance und zeigt seine meisterhafte Beherrschung des Klaviers und des Orchesters.
 Die vier attacca aneinandergereihten Sätze des Konzerts spannen dabei einen weiten, humoristischen Bogen. Er führt von der spaßhaft-clownesken Darstellung des Virtuosentums im ersten Satz über – immer wieder ironisch gebrochene – lyrisch-emotionale Momente im langsamen zweiten und kulminiert nach dem dritten Satz, der fast wie eine Einleitung wirkt, im entfesselten Finalsatz mit einem aberwitzigen Wettrennen zwischen Trompete und Klavier in geradezu halsbrecherisch schnellem Tempo. Dabei mischen sich, unbekümmert um die Trennung von „ernster“ und „Unterhaltungs“-Musik Walzer, Cancan, Galopp und fast zirkusartig anmutende Klänge mit „ernsten“ (jedoch selten ernst gemeinten) Abschnitten wie einer kontrapunktisch gesetzten Streicherfuge und einer virtuosen Solokadenz. So manifestiert sich in der temperamentvollen Komposition Šostakovičs Lust am musikalischen Witz ebenso deutlich wie seine Affinität zur so genannten Unterhaltungsmusik, die in seinem Schaffen stets eine wichtige Rolle spielte.
 Bei der Uraufführung seines Klavierkonzertes 1933 unter der Leitung Fritz Stiedrys spielte Šostakovič den Solopart mit großem Erfolg selbst.


Aziz Shokhakimov

Leitung: Aziz Shokhakimov

1988 in Taschkent (Usbekistan) geboren. Er lernte als Sechsjähriger Violine und Bratsche und studierte Dirigieren bei Vladimir Neymer. Mit 13 gab er vor dem Nationalen Symphonieorchester Usbekistan sein Dirigentendebüt. Von 2006 bis 2012 war Aziz Shokhakimov Chefdirigent des Nationalen Symphonieorchesters Usbekistan. 2010 gewann er den 2. Preis beim Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerb der Bamberger Symphoniker. Seit der Spielzeit 2015/16 ist er als Kapellmeister an der Deutschen Oper am Rhein engagiert. Bei den Salzburger Festspielen 2016 wurde er mit dem „Young Conductors Award“ ausgezeichnet und dirigierte dort 2017 das Preisträgerkonzert. In der Spielzeit 2017/18 dirigiert er an der Komischen Oper Berlin.

Behzod Abduraimov

Klavier: Behzod Abduraimov

Bereits mit acht Jahren debütierte er mit dem Staatlichen Sinfonieorchester Usbekistan. Konzerte in den USA, Italien und Russland folgten. Er spielte wiederholt bei der Spiwakow-Stiftung und bei der „Internationalen Sommerakademie“ in Como (Italien). Im Jahr 2008 gewann er das „Lennox Young Artist Competition“ und das „Corpus Christi Competition“. 2009 gewann er als 18-Jähriger mit seiner Interpretation von Prokof'evs Klavierkonzert Nr. 3 überraschend das „London International Piano Competition“. Im Oktober 2010 wurde er Sieger des Kissinger Klavierolymps. Ab 2011 studierte Behzod Abduraimov bei Stanislav Ioudenitch in Kansas City (USA).
Seit 2015 ist er Künstler der Reihe „Junge Wilde“ am Konzerthaus Dortmund.

Jürgen Ellensohn

Trompete: Jürgen Ellensohn

studierte bei Lothar Hilbrand am Vorarlberger Landeskonservatorium und an der Universität Mozarteum Salzburg bei Prof. Hans Gansch. 2002 bis 2003 Praktikant im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Unterricht bei Gábor Tarkövi (Solotrompeter der Berliner Philharmoniker). Von 2003 bis 2005 Solotrompeter beim Berner Symphonieorchester, seit 2005 beim hr-Sinfonieorchester Frankfurt. Mitglied bei verschiedenen Blechbläser-Kammerensembles.
2004 bis 2005 Dozent an der HdK Bern, 2008 bis 2012 Lehrbeauftragter für Probespieltraining an der HDK Frankfurt, 2009 bis 2010 an der HfM Mainz, seit 2015 Professor am Vorarlberger Landeskonservatorium in Feldkirch.