Einführung zu den Konzerten des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 4. und 5. November 2021


Felix Mendelssohn-Bartholdy: Violinkonzert e-Moll, Op. 64

Felix Mendelssohn-Bartholdy
Felix Mendelssohn-Bartholdy (* 1809 in Hamburg; † 1847 in Leipzig)

Felix Mendelssohn-Bartholdy war der Enkel des Philosophen Moses Mendelssohn. Sein Vater, der Bankier Abraham Mendelssohn, übersiedelte 1811 nach Drangsalierungen durch Napoleons Besatzungstruppen von Hamburg nach Berlin, wo er sich niederließ, mit seiner Familie zum Protestantismus konvertierte und seinem Namen den christlichen Namen Bartholdy hinzufügte. Die umfassende und vielseitige Bildung hatte in der Erziehung von Felix und seiner Schwester, Fanny, einen hohen Stellenwert. Nach frühem Unterricht bei den Eltern besuchte Felix zwei Jahre lang die Erziehungsanstalt Dr. Messow, danach erhielt er vielfältigen Privatunterricht, der Mathematik, Geschichte, alte und neue Sprachen, Zeichnen, sportliche Aktivitäten ebenso einschloss, wie Klavier-, Violin-, Orgel- und Kompositionsunterricht. Als Neunjähriger wirkte er zum ersten Mal als Pianist bei einer Aufführung eines Klaviertrios von Joseph Wölfl öffentlich mit. Da in seinem Vaterhaus jeden Sonntag Konzerte stattfanden, zu denen eine kleine Kapelle engagiert wurde, hatte der junge Musiker die Möglichkeit, seine ersten Kompositionsversuche aufzuführen. Sein Kompositionslehrer, Carl Friedrich Zelter, unterrichtete ihn im Geist der Musiktheorie des 18. Jahrhunderts und – wie Mendelssohn selbst schrieb – „nicht in der Steifheit einzwängender Lehrsätze, sondern in der wahren Freiheit d.h. in der Kenntniß der rechten Gränzen“.
 Ab 1829 unternahm er eine Reihe von Reisen, u.a. nach England, Schottland, Italien und Frankreich. Als er 1833 zurückkehrte, wurde ihm die Leitung der Rheinischen Musikfeste in Düsseldorf übertragen. Er übernahm auch die Stellung eines Musikdirektors von Düsseldorf, trat sie jedoch im folgenden Jahr an Julius Rietz ab und begab sich nach Leipzig, wo er Kapellmeister der Gewandhauskonzerte wurde. Als erster Berufskapellmeister leitete er das Orchester von einem Podium aus. Seine seltene Dirigierbegabung, seine umfassende musikalische Bildung sowie sein Ruf als schaffender Künstler machten ihn zum Mittelpunkt des Musiklebens in Leipzig und die Stadt selbst zu einem musikalischen Zentrum von weltweiter Bedeutung.
 Im Sommer 1836 übernahm Mendelssohn eine Vertretung beim Cäcilienverein in Frankfurt am Main. Der preußische Kronprinz, dem Mendelssohn 1833 in Düsseldorf begegnet war und dem er 1835 seine drei Konzertouvertüren op. 21, 26 und 27 gewidmet hatte, war als Friedrich Wilhelm IV. König von Preußen geworden und bemühte sich, in Berlin Koryphäen des Geisteslebens zusammenzuziehen. Mendelssohn gehörte dazu. Doch die Neuformierung der Akademie der Künste, deren musikalische Klasse er übernehmen sollte, und die damit verbundene Gründung eines Konservatoriums kam nicht zustande. Letztlich beschränkte sich Mendelssohns Tätigkeit auf die Produktion von Schauspielmusiken und die Erneuerung der Kirchenmusik – damit verbunden die Leitung des königlichen Hof- und Domchores. Schließlich hielt er sich überwiegend in Frankfurt auf und kam nur zu gelegentlichen Auftritten und Proben nach Berlin oder Leipzig. Viele Einladungen zu Musikfesten und Konzerten lehnte er inzwischen ab. Nicht einmal zur Uraufführung seines Violinkonzertes kam er von Frankfurt nach Leizig.
 Der unerwartete Tod seiner geliebten Schwester Fanny Hensel im Mai 1847 traf ihn schwer und er erholte sich nur langsam. Und gerade ein halbes Jahr später starb er nach kurzer schwerer Krankheit vermutlich an einem familiären Schlaganfall-Syndrom.



Violinkonzert e-Moll, op. 64 (1838 / 1844)

Orchesterbesetzung: Solo-Violine – 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 2 Hörner, 2 Trompeten – Pauken – Streicher
Sätze: 1. Allegro molto appassionato
2. Andante
3. Allegretto non troppo – Allegro molto vivace
Spieldauer: ca. 27 Min.
Uraufführung: 13. März 1845 in Leipzig, Ferdinand David – Violine

Bereits im Juli 1838 hatte Mendelssohn seinem Freund, dem Geiger Ferdinand David, angekündigt: „Ich möchte Dir wohl auch ein Violinkonzert machen für nächsten Winter; eins in e-moll steht mir im Kopfe, dessen Anfang mir keine Ruhe läßt.“ Sechs Jahre später, im Jahre 1844, wurde das Violinkonzert in Bad Soden vollendet.
 Das Violinkonzert enthält einige kompositorische Neuerungen, so die Einführung des Hauptthemas im ersten Satz durch das Solo-Instrument, die Anordnung der Kadenz am Ende der Durchführung und die bis dahin unübliche nahtlose Überleitung vom ersten zum zweiten Satz.
 Die Solo-Violine beginnt den ersten Satz gleich im zweiten Takt mit dem schwungvollen Thema, das von den Streichern begleitet wird. Bevor das Orchester das Thema übernimmt, ist ein kurzer, quasi kadenzierender Solo-Abschnitt komponiert, der vom Orchester mit kräftigen Akkord-Schlägen unterbrochen wird. Auch die Wiederholung des Themas im Orchester mündet wieder in einem – diesmal ausgedehnteren – Abschnitt, in dem die Solo-Violine das Thema virtuos und vielfältig variiert. Das Seitenthema in G-Dur wird von Flöten und Klarinetten eingeführt, alsbald von der Solo-Violine übernommen, die dann schließlich von den Streichern begleitet die Exposition abschließt. Die Durchführung startet mit einer Wiederaufnahme des Hauptthemas, das nun in einzelne Motive zerlegt und in Variationen durch verschiedene Tonarten geführt wird, bis es schließlich nach Dur wechselt. Ein großes crescendo auf der Dominante führt dann in die Solo-Kadenz. Sie endet mit spiccato-Arpeggien, die auch fortgeführt werden, wenn das Orchester mit dem Hauptthema die Reprise beginnt. Ohne Wiederholung des Hauptthemas erscheint das Seitenthema jetzt in E-Dur in den Holzbläsern. Mendelssohn setzt mit der Wiederholung des Hauptthemas und den ausgiebigen Variationen wie in der Exposition fort und mündet in eine stretta, die schließlich mit Tutti-Akkorden in e-Moll endet.
 Aus dem Schlussakkord bleibt das Fagott auf der Quinte stehen und bildet damit den Anfang des Andante. Eine kurze Modulation mit nacheinander einsetzenden Stimmen, die jeweils einen Halbton ansteigen, führen nach C-Dur und in den 6/8-Takt. Über der akkordhaften Streicherbegleitung spielt die Solo-Violine ein sehnsuchtsvolles, liedhaftes Thema, das mit dem Einsatz der Holzbläser von der Solo-Violine kadenzierend beendet wird. In dem Mittelteil des Satzes spielt das Orchester ein neues Thema mit einer flirrenden Begleitung aus schnellen Wechselnoten. Diese werden von der Violine wiederholt und in einen Dialog mit dem Orchester geführt. Mit der Begleitung des Mittelteils erscheint das erste Thema in der Solo-Violine wieder und das Ende bestreiten wieder die Holzbläser mit der kadenzierenden Violine.
 Der dritte Satz wird im langsameren Allegretto-Tempo durch eine zarte expressive Melodie der Solo-Violine mit Streicherbegleitung eröffnet, die auf der Dominante endet, bevor eine Bläserfanfare in das schnelle Sonatenrondo führt. Wieder führt von Anfang an die Solo-Violine ein schnelles springend-heiteres Thema ein, das alsbald in schnellem Dialog zwischen Solo-Instrument, Bläsergruppen, Streichern und im Tutti fortgesponnen, variiert und in Einzelteile zerlegt wird. Ein erstes Couplet beginnt fanfarenartig im Tutti zunächst mit einem eigenen Thema, das aber alsbald mit dem ersten Thema konfrontiert wird. Es beginnt eine Art Durchführung, in der Motive beider Themen vielfältig miteinander verknüpft werden. Dabei entspinnen sich immer neue dialogartige Strukturen zwischen den Instrumentengruppen und abwechlungsreicher Beteiligung der Solo-Violine, die manche Abschnitte virtuos-kadenzierend dominiert, während sie in anderen mit stimmungsvollen Melodien zurücktritt. Am Ende wird der Refrain in der Reprise mit dem kantablen zweiten Couplet aus dem durchführenden Zentrum gepaart, während dessen Auslauf zugleich auf die langsame Einleitung des Satzes zurückgreift, die ihrerseits auf den Mittelteil des langsamen Satzes verweist.


Tarmo Peltokoski

Leitung: Tarmo Peltokoski

wurde 2000 geboren. Er begann sein Studium im Alter von 14 Jahren bei dem emeritierten Professor Jorma Panula. Derzeit studiert er bei Sakari Oramo an der Sibelius-Akademie und nimmt außerdem Unterricht bei Hannu Lintu und Jukka-Pekka Saraste. Neben seiner Dirigiertätigkeit ist er ein gefeierter Pianist, er studierte Klavier an der Sibelius-Akademie bei Antti Hotti. Zu seinen Mentoren zählen außerdem Matti Raekallio, Antti Siirala, Henri Sigfridsson und Konstantin Bogino. Als Solist trat er mit allen bedeutenden finnischen Orchestern auf. Bei den Festspielen in Turku und Mikkeli ist er mit solistischen und kammermusikalischen Werken aufgetreten. 2018 wurde Tarmo Peltokoski von der Stiftung Pro Musica als „Junger Musiker des Jahres“ ausgezeichnet. Parallel zum Dirigier- und Klavierstudium hat er Komposition und Arrangieren studiert. Im Juni gab er sein deutsches Debüt mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, jetzt mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin, dem hr-Sinfonieorchester und dem Kammerorchester Basel.

Chad Hoopes

Violine: Chad Hoopes

wurde 1994 in Florida geboren. Er begann sein Violinstudium im Alter von drei Jahren in Minneapolis und setzte seine Ausbildung am Cleveland Institute of Music bei David Cerone fort. Er studierte an der Kronberg Academy unter der Leitung von Professor Ana Chumachenco, die bis heute seine Mentorin ist. Hoopes wurde 2017 mit dem Avery Fisher Career Grant ausgezeichnet und gewann 2008 den ersten Preis beim Internationalen Yehudi-Menuhin-Violinwettbewerb. Seine Debüteinspielung mit dem MDR Sinfonieorchester Leipzig unter Kristjan Järvi mit den Konzerten von Mendelssohn und Adams erschien 2014 bei dem französischen Label Naïve. In der Konzertsaison 2015/2016 war er der erste Artist in Residence der Münchner Symphoniker, eine Position, die nach seinem Debüt mit dem Orchester eigens für ihn geschaffen wurde.
Er spielt die Geige von Samuel Zygmuntowicz aus dem Jahr 1991, die früher Isaac Stern gehörte.