Einführung zum Konzert des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 1. Oktober 2021


Charles Koechlin: Vers la voûte étoilée, Op. 129

Charles Koechlin
Charles Louis Eugène Koechlin (* 1867 in Paris; † 1950 in Rayol-Canadel-sur-Mer, Département Var)

Koechlin erhielt als jüngstes von sieben Kindern einer einflußreichen Industriellenfamilie aus dem Elsaß seit seinem sechsten Lebensjahr Klavierunterricht. Er interessierte sich für Mathematik und Naturwissenschaften und studierte ab 1887 an der renommierten Ecole polytechnique. Aufgrund einer Tuberkulose-Erkrankung brach er dieses Studium jedoch ab und erhielt ab 1890 Kontrapunktunterricht bei Charles Lefèbvre. 1896 wurde er Schüler von Gabriel Fauré. 1910 gründete Koechlin, gemeinsam mit anderen die Société musicale indépendante (SMI), die sich für die Pflege und Förderung zeitgenössischer Musik einsetzte. Finanzielle Schwierigkeiten zwangen Koechlin zum regelmäßigen Unterrichten und Verfassen von Musikkritiken, Artikeln und biographischen sowie didaktischen Schriften. Koechlins unorthodoxer pädagogischer Ansatz verhinderte eine Festanstellung am Conservatoire. Nur von 1935 bis 1939 unterrichtete er an der Schola cantorum und in den Jahren 1938/39 übernahm er die Vertretung für Nadia Boulanger an der Ecole normale de musique. Koechlin war kein radikaler Neuerer, er fühlte sich der kompositorischen Tradition verpflichtet. 1918 wurde er ausgewählt, innerhalb einer offiziellen Kommission als Repräsentant der französischen Musik in die Vereinigten Staaten zu reisen. Bis 1919 hielt er dort Vorträge über die moderne französische Musik. Drei weitere Vortragsreisen in die USA folgten in den Jahren 1928, 1929 und 1937.
 Zu Lebzeiten und bis Anfang der 2000er Jahre wurde Koechlins Musik selten gespielt. Ab 2001 wurde seine Musik durch eine Kooperation zwischen dem SWR und seinem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart mit dem Dirigenten Heinz Holliger sowie mit dem Verlag Hänssler Classic und dem in Kassel ansässigen Archiv Charles Koechlin neu entdeckt, aufgeführt und aufgezeichnet.



Vers la voûte étoilée – Nocturne pour orchestre dédié à mémoire de Camille Flammarion, Op. 129 (1923/33, rev. 1939)

Orchesterbesetzung: 4 Flöten (alle auch Piccolo), 3 Oboen (2. auch Oboe d’amore, 3. auch Englischhorn), 3 Klarinetten (eine auch Bassklarinette), 3 Fagotte (eine auch Kontrafagott) – 4 Hörner, 4 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba – Pauken, 2 Schlagzeuge, 2 Harfen – Streicher (14-12-10-8-6)
Spieldauer: ca. 12 ½ Min.
Uraufführung: 1989, Berlin.

Die Komposition basiert auf einem Nocturne für Klavier in es-Moll, das Koechlin bereits 1923 komponiert, aber nie veröffentlicht hat. 1933 orchestrierte er es, doch auch diese Fassung blieb unveröffentlicht. 1939 überarbeitete er das Werk erneut und kürzte es dabei erheblich. Er selbst blickte etwas skeptisch auf das Stück. Seinem Schüler Roger Désormière beschrieb er es 1933 als ein „introvertiertes Werk (obwohl es gegen Ende viel klangvoller wird). Man wird es wie meine Ballade [für Klavier und Orchester, op. 50] als grau, mühsam, lang, etc. ... beurteilen. Aber trotzdem, wenn Sie die Gelegenheit sehen, es eines Tages zu dirigieren, würde ich mich freuen. Aber vielleicht bräuchte es ein wohlwollendes Publikum oder es müsste inmitten eines Festivals von Werken gespielt werden.“
Vers la voûte étoilée zeigt die individuelle Sprache Koechlins, deren Stärke weniger in der thematischen als in der harmonischen Imagination liegt. Die Aufteilung des orchestralen Satzes in simultan ablaufende Schichten führt in polytonale bis hin zu atonalen Klangwelten. Formal weist das Werk eine sich entwickelnde Polyphonie, deren Verdichtung sich stetig steigert, bis zu einem dynamischen Höhepunkt, bevor es zum Schluss wieder abflaut und verklingt. Erst durch die Ausdifferenzierung der Orchesterfarben werden die musikalischen Strukturen deutlich. Klanglich steht es in spätromantischer Tradition, die Rückkehr in die Ausgangstonart am Ende erfüllt die Erwartungen der Konvention.
 Der Widmungsträger, Camille Flammarion, ist ein Astronom, der im 19. Jahrhundert über die Existenz von Leben im All spekuliert und sich mit der Forschung über Doppelsterne und andere Galaxien befasst hat.


Ariane Matiakh

Leitung: Ariane Matiakh

Sie wurde 1980 in Paris geboren. Bereits als Kind gewann sie Preise für Klavier, Kammermusik und Dirigieren. Von 2002 bis 2005 studierte Ariane Matiakh Dirigieren an der Musikhochschule in Wien bei Leopold Hager, Yuji Yuasa, Erwin Ortner, Ervin Acél und in Meisterkursen bei Seiji Ozawa. Ihre Karriere als Dirigentin begann sie 2005 in Montpellier. Eine Vertretung für James Conlon im Mai 2006 bei Šostakovičs 7. Sinfonie wurde hoch gelobt und markierte den Beginn ihrer internationalen Karriere. Es folgten Stationen in Berlin, Stockholm, Amsterdam, Göteborg, Graz, Nizza und Straßburg. 2018 wurde Matiakh Professorin am Conservatoire national supérieur de musique et de danse de Paris. Ab Beginn der Spielzeit 2019 bis Ende Januar 2020 war Ariane Matiakh Generalmusikdirektorin der Oper und Staatskapelle Halle.