Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 20. März 2018


Pëtr Il'ič Čajkovskij: 5. Sinfonie

Pëtr Čajkovskij
Pëtr Il'ič Čajkovskij (* 1840 in Votkinsk (Gouv. Vjarka, Ural), † 1893 in St. Petersburg)

In seiner Familie erhielt Čajkovskij Klavier- und Gesangsunterricht, war aber frühzeitig für eine Karriere im Staatsdienst vorgesehen, besuchte deshalb von 1850-59 die Rechtsschule in St. Petersburg und war anschließend im Justizministerium tätig. Bereits 1861 gab er diese Tätigkeit auf und trat 1862 in das von Anton Rubinštejn gegründete Petersburger Konservatorium ein. Komposition und Instrumentation wurde von Anton Rubinštejn persönlich unterrichtet. Den theoretischen Unterricht erhielt er bei dem russischen Komponisten Nikolaj Zaremba. 1866 wechselte er nach Moskau, kam bei Nikolaj Rubinštejn, dem Bruder von Anton, unter, der ihm auch eine Stelle als Dozent am Moskauer Konservatorium vermittelte, wo er Harmonielehre, Instrumentation und freie Komposition unterrichtete. Auf Misserfolge seiner ersten Kompositionen reagierte er überaus empfindlich, zwei Opern-Partituren vernichtete er daraufhin. Durch Anton Rubinštejn an westlicher Musik geschult blieb die Begegnung mit den Komponisten des „mächtigen Häufleins“, Balakirev, Kjui [Cui], Dargomyžskij, Rimskij-Korsakov und Stasov, distanziert.
 Einen ersten Erfolg konnte Čajkovskij mit seinem 1. Klavierkonzert op. 23, das zunächst von Nikolaj Rubinštejn schroff abgelehnt worden war, welches er dann aber dem Dirigenten und Pianisten Hans von Bülow zusandte, der den Solopart 1875 in Boston bei der Uraufführung mit großen Erfolg spielte. In seiner Moskauer Zeit verfasste er auch zwei Harmonielehren, die ersten russischen überhaupt, sowie zahlreiche Rezensionen und Musikfeuilletons.
 Als er 1878 von der reichen Witwe eines Eisenbahnunternehmers, Nadežda Filaretovna fon-Mekk, ein Angebot einer Jahresrente von 6000 Rubeln erhielt, beschloss er, die Lehrtätigkeit zu beenden und sich ganz dem Komponieren zu widmen. Einer Begegnung mit seiner Sponsorin wich Čajkovskij zeitlebens aus, führte mit ihr aber einen umfang-reichen Briefwechsel. Zu diesem Zeitpunkt galt er im westlichen Ausland als der führende russische Komponist, seine Werke wurden in Paris, Berlin und Wien vielfach und erfolgreich aufgeführt.
 Seinen Wunsch nach einem Rückzugsort für die konzentrierte Arbeit erfüllte er sich 1885 zunächst in Majdanovo einem kleinen Ort nordwestlich von Moskau an der Bahnlinie nach St. Petersburg. 1888 wechselte er in eine ruhigeres Haus in Frolovskoe ganz in der Nähe. Dort schrieb er seine 5. Sinfonie in wenigen Wochen. Vorher hatte er in einem Brief an seine Gönnerin, Nadežda fon-Mekk, die Befürchtung geäußert, er habe sich „ausgeschrieben“.
 Später bezeichnete der überaus selbstkritische Čajkovskij seine 5. Symphonie als „misslungenes Werk“, vor allem wegen des Finales. Seine vorhergehende 4. Sinfonie und die nachfolgenden Opern Spjaščaja krasavica [Dornröschen] und Pikovaja Dama [Pique Dame] schätzte er höher ein.



5. Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64 (1888)

Orchesterbesetzung: Piccolo, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba – Pauken – Streicher (16-14-12-10-08)
Sätze: 1. Satz: Andante – Scherzo. Allegro con anima – Molto più tranquillo
2. Satz: Andante cantabile, con alcuna licenza – Non allegro – Andante maestoso con piano
3. Satz: Walzer. Allegro moderato
4. Satz: Finale. Andante maestoso (con fiamma) – Non allegro – Presto molto furioso – Molto assai e molto maestoso – Allegro vivace
Spieldauer: ca. 50 Min.
Widmung: Theodor Avé-Lallemant (Erster Vorsitzender der Philharmonischen Gesellschaft Hamburg)
Uraufführung: 17. November 1888 in Sankt Petersburg unter der Leitung des Komponisten

Die brieflichen Äußerungen Čajkovskijs über seine 4. und 6. Symphonie sowie die verbalen Zusätze in den wenigen erhaltenen Skizzen zur 5. Symphonie und zu der Symphonie žizn' [„Das Leben“, von 1891] zeigen einen gemeinsamen ästhetischen Standpunkt und lassen auf eine gemeinsame Thematik der Bedeutung dieser Werke schließen. Für Čajkovskij stehen die großen Themen, Leben, Liebe und Tod, als existentiell erfahrenes, fatalistisches Schicksal im Vordergrund und er entwickelt sein thematisches Material aus diesen Leitideen. Damit lehnt er sich an die „Idée-fixe-Technik“ von Hector Berlioz an.
 Ein gemeinsames Leitthema, von Čajkovskij als „Schicksalsmotiv“ bezeichnet, durchzieht die gesamte Symphonie. Es wird in der Eröffnung des ersten Satzes von den Klarinetten vorgestellt. Über das Programm des ersten Satzes schrieb Čajkovskij: „Introduktion. Völlige Ergebung in das Schicksal oder, was dasselbe ist, in den unergründlichen Ratschluss der Vorsehung. - Allegro: Murren, Zweifel, Klagen, Vorwürfe.“ Das Schicksalsmotiv des Anfangs leitet zu dem energischen, von Flöten und Klarinetten eingeführten und von den Streichern übernommenen Hauptthema des Satzes über. Das zweite Hauptthema des Satzes wird von den Holzbläsern intoniert. Dabei erklingt auch das Leitmotiv in der Begleitung wieder.
 Das Thema des zweiten Satzes hat Čajkovskij formuliert als Frage, ob er sich „dem Glauben in die Arme werfen“ solle. Er beginnt mit einer tiefen Einleitung der Streicher, das von einem Hornsolo abgelöst wird. Dieses führt in das kantable Hauptthema des Satzes, das Čajkovskij als „Lichtstrahl“ bezeichnete, und wird schließlich auch von Klarinetten und Oboen übernommen. Dies Hauptthema wird an einer Stelle durch das donnernd-laut einsetzende Schicksalsmotiv kurz, aber prägnant unterbrochen.
 Der dritte Satz ist im Stil eines ruhigen Walzers geschrieben. Auch hier gibt es eine Unterbrechung durch das Schicksalsmotiv, kurz aber störend.
 Wie der erste Satz beginnt auch der vierte Satz mit dem Schicksalsmotiv, diesmal aber in Dur und mit deutlich mehr Energie. Nach einem ausführlichen einleitenden Abschnitt geht der Satz zu einem feierlichen Ausbruch des Orchesters über, in dem immer wieder das Schicksalsmotiv auftaucht.
 Dieser letzte Satz wurde von dem Komponisten, Hanns Eisler, in dem DEFA-Film von 1947 Der Rat der Götter von Kurt Maetzig, einem Film über den IG-Farben-Konzern und einem der ersten Filme, der sich explizit mit der Mitschuld eines deutschen Konzerns an den Naziverbrechen beschäftigte, als Ausdruck für den Sieg des Volkes im Kampf um den Frieden verwendet. In der Bundesrepublik Deutschland war die Aufführung des Films verboten.
 Die 5. Symphonie ist Theodor Avé-Lallemant (1806-1890) gewidmet. Dieser war der Erste Vorsitzende der Philharmonischen Gesellschaft in Hamburg und Čajkovskij hatte ihn dort erst 1888 kennengelernt. In seinen Erinnerungen vermerkt er dessen „väterliche Zuneigung“ und: „dass er die Musik leidenschaftlich liebt und von dem bei alten Menschen oft zu beobachtenden Widerwillen gegen alles Moderne vollkommen frei ist.“


Manfred Honeck

Leitung: Manfred Honeck

Der gebürtige Österreicher ist 1958 geboren und begann seine musikalische Tätigkeit als Bratschist bei den Wiener Philharmonikern und an der Wiener Staatsoper. Nach ersten Dirigiererfahrungen mit dem Jeunesse Musicales Orchestra in Wien sowie als Assistent von Claudio Abbado beim Gustav Mahler Jugendorchester wurde er Kapellmeister am Opernhaus Zürich, später Musikdirektor der Oper in Oslo. Von 2007 bis 2011 war er Generalmusikdirektor an der Staatsoper Stuttgart. Seit 2008/09 Music Director beim Pittsburgh Symphony Orchestra. Anfang des Jahres wurde er von europäischen Fachmedien als „Künstler des Jahres“ gewählt.