Einführung zum Konzert des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 22. November 2022


Ernest Chausson: Poème, op. 25

Ernest Chausson
Ernest Chausson (* 1855 in Paris; † 1899 in Limay, Département Yvelines)

Die Jugend Chaussons war durch die Reaktion seiner Eltern auf den frühen Tod zweier seiner Geschwister geprägt, denn sie schirmten ihn von der Außenwelt ab und sorgten für eine hervorragende musikalische, künstlerische und literarische Bildung durch einen Privatlehrer. Entsprechend betätigte er sich auf vielen Gebieten, literarisch, zeichnerisch und musikalisch. Wichtig für ihn wurde neben dem Musizieren im Elternhaus auch der Salon von Madame Berthe de Rayssac, mit der er umfangreich korrespondierte und in deren Salon er bedeutenden Malern, Literaten und Komponisten – etwa Vincent d’Indy – begegnete. Dem Wunsch der Eltern nach studierte er Jura, schloss mit einer Promotion ab und arbeitete einige Zeit als Rechtsanwalt. Chausson war durch die Eltern wohlhabend, auf Einkünfte war er nicht angewiesen.
 Etwa 1877 entstanden erste Kompositionen, ab Ende 1878 nahm er Privatunterricht bei Jules Massenet, im Herbst 1879 wurde er in die Klasse César Francks am Conservatoire aufgenommen. Mehrfach reiste er nach München und Bayreuth, um Aufführungen von Richard Wagners Opern zu hören. Da ihm der Rompreis nicht zuerkannt wurde, ging er ohne Examen vom Conservatoire ab. Ab etwa 1890 veranstaltete er in seinem eigenen Salon Konzerte und empfing die künstlerische Pariser Elite. Zu seinen Freunden zählten Claude Debussy, Emmanuel Chabrier, Stéphane Mallarmé, Eugène Ysaÿe und viele weitere Literaten, Maler, Komponisten und Virtuosen. In den Jahren 1883 bis zu seinem Tod pflegte Chausson während seiner Reisen und Sommeraufenthalte auf dem Land zu komponieren und den Winter in Paris zu verbringen. Hinsichtlich seines kompositorischen Schaffens plagten ihn immer wieder Selbstzweifel, wie viele seiner brieflichen Äußerungen belegen. Neben der Orientierung an seinen Lehrern Jules Massenet und César Franck war er aufgrund der Freundschaft mit Stéphane Mallarmé eng mit dem Symbolismus verbunden. Trotz der Einflüsse der Musik Wagners und Francks ist seine Eigenständigkeit schon früh erkennbar. Seine letzten Jahre waren vor allem mit der Arbeit an seiner Oper Le Roi Arthus ausgefüllt, dessen Libretto und Musik ihn die meiste Energie von allen seinen Kompositionen kostete.
 Chausson war auch als Dirigent und Pianist tätig und engagierte sich auch unter Einsatz seines Vermögens als Sekretär der Société nationale de musique. 1899 starb er bei einem Fahradunfall.



Poème, op. 25, Symphonische Dichtung (1892-96)

Orchesterbesetzung: Solo-Violine – 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba – Pauken, Harfe – Streicher
Spieldauer: ca. 16 Min.
Tempobezeichnungen: Lento e misterioso - Molto animato - Animato - Poco lento - Poco meno lento - Allegro - Tempo I - Tranquillo
Widmung: Eugène Ysaÿe
Uraufführung: 27. Dezember 1896, Konservatorium von Nancy, Eugène Ysaÿe – Violine, Guy Ropartz – Ltg.

Eugène Ysaÿe hatte Chausson um ein Violinkonzert gebeten. Chausson fühlte sich der Aufgabe eines Konzerts nicht gewachsen und schrieb an Ysaÿe: „Ich weiß kaum, wo ich mit einem Konzert anfangen soll, das ein riesiges Unterfangen ist, des Teufels eigene Aufgabe. Aber ich kann mit einem kürzeren Werk fertig werden. Es wird in sehr freier Form sein, mit mehreren Passagen, in denen die Violine allein spielt.“
 Zum größten Teil entstand das Poème während eines Urlaubs in Florenz.
 Chausson schrieb drei verschiedene Fassungen: mit Orchester, mit Klavierbegleitung (später von anderen Händen umgeschrieben) und eine Fassung für Violine, Streichquartett und Klavier, eine Ergänzung zu seinem Konzert in D für Klavier, Violine und Streichquartett, op. 21 (1892). Die Solo-Violinstimmen dieser Fassungen sind bis auf kleine Details identisch.
 Chausson nannte das Werk zunächst Le Chant de l'amour triomphant, änderte es dann in Poème symphonique und schließlich einfach Poème. Die ersten beiden abgelehnten Titel sind in den erhaltenen Manuskripten durchgestrichen.
 Im Herbst 1896 machten Eugène Ysaÿe, Ernest Chausson und ihre Ehefrauen Urlaub in Sitges an der spanischen Mittelmeerküste. Auf einer Party des katalanischen Malers Santiago Rusiñol spielten Ysaÿe und Chaussons Frau am Klavier aus dem Stegreif Poème vor; Anwohner, die dies hörten, verlangten eine dreimalige Wiederholung. Bei dieser Voraufführung waren wohl auch Enrique Granados und Isaac Albéniz anwesend.
 Bei der Pariser Uraufführung durch Ysaÿe bei einem Colonne-Konzert am 4. April 1897 erhielt das Werk anhaltenden Applaus; Chausson hatte so etwas in seiner bisherigen Karriere noch nicht erlebt und war überwältigt. Eine Woche nach Chaussons frühem Tod gab Ysaÿe auch die erste Londoner Aufführung.
 Das Werk folgt keinem formalen Modell, sondern ist rhapsodisch und stimmungsvoll, mit steigenden und fallenden Spannungen und einem fortgeschrittenen harmonischen Stil. Es spiegelt stark die Melancholie und Introspektion wider, von der Chausson von klein auf durchdrungen war. Er schrieb einmal an seine Patentante über seine Kindheit: „Ich war traurig, ohne zu wissen warum, aber fest davon überzeugt, dass ich den besten Grund der Welt dafür hatte".


Alain Altinoglu

Leitung: Alain Altinoglu

Der 1975 in Paris geborene Dirigent armenischer Abstammung studierte am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse, an dem er seitdem auch selbst unterrichtet und seit 2014 die Dirigierklasse leitet. 2016 wurde Altinoglu Directeur Musical des Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel, gerade hat er dort seinen Vertrag bis 2025 verlängert. Neben seiner Tätigkeit als Dirigent begleitet er seine Ehefrau, die Mezzosopranistin und Liedsängerin Nora Gubisch am Klavier und macht hin und wieder auch Ausflüge in den Bereich von Jazz und Improvisation. Seit 2021 ist er Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters.

Emmanuel Tjeknavorian

Solist: Emmanuel Tjeknavorian

Der Geiger und Dirigent wurde 1995 in Wien geboren. Mit fünf Jahren erhielt er in Armenien ersten Geigenunterricht. Mit zehn kehrte er nach Wien zurück und studierte von 2011 bis 2018 bei Gerhard Schulz, dem ehemaligen Mitglied des Alban-Berg-Quartetts, an der Musikuniversität Wien. Außerdem studierte er bei Petros Haykazyan, Artashes Mkrtchyan, und Arkadij Winokurow. Ab 2014 studierte er bei seinem Vater Dirigieren und besuchte Meisterkurse für Dirigieren in England und Italien. Seit 2017 moderiert er monatlich eine eigene Radio-Show in einem österreichischen Radio-Sender „Der Klassik-Tjek“. Er konzertierte mit verschiedenen Orchestern in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Finnland, Frankreich, England und in den USA. Beim Festival de Paques in Aix en Provence spielte er auf Mozarts eigener „Costa-Geige“.