Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 4. Februar 2021 und zu den Konzerten am 7. und 8. Oktober 2021


Joseph Haydn: Konzert für Violoncello C-Dur

Joseph Haydn
Joseph Haydn (* 1732 in Rohrau, Erzherzogtum Österreich; † 1809 in Wien)

Joseph Haydn verbrachte einen großen Teil seiner beruflichen Laufbahn als Hofmusiker auf dem Landsitz der wohlhabenden ungarischen Familie Esterházy, deren Orchester und Oper er leitete. Die Abgeschiedenheit von anderen Komponisten und musikalischen Strömungen beschrieb er mit den Worten: „Ich war von der Welt abgesondert, niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irremachen und quälen, und so musste ich original werden.“
 Die Komposition des Cellokonzertes fällt wohl in die Anfangszeit im Hause Esterházy. Hier hatte er ein enormes Arbeitspensum zu leisten: Komposition, Leitung des Orchesters, Spielen von Kammermusik für und mit seinem Patron und das Arrangieren von Opern. Die Fürsten Esterházy (erst Paul Anton, dann vor allem Nikolaus I.) waren Musikkenner, die seine Arbeit schätzten und ihm den Raum für seine künstlerische Entwicklung gaben, darunter den täglichen Zugang zu seinem eigenen kleinen Orchester. In der Saison zwischen Februar und November fielen 100 bis 150 Aufführungen an, die er zu dirigieren hatte. Haydn produzierte hier eine große Anzahl von Kompositionen und sein musikalischer Stil entwickelte sich ständig weiter. Seine Popularität in der Außenwelt vergrößerte sich ebenfalls. Allmählich schrieb er ebenso viel für Veröffentlichungen wie für seinen Arbeitgeber, und einige wichtige Werke dieser Periode, wie die Pariser Sinfonien (1785-86) und die ursprüngliche Orchesterversion der Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze (1786), wurden aus dem Ausland in Auftrag gegeben.



Konzert für Violoncello C-Dur, Hob VIIb:1 (wahrscheinlich zwischen 1761 und 1765)

Orchesterbesetzung: Solo-Violoncello – 2 Oboen – 2 Hörner – Streicher (8-8-6-4-3)
Spieldauer: ca. 25 Min.
Sätze: 1. Moderato
2. Adagio
3. Allegro molto

Das Cellokonzert wurde wahrscheinlich zwischen 1761 und 1765 für den Freund Joseph Franz Weigl komponiert, der damals der erste Cellist beim Fürsten Esterházy war. Das Werk galt als verschollen, bis im Jahr 1961 der Musikforscher Oldřich Pulkert eine Stimmenabschrift im Prager Nationalmuseum fand. Es ist eines von neun Haydn zugeschriebenen Cellokonzerten, von denen nur zwei als zweifellos authentisch überliefert sind. Vom Vorhandensein des 1. Cellokonzerts wusste man vorher nur aus Haydns eigenem „Entwurfs-Katalog“ von 1765, mit dessen Eintragungen die gefundenen Noten zusammenpassten. Am 19. Mai 1962 wurde das Werk im Rahmen des Prager Frühlings wieder „uraufgeführt“.
 Der erste Satz ist als Sonatenhauptsatzform zu verstehen. Das Solocello wiederholt und variiert das thematische Material, welches in der Exposition durch das Orchester vorgetragen wird. Der kurze Seitensatz entwickelt sich aus dem Solo-Cellospiel. Die Durchführung ist frei, es werden keine thematischen Bestandteile verarbeitet. Prägnant ist der Wechsel von Solo- und Tutti-Blöcken, ein Charakteristikum der barocken Concerti.
 Auch das Adagio folgt einer Sonatenhauptsatzform. Haydn setzt hier im Orchester keine Bläser ein. Nach einer kurzen Orchestereinleitung exponiert die erste Violine das Thema, der Cellist wiederholt die Melodie der Violinen und spinnt diese zu einer rein akkordischen Orchesterbegleitung weiter fort. Ein kleiner Seitensatz wird vom Solo-Cello eingeleitet und mündet in eine nicht-thematische kurze Durchführung. In die Reprise ist am Ende des Satzes eine zu improvisierende Solokadenz vorgesehen. Eine Herausforderung stellt vor allem die relativ hohe Lage über weite Teile des Soloparts dar.
 Der dritte Satz beginnt mit einer für Haydn so typischen Abweichung von der vorher geweckten Erwartung: Zwei zweitaktige in kräftigen forte gespielte Motive werden entgegen der Erwartung im piano nur einmal wiederholt, dann entwickelt sich aus einer Nebenfigur und im forte ein neuer Gedanke. In der Wiederholung mit dem Einsatz des Solocellos fällt diese Verkürzung weg und erneut wird die Erwartung getäuscht. Noch im Anfangsteil des Orchesters entwickelt sich ein kleiner Seitensatz, der nach Moll wechselt, bevor die Exposition in einer Schlussgruppe endet. Die Wiederholung der Exposition wird durch virtuose Cello-Figuren wesentlich erweitert. Die Durchführung beginnt mit einer Variation des ersten Themas, das nun während einiger Modulationen in ein virtuoses Spiel getrieben wird. Der Beginn der Reprise ähnelt den Themeneinsätzen des Adagio: Während das Solo-Cello einen Liegeton hält, exponiert die 1. Violine das Thema, das alsbald vom Cello übernommen wird. Von barocker Feierlichkeit ist in diesem letzten Satz des Konzertes nichts mehr zu spüren. Die Kunst des Solisten ist jetzt die treibende Kraft in einem musikalischen Wettspiel. Cellist und Orchester stacheln sich darin gegenseitig an – eine Virtuosenpartie, wie sie in der aufblühenden Wiener Klassik immer beliebter wurde.
 Somit verbindet dieses Konzert den höfischen Rahmen des Spätbarock mit modernerem Virtuosentum.


Christoph Eschenbach

Leitung am 4. Februar 2021: Christoph Eschenbach

wurde 1940 in Breslau geboren, verlor seine Familie im Krieg und wurde ab 1946 von der Cousine seiner Mutter, der Pianistin Wallydore Eschenbach, aufgenommen und unterrichtet. Er studierte in Köln und Hamburg Klavier und Dirigieren. 1965 begann er eine internationale Karriere als Pianist, ab 1972 als Dirigent. Ab 1979 war er nacheinander Chefdirigent in Ludwigshafen, Zürich, Houston, Chicago, Hamburg, Philadelphia, Paris und Washington. Seit 2003 ist er musikalischer Leiter der Orchesterakademie des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Seit 2016 dirigiert er an der Mailänder Scala. Ab der Saison 2019/20 soll er das Konzerthausorchester in Berlin übernehmen.

Santiago Cañón Valencia

Violoncello: Santiago Cañón Valencia

Der 1995 geborene kolumbianische Cellist lernte seit 1999 Violoncello. Ab 2010 studierte er bei James Tennant in Neuseeland, danach bei Andrés Diaz in Texas, schließlich bei Wolfgang Emanuel Schmidt in Weimar.









Richard Egarr

Leitung am 7. und 8. Oktober 2021: Richard Egarr

wurde 1963 in Lincoln/GB geboren. Egarr erhielt seine frühe musikalische Ausbildung als Chorsänger am York Minster, später an der Chetham's School of Music in Manchester. Anschließend war er Orgelschüler am Clare College der Universität Cambridge und absolvierte die Guildhall School of Music and Drama in London. Angeregt durch seinen Mitstudenten Gustav Leonhardt interessierte er sich schon früh für die Historische Aufführungspraxis. Egarr hat die Fähigkeit, alle möglichen Tasteninstrumenten zu bespielen. Er beherrscht das musikalische Repertoire der Tasteninstrumente seit Beginn der Intabulierung über Dussek, Chopin bis hin zu Berg und Davies. Im Jahr 2006 trat er die Nachfolge von Christopher Hogwood als musikalischer Direktor bei der Academy of Ancient Music an.

Steven Isserlis

Violoncello: Steven Isserlis

wurde 1958 in London geboren. Er besuchte die City of London School, die er im Alter von 14 Jahren verließ, um nach Schottland zu ziehen, wo er bei Jane Cowan studierte. Von 1976 bis 1978 studierte Isserlis am Oberlin Conservatory of Music bei Richard Kapuscinski. Er konzertiert sowohl als Solist, als Kammermusiker als auch mit Orchestern. Er hat viele Uraufführungen von zeitgenössischen Kompositionen gespielt, konzertiert aber auch oft mit Ensembles mit historischen Instrumenten. 2008 gab er sein Debüt als Dirigent mit dem Irish Chamber Orchestra in Dublin. Er ist künstlerischer Leiter des International Musicians Seminar, Prussia Cove in West Cornwall. Seine Aufnahme von Haydns Cellokonzerten wurde 2017 für einen Grammy Award nominiert.
Er spielt das Stradivarius-Cello des Marquis de Corberon (Nelsova) von 1726.