Einführung zu den Konzerten des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 7. und 8. Oktober 2021


Johann Sebastian Bach: Orchestersuite Nr. 1, C-Dur

Johann Sebastian Bach
Johann Sebastian Bach (* 1685 in Eisenach; † 1750 in Leipzig)

Bach entstammte einer großen Musikerfamilie, die über mehr als zwei Jahrhunderte das Musikleben Thüringens maßgeblich prägten. Sein Vater, Johann Ambrosius, kam 1667 zur Erfurter Ratsmusik und wurde 1671 Stadt- und Hofmusiker in Eisenach. Johann Sebastian verlor mit neun Jahren die Mutter, ein Jahr später auch den Vater. So kam er zu seinem 14 Jahre älteren Bruder, Johann Christoph, nach Ohrdruf und wurde in dessen Kantorei aufgenommen. Hier konnte er seine Kenntnisse im Orgel- und Cembalospiel vervollständigen. Im Jahr 1700 nahm ihn das Michaeliskloster in Lüneburg als Alumnus auf. Dort waren Georg Böhm und Johann Jakob Löwe seine Lehrer. Die Ausbildung ließ ihn zum Spezialisten auf dem Tasteninstrument werden. Die Lüneburger Zeit erweiterte seinen Erfahrungshorizont in Richtung Norddeutschland und Frankreich. Die Organistenämter in Arnstadt (1703-1707) und Mühlhausen (1707-1708) forderten ihn als Orgelspieler und -komponisten, eröffneten ihm aber gleichzeitig den Zugang zur vokalen Organistenmusik in Gestalt von Kantatenkompositionen des älteren Typus. In Weimar (1708-1717) gewann Bach Erfahrung mit dem Typus der neueren Kirchenkantate mit ihrem an die Oper angelehnten musikalischen Stil; außerdem ist er als Komponist und Spieler von virtuoser Klaviermusik hervorgetreten. In Köthen (1717-1723) schließlich kamen die weltliche Kantate und die Gattungen der Ensemblemusik hinzu. Als Bach sein Leipziger Amt als 38jähriger antrat, fehlte ihm nur noch Erfahrung in der Komposition von Vokalwerken großen Umfangs, die er sich im ersten Amtsjahr mit dem Magnificat BWV 243a und der Johannes-Passion erwarb.



Orchestersuite Nr. 1, C-Dur, BWV 1066 (ca. 1724)

Orchesterbesetzung: 2 Oboen, Fagott – Streicher, Continuo mit Cembalo
Sätze: 1. Ouverture / 2. Courante / 3. Gavotte I – Gavotte II / 4. Forlane / 5. Menuett I – Menuett II / 6. Bourrée I – Bourrée II / Passepied I – Passepied II
Spieldauer: ca. 21 Min.

Vier Orchestersuiten von Johann Sebastian Bach sind erhalten (BWV 1066–1069). Es handelt sich jeweils um eine Folge von Tanzsätzen mit einer vorangestellten Ouvertüre. Da Bach diesen Suiten keine besondere Überschrift gab, werden sie auch heute nach der Überschrift des ersten Satzes oft schlicht „Ouvertüren“ genannt. Diese vier Suiten bilden keinen geschlossenen Zyklus, sind vielleicht nicht einmal in einem Zusammenhang entstanden. Sie unterscheiden sich in der Besetzung, die ihre jeweilige Struktur und ihren Charakter bestimmt. Bei allen bildet der vierstimmige Streichersatz mit Continuo das Rückgrat der Besetzung. In der zweiten Suite tritt die Traversflöte hinzu, die dritte ist mit zwei Oboen, drei Trompeten und Pauke ausgestattet, die vierte drei Oboen, Fagott, drei Trompeten und Pauke.
 Über die Entstehung der Suiten ist wenig bekannt. Aus Bachs erstem Leipziger Jahr sind die Orchesterstimmen überliefert, die von einem unbekannten Kopisten geschrieben sind. Man nimmt heute an, dass Bach das Werk nach Leipzig mitbrachte, sie dort mit der „Telemannischen Musiziervereinigung“, die er selbst leitete, aufführte oder die Kopien einem Kollegen zur Aufführung zur Verfügung stellte. Ob die Suiten in Köthen, schon in Weimar oder erst in Leipzig entstanden, ist nicht bekannt.
 Die Ouvertüre ist eine französische Ouvertüre, die im Grave-Tempo mit charakteristischen Punktierungen beginnt, gefolgt von einem Fugato im Vivace-Tempo, das konzertant gearbeitet ist und umfangreiche dreistimmige Partien für die Oboen und das hier mit einer eigenen Stimme bedachte Fagott enthält. Die Bläser führen kein zusätzliches Thema ein, wohl aber einen charakteristischen Kontrapunkt. In einigen dieser Solopassagen umspielen sie auch die Orchesterviolinen, die das Thema nacheinander unisono auf verschiedenen Tonstufen bringen. So ist das Fugenthema im gesamten Mittelteil des Satzes ständig präsent. Der dritte Abschnitt ist eine freie Variation des Anfangs wieder im Grave-Tempo, in dem erste Violine und Bass – zumindest rhythmisch – die Stimmen tauschen. Es folgen dann die Tanzsätze.
 Courante, Gavotte, Forlane (ein gigueähnlich, venetianischer Tanz im 6/4Takt), Menuett, Bourrée, Passepied.
 Außer der Courante und Forlane sind alle Stücke doppelt vorhanden, um den für einzelne Perioden beliebten Gegensatz von kräftig und zart auch auf abgeschlossene Tongebilde anzuwenden. Die Bezeichnung „Trio“ stammt von dieser Sitte her, da der zarte Gegensatz nur von drei Instrumenten oder dreistimmig ausgeführt zu werden pflegte; bald jedoch nahm man es mit der Stimmenzahl nicht mehr so genau; nur der allgemeine musikalische Charakter blieb bestehen. Trios im strengsten Sinne haben hier nur Bourrée und Passepied; letzterer erscheint ungemein geistreich als ein eigner Gegensatz, indem sämtliche Violinen und Bratschen die in die Mitte gelegte Melodie spielen, die Oboen aber in Achtelgängen sich darüber hinwiegen. Das Trio der Gavotte ist eigentlich nur dreistimmig; die vereinigten Geigen und Bratschen lassen in Intervallen und, ohne damit bis zu Ende zu reichen, einen leisen, fanfarenartigen Gang hineintönen – ein Spaß, den sich Bach auch im ersten Satze des ersten Brandenburgischen Concerts mit den Hörnern gemacht hatte. Das Trio des Menuetts dagegen wird vierstimmig nur von den Saiteninstrumenten vorgetragen: „duftig süß und heimlich kosend schwebt es mit elastischem Tritt“, schreibt Philipp Spitta über den Satz.


Richard Egarr

Leitung: Richard Egarr

wurde 1963 in Lincoln/GB geboren. Egarr erhielt seine frühe musikalische Ausbildung als Chorsänger am York Minster, später an der Chetham's School of Music in Manchester. Anschließend war er Orgelschüler am Clare College der Universität Cambridge und absolvierte die Guildhall School of Music and Drama in London. Angeregt durch seinen Mitstudenten Gustav Leonhardt interessierte er sich schon früh für die Historische Aufführungspraxis. Egarr hat die Fähigkeit, alle möglichen Tasteninstrumenten zu bespielen. Er beherrscht das musikalische Repertoire der Tasteninstrumente seit Beginn der Intabulierung über Dussek, Chopin bis hin zu Berg und Davies. Im Jahr 2006 trat er die Nachfolge von Christopher Hogwood als musikalischer Direktor bei der Academy of Ancient Music an.