Einführung zum Video-Livestream des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 21. Januar 2022


César Franck: Symphonie, d-Moll

César Franck
César-Auguste Franck (* 1822 in Lüttich, Königreich der Vereinigten Niederlande, † 1890 in Paris)

César Francks Mutter stammte aus Aachen, sein Vater – ein Bankangestellter – aus dem am Dreiländereck gelegenen belgischen Grenzdorf Gemmenich. Nach ihrer Hochzeit in Aachen zogen seine Eltern ins 40 Kilometer entfernte Lüttich, wo César Franck kurz darauf zur Welt kam. Der Vater erkannte früh seine musikalische Begabung und gab ihn 1831 zur musikalischen Ausbildung an das königliche Konservatorium von Lüttich, wo er 1834 große Preise für Solfège und Klavier gewann. Durch seine musikalischen Erfolge ermutigt, organisierte sein Vater 1834 und 1835 eine Reihe von Konzerten in Lüttich, Brüssel und Aachen.
 1835 zog die Familie nach Paris. Dort nahm César Franck zunächst Unterricht bei Antoine Reicha bis zu dessen Tod Privatunterricht in Kontrapunkt, Fuge und Komposition und wurde 1837 am Pariser Conservatoire in die Klavierklasse von Pierre Zimmermann, die Kontrapunktklasse von Simon Leborne, die Kompositionsklasse von Henri-Montan Berton und drei Jahre später in die Orgelklasse von François Benoist aufgenommen. 1838 gewann er einen ersten Preis für Klavier mit gesonderter Auszeichnung für seine brilliante Darbietung. Insbesondere hatte er Johann Nepomuk Hummels schwieriges h-Moll-Konzert hervorragend gespielt, und das Pflichtstück prima vista transponiert. Sein Studium bei Aimé Leborne Fuge und bei François Benoist Kontrapunkt schloss er mit ersten Preisen, das in Orgel mit einem zweiten Preis ab. Gegen seinen Willen musste das Konservatorium 1842 verlassen. Sein Vater wollte ihn zum Klaviervirtuosen machen. So hatte er keine Gelegenheit, am renommierten Prix de Rome teilzunehmen.
 Ab 1844 wirkte Franck als Organist an verschiedenen Pariser Kirchen. Daneben widmete er sich der Komposition: Er veröffentlichte 1843 seine Trios op. 1, begann mit der Arbeit an seinem Oratorium Ruth und unternahm unter dem Druck seines Vaters eine Reihe von Konzerten in Belgien, Deutschland und Frankreich. 1845 beschloss der junge Mann, mit seinem Vater zu brechen, und kehrte nach Paris zurück, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Er komponierte ein symphonisches Gedicht, Ce qu’on entend sur la montagne, und arbeitete an einer Oper, Le Valet de la ferme. Von 1845 bis 1863 nahm er an allen Konzerten des Musikinstituts von Orléans als begleitender Pianist teil.
 Im Jahr 1853 wurde er nach einem Aufenthalt an der Kirche Notre-Dame-de-Lorette Organist an der Kirche Saint-Jean-Saint-François im Marais. Da er durch das Spiel von Jacques-Nicolas Lemmens inspiriert worden war, wurde er ermutigt, sein Pedalspiel zu perfektionieren und seine Improvisationstechniken zu entwickeln. César Franck wurde Organist der neuen Kirche Sainte-Clotilde, eine Position, die er bis zu seinem Tod innehatte. Dort weihte er im Dezember 1859 eines der schönsten Instrumente des Orgelbauers Aristide Cavaillé-Coll ein.
 1871 wurde er als Nachfolger von François Benoist zum Professor für Orgel am Pariser Konservatorium ernannt. Um diese Stelle zu erhalten, musste er französischer Staatsbürger werden. Im Februar 1872 trat er diese Position offiziell an. Zu seinen zahlreichen Schülern gehörten Vincent d’Indy, sein späterer Biograf, und die Komponistin Marie Renaud-Maury, die 1876 als erste Frau den ersten Preis der Kompositionsklassen des Pariser Konservatoriums gewann. Die Zeit von 1874 bis zu seinem Tod war eine Zeit intensiver Kreativität und Kompositionsarbeit: Oratorien, Klavierwerke, Streichquartett, Violinsonate, Ballett, Gedichte und Symphonische Variationen, verschiedene Orgelstücke.
 Franck war als Klavier- und Orgelvirtuose gefeiert, als Komponist zu Lebzeiten häufig kritisiert und wenig erfolgreich. Er war zeitlebens ein Mann mit starken religiösen Überzeugungen, die ihn dazu veranlassten, Werke auf der Grundlage biblischer Texte oder anderer kirchlicher Quellen zu komponieren. So individuell und unverkennbar seine Musik auch war, sind Anregungen durch Liszt, mit dem er persönlich befreundet war, und Wagner nicht zu verkennen.
„Bei César Franck war alles Gefühl und beinahe nichts reine Vernunft“, notierte Romain Rolland 1908, er sei „ein Mystiker, dem der Zeitgeist verschlossen blieb“. Franck glaubte trotz öffentlicher Verkennung und Fehlschläge unbeirrbar an seine Kompositionen. Zwar wurde er als lebensferner Träumer charakterisiert, doch konnte er eine erstaunliche Beharrlichkeit an den Tag legen.



Symphonie, d-Moll (1887)

Orchesterbesetzung: 2 Flöten, 2 Oboe, Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fagotte –
 4 Hörner, 2 Trompeten, 2 Kornette, 3 Posaunen, Tuba – Pauken, Harfe – Streicher
Spieldauer: ca. 24 Min.
Sätze: 1. Lento / Allegro non troppo
 2. Allegretto
 3. Allegro non troppo
Widmung: À mon ami Henri Duparc.
Uraufführung: 17. Februar 1889, Pariser Konservatorium, Jules Garcin – Ltg.

Beethoven überschrieb den vierten Satz seines Streichquartetts F-Dur Op. 135 mit dem Titel „Der schwer gefasst Entschluss“. Vor den Satz stellte er ein kleines textiertes Motiv als Motto:
Motto




Diese Figur wandelt Franck leicht ab, den Rhythmus und den Sprung der verminderten Quarte behält er bei, nur den ersten Ton verändert er. Mit diesem kleinen Motiv lässt er seine Symphonie beginnen:
Motto




Daraus entwickelt Franck einen Großteil seiner Symphonie. Es ergibt sich eine intensive motivische Arbeit, die die Symphonie eher in die Nähe eines Brahms als eines Wagners bringt. Es gibt weitere Besonderheiten:
 Die Symphonie weist nur drei statt der üblichen vier Sätze auf. Die Lento-Einleitung des ersten Satzes wird gleich dreimal gespielt, ein zweites Mal bei einer auskomponierten Wiederholung des ersten Themas, ein drittes Mal mit dem Eintritt der Reprise jetzt als Kanon ausgeführt und mit einem mächtigen Bläsersatz kombiniert. Dadurch entsteht die Frage: Ist dies überhaupt eine Einleitung oder bereits Bestandteil des ersten Themas? Nach diesem Lento-Teil beginnt das Allegro non troppo jedenfalls mit demselben Motiv, doch jetzt im etwa vierfachen Tempo. Dadurch verändert sich der Charakter grundlegend. Ein zweites, kantables Thema in der Paralleltonart F-Dur bringen die Violinen. Francks Schüler Guy Ropartz hat dieses als „Motiv der Hoffnung“ charakterisiert. Am Ende der Exposition erscheint ein drittes Thema, synkopisch angelegt, heroisch-triumphal, ausgiebig in der Durchführung verarbeitet und im Finale wieder aufgenommen. Ropartz bezeichnete dieses Thema als „Motiv des Glaubens“. Die Exposition wird am Ende immer weiter ausgedünnt und reduziert. Aus diesem ausgesparten Satz entwickelt die Durchführung immer wieder einzelne Steigerungen, die jedesmal wieder zurückfallen, bevor mit dem Lento des Anfangs die Reprise beginnt. Hier wird auf eine erneute Wiederholung des ersten Themas verzichtet, stattdessen eine umfangreiche Coda angehängt, die noch einmal kurz den reduzierten Charakter der Durchführung aufnimmt, um in eine Steigerung bis zum Schluss überzugehen.
 Zum folgenden Allegretto in b-Moll schrieb Franck im Programmheft der Uraufführung: „Der Satz beginnt mit gezupften Akkorden der Streicher und der Harfe, die die Melodie des Themas zunächst nicht hervortreten lassen. Dieses zarte und melancholische Thema wird von einem Englischhorn vorgetragen.“ Nach der harmonischen Komplexität des ersten Satzes wirkt dieser Anfang mit seiner einfachen Harmonik und Rhythmik fast archaisch und verloren, ein Eindruck, der sich mit der Klangfarbe des Englischhorns schlüssig verbindet. Ropartz überliefert, dass eine „Prozession aus Urväterzeiten“ das programmatische Vorbild für die schwebende, poetische Tristesse dieses Satzes gewesen sei. Im zweiten Durchgang der Melodie bringen zuerst die Bratschen, später andere Instrumente eine kontrapunktische Melodie. Weitere Durchgänge wenden den Satz schließlich nach Dur. Daraus entwickelt sich ein zweiter Teil, der jetzt immer dramatischer durch Sechzehntel der Streicher begleitet und vielschichtiger in der Kontrapunktik zu einer Steigerung führt, die fast abrupt in die anfängliche Klangwelt zurückfällt. Es folgt ein Mittelteil, der wie ein eigenständiges Scherzo mit einer leichten, luftigen Triolenbewegung der Violinen beginnt, immer weiter fortgesponnen wird, bis die erste Englischhornweise wieder erscheint und die beiden Themen miteinander kombiniert werden.
 Das Finale in D-Dur, so Franck, „beginnt mit einem Thema in einem klaren und gewissermaßen leuchtenden Ton, das somit mit den beiden eher düsteren und melancholischen Themen der beiden vorangehenden Sätze kontrastiert“. In schnelle unisono-Tonrepititionen der Streicher erklingt eine weitschwingende Melodie der Celli und des Fagotts, gefolgt von einem etwas kurzatmigen H-Dur-Thema abwechselnd in den Blechbläsern und Streichern. Markant lässt Franck die Englischhorn-Melodie des zweiten Satzes wiederkehren, aber auch die thematische Keimzelle vom Beginn des ersten Satzes, beide Themen diesmal nach Dur gewendet. Mit dieser raffinierten Übereinanderschichtung der Themen aus allen drei Sätzen geht Franck weit über bloßes Zitieren hinaus. Die Prägnanz der Franck’schen Themen macht dem Hörer dabei die Wiedererkennung leicht. Mit markerschütternder Wirkung wird aus der zarten Englischhorn-Kantilene plötzlich ein massiver Klangblock in raumgreifender, orchestraler Fülle. Auch das triumphale dritte Thema des ersten Satzes („Motiv des Glaubens“) wird noch einmal in Erinnerung gerufen. Die Coda sorgt für einen so jubelnden, unwiderstehlichen Schlusspunkt, dass man kaum begreift, warum das Werk bei der Uraufführung so kläglich durchfiel.


Alain Altinoglu

Leitung: Alain Altinoglu

Der 1975 in Paris geborene Dirigent armenischer Abstammung studierte am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse, an dem er seitdem auch selbst unterrichtet und seit 2014 die Dirigierklasse leitet. 2016 wurde Altinoglu Directeur Musical des Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel, gerade hat er dort seinen Vertrag bis 2025 verlängert. Neben seiner Tätigkeit als Dirigent begleitet er seine Ehefrau, die Mezzosopranistin und Liedsängerin Nora Gubisch am Klavier und macht hin und wieder auch Ausflüge in den Bereich von Jazz und Improvisation. Seit 2021 ist er Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters.