Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 14. Februar 2018


Sulejman Judakov: Choresmischer Festumzug

Sulejman Judakov
Sulejman Aleksandrovič Judakov (* 1916 in Qo'qon, Usbekistan, † 1990 in Taschkent)

Sulejman (Solomon) Judakov, ein bucharischer Jude, begann seine musikalische Ausbildung in einem Waisenhaus, in dem er drei Jahre seiner Kindheit verbrachte. Sein erster Lehrer dort war Mikhail Naigof. Im Jahr 1932 wurde er in das sogenannte Rabfak (рабочий факультет = Arbeiterfakultät – eine Bildungseinrichtung, die zur Vorbereitung der Arbeiter und Bauern auf die höhere Bildung eingerichtet wurde) des Moskauer Konservatoriums aufgenommen, wo er vor allem im Spiel der Flöte unterrichtet wurde. Im Jahr 1939 nahm ihn Reinhold Glière als Student in seine Kompositions-Klasse am Konservatorium auf. 1941 musste er aufgrund des Kriegsausbruchs sein Studium unterbrechen und ging nach Taschkent. 1943 bis 1946 wirkte er als künstlerischer Leiter der Tadschikischen Staatsphilharmonie in Duschanbe, danach lebte er bis zu seinem Tod in Taschkent. Noch während des Krieges, 1944, komponierte er die Melodie, die später zur Nationalhymne Tadschikistans wurde und – mit einem geänderten Text – bis heute beibehalten wurde. Nach dem Krieg entstanden verschiedenste Werke z.B. die komische Oper Die Streiche von Maysara, das komische Ballett Nasreddin's Unfug, Kantaten und sinfonische Musik. Er schrieb eine Reihe von Stücken zur Eröffnung lokaler Radio- und Fernsehshows, wie Usbekistan, My Homeland, Der Karnevalswalzer, Ladyfreunde u.v.m. Seine Kompositionen sind überwiegend von der Musik der unterschiedlichen zentralasiatischen Völker inspiriert. 1951 erhielt er den Stalin-Preis für ein vokalsinfonisches Werk, 1970 den Hamza-Staatspreis Usbekistans und 1976 wurde ihm der Titel „Volkskünstler der Usbekischen Sowjetrepublik“ verliehen.
 Als Pädagoge spielte er in Usbekistan eine wichtige Rolle, er unterstützte viele junge Komponisten und Musiker und zeigte ihnen den Weg in die Welt der Kunst.
 Saodat Kabulova, Volkskünstlerin Usbekistans und Professorin am Staatlichen Konservatorium, erinnerte sich an Judakov mit folgenden Worten: „Sulejman Judakov war ein bemerkenswerter Mann, fröhlich, jovial und voller Optimismus. Das erste Mal traf ich ihn in Moskau, wo ich an einem Konservatorium graduierte. Als Landsleute haben wir viel miteinander gesprochen. Er war älter als ich und einmal fragte ich ihn aus Neugier, warum er nicht verheiratet sei. Er hatte einen großartigen Sinn für Humor und antwortete: ‚Ich bin mit Musik verheiratet und meine Kinder sind die Stücke, die ich komponiere.‘ Damals dachte ich, es wäre lustig, aber heute finde ich eine besondere Bedeutung in des Maestros Worten. Meine Popularität und meinen Titel „Volkskünstlerin“ verdanke ich seiner Arbeit und Kunst. Es war Judakovs Musik, die es mir ermöglichte, mich auszudrücken und mein Potenzial zu erkennen.“



Choresmischer Festumzug (Chorezmskoe Prazdničnoe Šestvie) (1948/49 – 1951)

Orchesterbesetzung: Piccolo-Flöte, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba – Pauken, 5 Schlagzeuger, Harfe – Streicher (16-14-12-10-8)
Ein Satz: Allegro moderato
Spieldauer: ca. 5 Min.

Chorezmien ist eine Region Usbekistans südlich des ehemaligen Aral-Sees am Unterlauf und im Delta des Amedarje-Flusses mit der größten Stadt, Chiwa. Kurz nach der Oktoberrevolution war Chorezmien eine eigene Sowjetrepublik, wurde 1924 aber der Usbekischen SSR zugeschlagen. Der Name bedeutet „Land der Sonne“. Hier haben sich über Jahrhunderte türkische, arabische, persische, mongolische, tadschikische, azerbaidschanische, nomadische und russische Kulturen vermischt und eine ganz eigene musikalische Tradition entstehen lassen, die außerhalb dieser Region kaum bekannt ist. Hier wird das kata achoula gesungen, das beshakarsak zum Klang des Händeklatschens und der Stein-Crotales, das begleitete terma zu Hochzeiten mit dem Rhythmus eines Rahmen-Tambours, das yalla zur Tanz-Begleitung oder der souvâra, ein heiliger Gesang, der zum Tanz animieren soll. Die Volksmusik ist verbunden mit einer reichen wissenschaftlichen Tradition zu melodischen Modi und rhythmischen Schemata, die über lange Zeit Teil der städtischen und höfischen Zeremonien waren. Traditionelle Instrumente waren die dotār, eine Laute mit langem Hals, die Stachelfidel ġeğak, die tadschikische Laute rabāb, verschiedene Blasinstrumente und Trommeln. Dazu trat in der Regel Gesang. Prozessionen spielten in den Hochzeitsriten eine wichtige Rolle und wurden musikalisch gestaltet.
 An diese Traditionen knüpft Judakov mit seinem Chorezmischen Festumzug an. Er erneuert die usbekische Musik durch Verwendung europäischer Orchesterinstrumente und durch die Darbietungsform des Konzertes, die die Volksmusik eigentlich nicht kennt. Die traditionelle Melodik, die auf maqām-Tonleitern beruht, wird zugunsten der Dur-Moll-tonalen Mehrstimmigkeit des europäischen Orchestersatzes aufgegeben. Erhalten bleiben die auf tetra- oder pentatonischen Tonfeldern beruhenden Strukturen, das Nationalkolorit, das durch Nachbildung der Klangfarben der Volksmusikinstrumente mit den Mitteln eines Sinfonieorchesters erzielt wird, sowie die episodenhafte Form.
 Judakov hat vermutlich 1948 oder 1949 eine dreiteilige „Tanzsuite“ für zwei Klaviere komponiert und den ersten Satz dieser Suite wohl 1951 orchestriert und zum Choresmischen Festumzug umgearbeitet.


Aziz Shokhakimov

Leitung: Aziz Shokhakimov

1988 in Taschkent (Usbekistan) geboren. Er lernte als Sechsjähriger Violine und Bratsche und studierte Dirigieren bei Vladimir Neymer. Mit 13 gab er vor dem Nationalen Symphonieorchester Usbekistan sein Dirigentendebüt. Von 2006 bis 2012 war Aziz Shokhakimov Chefdirigent des Nationalen Symphonieorchesters Usbekistan. 2010 gewann er den 2. Preis beim Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerb der Bamberger Symphoniker. Seit der Spielzeit 2015/16 ist er als Kapellmeister an der Deutschen Oper am Rhein engagiert. Bei den Salzburger Festspielen 2016 wurde er mit dem „Young Conductors Award“ ausgezeichnet und dirigierte dort 2017 das Preisträgerkonzert. In der Spielzeit 2017/18 dirigiert er an der Komischen Oper Berlin.