Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 12. April 2018


Leonard Bernstein: Prelude, Fugue and Riffs

Leonard Bernstein
Leonard Bernstein (* 1918 in Lawrence, Mass., † 1990 in New York)

Bernstein wollte ursprünglich Rabbi werden wie einige seiner in Russland beheimateten Verwandten seines Vaters, studierte dann aber von 1935 bis 1939 an der Harvard-Universität Komposition, Dirigieren und Klavier. Zwischen 1939 und 1941 setzte er sein Studium am Curtis Institute of Music in Philadelphia fort und erhielt zusätzlich Dirigier-Unterricht bei Sergej Kusevickij, dem Musikdirektors des Boston Symphony Orchestras.
 In seiner 1. Symphonie „Jeremiah“ (1942) integrierte er Vertonungen der biblischen Klagelieder Jeremias’ und Melodiefragmente jüdischer Liturgie. Auch seine 3. Symphonie „Kaddish“ (1963) bezog sich auf liturgische Themen. Seinen Ruf als Komponist begründeten allerdings vor allem seine in New York aufgeführten Musiktheaterwerke, die Ballette Fancy Free (1944) und Facsimile (1946), die Musicals On The Town (1944), Wonderful Town (1953), die zeitkritische West Side Story (1957) und die Operette Candide (1956) nach Voltaires gleichnamigen Roman. Diese war eine linksliberal-satirische Antwort auf die „Hexenjagd“ des McCarthyismus. In seinen Kompositionen hält Bernstein – ähnlich wie Benjamin Britten – bis auf wenige dramaturgisch bedingte Ausnahmen an einer freizügig gehandhabten Tonalität fest und fühlt sich keiner Schule oder Musikrichtung zugehörig. Er bekannte sich ausdrücklich zu einem unbegrenzten Eklektizismus und entwickelte gerade im Umformen, Variieren und Paraphrasieren von bewusst oder unbewusst angeeignetem thematischen Material und in der Anlehnung an Bekanntes eine besondere Meisterschaft. Dies entspricht der Idee einer neuen amerikanischen Musik als Schmelztiegel verschiedenster Kulturen und Traditionen und deren Aneignung.
 Mehr noch als durch seine Kompositionen ist Bernstein durch seine beispiellose Dirigentenkarriere bekannt geworden. Diese begann 1942 als Assistent von Kusevickij in Tanglewood. 1945 bis 1948 war er Chefdirigent des New York City Symphony Orchestra und 1958 bis 1969 der New Yorker Philharmoniker. Bis 1945 war er als Gastdirigent mit fast jedem größeren Orchester der USA aufgetreten. Eine internationale Ausrichtung erhielt seine Karriere durch Engagements in Montreal, London, Prag, Paris, Brüssel und Tel Aviv, wo er 1947 sein israelisches Debüt gab. 1951 dirigierte er das Israel Philharmonic Orchestra bei dessen USA-Tournee, 1953 war er der erste amerikanische Dirigent an der Mailänder Scala.
 Sein überschwänglicher und leidenschaftlicher Dirigierstil war gut geeignet für dramatische und dynamische Musik. Sein Repertoire umfasste die ganze westliche klassische Instrumentalmusik mit besonderer Betonung des 19. und 20. Jahrhunderts. Er unterstützte insbesondere die zeitgenössische Musik. Uraufführungen der amerikanischen Komponisten Milton Babbitt, Elliott Carter, Aaron Copland, David Diamond, Lukas Foss, Charles Ives, Gunther Schuller und William Schuman leitete er ebenso, wie amerikanische Erstaufführungen von Werken von Pierre Boulez, Benjamin Britten, György Ligeti, Dimitri Šostakovič und Iannis Xenakis.
 Die Vielzahl von Schallplatteneinspielungen, Fernsehauftritten, Dirigaten bei repräsentativen Gelegenheiten – etwa bei der Amtantrittsgala von John F. Kennedy – Leitungen von Opernaufführungen machten ihn weltberühmt. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise. Dabei war er Zeit seines Lebens politisch engagiert, so protestierte er 1959 in Moskau öffentlich gegen die Verfemung Stravinskijs in der UdSSR, 1962 gegen amerikanische Atombombentests, 1985 nahm er an einer „Journey for Peace“ betitelten Tournee durch Japan und Europa zur Erinnerung an den 40. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima teil. Einen Orden von Präsident Bush lehnte er 1989 aus Protest gegen die Zensur im Bereich der Künste ab.



Prelude, Fugue and Riffs (1949)

Orchesterbesetzung: Solo-Klarinette – 2 Altsaxophone (1. auch Klarinette), 2 Tenorsaxophone, Baritonsaxophon – 5 Trompeten, 4 Posaunen – 3 Schlagzeuger (1. auch Pauken, einer Drum-Set), Klavier (elekt. verstärkt) – Solo-Kontrabass
Spieldauer: ca. 9 Min.
Widmung: Benny Goodman
Uraufführung: 16. Oktober 1955 in der Fernsehshow "The World of Jazz" von Benny Goodman.

Entsprechend des Titels besteht dieses Werk aus drei Teilen, dem Prelude für Blechbläser und Schlagzeug, der Fugue für die Saxophone und den Riffs für das gesamte Ensemble mit Solo-Klarinette. Die Bezeichnungen Prelude und Fugue, als barocke Formen, verbinden sich mit dem Begriff Riff, womit im Jazz eine kurze, wiederholte, rhythmisch versetzt gespielte, melodische Figur bezeichnet wird.
 Das Werk wurde ursprünglich für Woody Hermann geschrieben, der es aber nie aufgeführt hat, weil sich sein Orchester aufgelöst hatte. Dann wurde es dem Jazz-Klarinettisten Benny Goodman gewidmet, der es im Rahmen von Bernsteins „Omnibus“-Fernseh-Show „The World Of Jazz“ als Solist spielte.
Prelude, Fugue and Riffs stellt Bernsteins besondere Fähigkeit unter Beweis, sich einen Stil zu eigen zu machen. Er trifft in allen drei Sätzen den improvisatorischen Überschwang der Jazz-Bigbands seiner Zeit.
 Mehrfach wurden Teile der Komposition von Bernstein umgearbeitet und in andere Werke integriert, so z.B. in einer ersten Fassung einer Ballettsequenz des Musicals Wonderful Town, aus der es aber wieder verschwand. Einige Bestandteile blieben in den Musicals Conquering the City und Conversation Piece bestehen.
 Später wurde Prelude, Fugue and Riffs von Lukas Foss für Klarinette und Orchester transkribiert.


Andrés Orozco-Estrada

Leitung: Andrés Orozco-Estrada

1977 in Medellín, Kolumbien geboren. Er begann seine Ausbildung mit Violinunterricht. Als 15jähriger erhielt er den ersten Dirigierunterricht. Von 1997 bis 2003 studierte er an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Wien, in der Dirigierklasse von Uroš Lajovic, einem Schüler des legendären Hans Swarowsky. 2004 sprang Orozco-Estrada kurzfristig bei einem Festwochen-Konzert des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich im Wiener Musikverein ein. Dieses Konzert, nach dem Orozco-Estrada von der Wiener Presse als „das Wunder von Wien“ gefeiert wurde, führte zu einer intensiven Zusammenarbeit mit dem Orchester, sowie zu Einladungen zahlreicher internationaler Orchester. 2007 wurde er Chefdirigent des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich. Mit der Saison 2014/2015 folgte er Paavo Järvi als Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters und wurde Musikdirektor der texanischen Houston Symphony. Ab der Saison 2021/22 wird er Chefdirigent der Wiener Symphoniker als Nachfolger von Philippe Jordan.