Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 26. Februar 2021


Milica Djordjević: Quicksilver für Orchester

Milica Djordjević
Milica Djordjević (* 1984 in Belgrad)

Djordjević wuchs in der serbischen Hauptstadt Belgrad auf. Als kleines Kind hoffte sie, Konzertpianistin oder Malerin zu werden. Sie besuchte eine spezialisierte Musikschule und ein klassisches Gymnasium. Als Teenager erwog sie eine Karriere in Physik, Theater oder Kunst. Sowohl die Malerei als auch die Physik sind bis heute ein wichtiger Bestandteil in ihrem Leben: ihr erster Impuls für die Klangdarstellung, also die Notation, ist eine Zeichnung und die Physik ist untrennbar mit der Musik verbunden.
 Djordjević studierte Komposition und Klangregie an der Universität der Künste, Belgrad. Sie absolvierte ein Aufbaustudium am Conservatoire de Strasbourg bei Ivan Fedele, am IRCAM und an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin bei Hanspeter Kyburz.
 Sie selbst bezeichnet The Firefly in a Jar für Kammerorchester (2007) oder MUK für Bariton, Violine und präpariertes Klavier als ihre ersten reifen Werke. In MUK verwendet sie Gesangstechniken der traditionellen serbischen Musik. Djordjevićs Musik wird als „rau, oft sogar roh im Gestus“ beschrieben, als „vitale Tonsprache, die sich weniger Harmonie und schönem Klang verweigert, als dass sie ganz genüsslich das Elementare erlebbar macht: Töne der Emanationen der Erde.“
 2015 erhielt sie den Belmont-Preis für Neue Musik der Forberg-Schneider-Stiftung, 2016 wurde sie mit dem Ernst-von-Siemens-Kompositionspreis ausgezeichnet, 2020 erhielt sie den Claudio-Abbado-Kompositionspreis der Berliner Philharmoniker.



Quicksilver für Orchester (2016)

Orchesterbesetzung: 2 Flöten (eine auch Piccolo-Flöte), 2 Oboen, 2 Klarinetten (eine auch Bassklarinette), 2 Fagotte – 2 Hörner, 2 Trompeten, 2 Posaunen, Tuba – 2 Pauken, 4 Schlagzeuger, Harfe – Streicher (8-6-5-4-3, teilw. mit Scordatur)
Spieldauer: ca. 19 ½ Min.
Uraufführung: 16. Dezember 2016, München, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Peter Runder, Ltg.

Zeichnungen sind für Milica Djordjevic ein wichtiges Arbeitsmittel: Sie visualisiert beim Komponieren die angedachten Verläufe und Texturen, um Ideen zu prüfen und zu korrigieren. Ein Vorgehen, das sich ganz auf den musikalischen Prozess konzentriert – wobei im Fall von Quicksilver schon der assoziative Werktitel beim Hörer Raum für eine bildhaft-sinnliche Wahrnehmung lässt. Mit feinen Strichen steckt sie das Klangfeld ab und übt sich in spannungsgeladener Reduktion. Die junge Komponistin verspürt „kein Bedürfnis nach großen Pinselschwüngen“ und was entsteht, ist kein opulentes Gemälde, sondern eine pointierte Grafik wie aus der gespitzten Feder eines mit Blei gefüllten Stiftes. Zu Beginn ist das klingende Skizzenblatt fast weiß, nur von feinen Linien durchzogen, die sich wie ein Spinnennetz ausbreiten; erst im prozesshaften Verlauf der Komposition wendet sich das Blatt und konturieren zunehmend dunkle Schraffierungen das Klangbild, bevor der fast klassisch donnernde Schlussakkord silbrige Schwärze darüber ausbreitet.
 Beim Hören der rhythmischen Schichtungen und den räumlichen Bewegungen der Komposition mag man unwillkürlich an Iannis Xenakis und seine fein gezeichneten und doch von großer Intensität gekennzeichneten Werke denken; die schleifenden Glissandi von Quicksilver erinnern an die fein ziselierten und wabernden Klangwolken seines frühen Meisterwerks Metastasis.
 Die Komponistin sagt zu dem Stück: „Normalerweise wähle ich den Titel immer am Ende. Nur dieses Mal war es nicht so. Also ich hatte diese Idee von ‚Quecksilber‘. Die ersten Assoziationen damit für mich sind Farbe und Beweglichkeit. Glänzend ist das und so, einfach schön zu sehen. Und dann habe ich dieses Video auf Youtube gesehen, wie Gold mit Hilfe von Quecksilber extrahiert wird. Das ist Wahnsinn. Da hast du diese ganz feinen Goldbätter und dann, wenn du dort nur einige Tropfen Quecksilber dazu gibst, dann löst sich das Gold im Quecksilber auf… Aber Quecksilber ist auch extrem toxisch. Also in diesem Stück spielte ich mit diesen Eigenschaften mit glänzenden, schimmernden Farben, mit Reflexionen, mit der Beweglichkeit und Geschwindigkeit dieses Elements (trotz seiner Dichte) und auch mit dieser Toxizität. Mich fasziniert die wunderschöne Form, wenn Quecksilber brodelt, siedet. So verwandelt sich die Musik von glänzenden zerbrechlichen Klängen zu einer dichten, schweren und aufgeladenen Klangexplosion.“


Dima Slobodeniouk

Leitung: Dima Slobodeniouk

der 1975 in Moskau geborene Dirigent studierte zunächst Violine in Moskau und Helsinki, anschließend Dirigieren. Nach vielen Gastdirigaten wurde er 2013 Leiter des Orquesta Sinfónica de Galicia, ab 2016 Chefdirigent des Sinfonia Lahti, Helsinki.