Einführung zum Konzert des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 12. Oktober 2022


Arvo Pärt: Psalom

Arvo Pärt
Arvo Pärt (* 1935 in Paide, Estland)

Arvo Pärt studierte 1958 bis 1963 am Konservatorium in Tallinn Komposition bei Heino Eller. Seine Anfänge als Komponist bewegten sich zwischen Serialismus und Neoklassizismus – in der Sowjetunion harsch kritisiert. 1958-67 war er Tonmeister beim Estnischen Rundfunk; danach lebte er als freischaffender Komponist in Tallinn. Sein Credo für Klavier, gemischten Chor und Orchester (1968) war für Pärt zugleich Krisen- und Endpunkt einer ersten Schaffensphase. Bis 1976 komponierte er nur wenig, studierte stattdessen mittelalterliche Musik.
 Ein kleines Klavierstück Aliinale (für Alina) (1976) wurde der Anfang eines neuen Stils ab diesem Zeitpunkt. Dieser gründet auf reiner Dreiklangs-Harmonik und elementaren Melodiemodellen von fast provozierender Schlichtheit, die nun wiederum Befremden in einem inzwischen aufgeschlosseneren Kulturmilieu erregte. Einfachste Melodiezüge, oft Skalenausschnitte, wurden auf weite Strecken, manchmal ein ganzes Werk lang, umrankt von den Tönen eines einzigen Dreiklangs, der einen glockenartigen Klanggrund abgab: „Tintinnabuli-Stil“ (Tintinnabulum, lat. Klingel, Schelle) hat Pärt ihn bezeichnet und ihn auf zunehmend größere Formen angewendet.
 1980 kam er mit seiner Familie über Israel nach Wien. Ein DAAD-Stipendium für West-Berlin 1981/82 bewog ihn, sich dort niederzulassen. Mit seiner harmonisierenden und durchwegs religiös motivierten Musik schuf er sich eine große Gemeinde und wurde für gewisse Kreise eine Art Kultfigur. Seine Musik wurde mit Begriffen und Moden wie „neue Einfachheit“, „Minimal Music“, „meditative Musik“ und „New Age“ verbunden.



Psalom - für Streichquartett (1991) / für Streichorchester (1995)

Spieldauer: ca. 5 Min.
Widmung: Streichquartett: Alfred Schlee
Uraufführung: Streichquartett: 18. Nov. 1991, Konzerthaus Wien, Arditti-Quartett
Streichorchester: April 1995, Berlin. Kammerorchester Unter den Linden, Andreas Peer Kähler – Leitung.

Die Instrumentalminiatur Psalom wurde 1985 als zweistimmige Musik ohne Besetzungsangabe komponiert. Als die Universal Edition 1991 zum 90. Geburtstag ihres langjährigen Leiters, Alfred Schlee, Arvo Pärt mit einem Stück für Streichquartett beauftragte, griff er das Stück wieder auf und erweiterte es. Eine weitere Fassung des Werks für Streichorchester entstand 1995. Im Auftrag des Cello Octet Amsterdam schrieb Pärt außerdem 2010 eine Fassung für acht Celli.
Psalom basiert auf dem kirchenslawischen Psalm 112 (Luther-Bibel: 113), der, wie viele andere Instrumentalstücke Pärts, den Verlauf der Musik genau bestimmt. Die neun Verse des Psalms sind nach strengen „Tintinnabuli“-Regeln in die Musik eingeschrieben und als melodische Sätze komponiert, die durch große Pausen voneinander getrennt sind, leise beginnen und wieder in Stille verklingen. Die Komposition basiert auf der Tonleiter a-Moll-harmonisch. Die betonten Silben bilden eine stets wiederholte Terzenreihe, die unbetonten bleiben einstimmig.


Constantinos Carydis

Leitung: Constantinos Carydis

Der griechische Dirigent und Pianist wurde 1974 in Athen geboren. Er studierte Musiktheorie und Klavier am Nationalen Konservatorium von Athen, danach Dirigieren an der Hochschule für Musik und Theater in München bei Hermann Michael. Als Pianist konzertierte er mit griechischen Orchestern und trat bei Solorecitals und Kammermusikabenden auf. Nach seinem Debüt beim Staatstheater am Gärtnerplatz in München konzentrierte er sich auf seine Dirigentenkarriere. Bald wandte er sich der Oper zu, Engagements an der Staatsoper Stuttgart und ab 2006 an der Wiener Staatsoper folgten. 2016 war er an der Oper Frankfurt mit Bizets Carmen zu hören.
 Der Musikjournalist Karl Harb schrieb über ihn: „Für jedes Stück findet Carydis eine passende, spezifische Klangaura, entwickelt einen Farbenreichtum, der nur entstehen kann, wenn man selbst kleinste Nuancen, Verzierungen, Phrasierungsdetails beachtet und ernst nimmt, mithin ins Innerste der Werke zu hören versteht.“ Carydis dirigiert – wie viele heutige Dirigenten – ohne Taktstock.