Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 8. März 2023


Francis Poulenc: Konzert für zwei Klaviere d-Moll

Francis Poulenc
Francis Poulenc (* 1899 in Paris, † 1963 in Paris)

Das pharmazeutische Familienimperium seines Vaters ermöglichte dem Einzelkind Francis eine materiell unbeschwerte Kindheit und Jugend. Seine Mutter war eine talentierte, lebensbejahende Amateurpianistin; von ihr erhielt er den ersten Klavierunterricht. Beim tonangebenden Klaviervirtuosen jener Epoche, dem spanischen Pianisten Ricardo Viñès, vervollkommnete Poulenc sein Klavierspiel in den Jahren von 1914 bis 1917, und lernte die Musik Claude Debussys, Emmanuel Chabriers, Wolfgang Amadeus Mozarts, Frederic Chopins sowie die Lieder Franz Schuberts kennen. So entwickelte er sich im Laufe der Pubertät zu einem virtuosen Pianisten. Bevor er sich der Verwirklichung seines Lebenstraumes, Komponist zu werden, widmen durfte, hatte der Vater den Abschluß einer Ausbildung am angesehenen Lycée Condorcet zur Bedingung gemacht.
 Während des Ersten Weltkriegs starben beide Elternteile kurz hintereinander. In dieser problematischen Zeitspanne lernte Poulenc, nicht zuletzt durch Viñès’ Vermittlung, Darius Milhaud und Georges Auric sowie Manuel de Falla und Erik Satie kennen, begeisterte sich gleichermaßen für Igor Stravinskijs Sacre du printemps wie für das ballet réaliste Parade von Satie, Jean Cocteau, Pablo Picasso und Léonide Massine. In dem von der Sängerin Jane Bathori provisorisch verwalteten Théâtre du Vieux-Colombier debütierte der Autodidakt 1917 mit der aufsehenerregenden Rapsodie nègre für Gesang und Kammerensemble, deren auf Nonsens und Verballhornung zielende, so lautmalerische wie prä-dadaistische Textvorlage von „Makoko Kangourou“ (= Poulenc selbst) bereits seine deutliche Vorliebe für absurde, ins Surreale vorstoßende Sujets auf der einen und knappe, lakonische und karikierende Formgebung auf der anderen Seite erahnen ließ. Eine weitere Plattform boten ihm die im Atelier des Malers Emile Lejeune veranstalteten interdisziplinären Abende, deren von Cocteau arrangierte Aktivitäten schließlich zur Geburtsstunde der Groupe des Six führten. Poulenc, der Jüngste von ihnen, entsprach neben Auric aufs Vollkommenste dem Archetypus des von Cocteau proklamierten Six-Komponisten mit Charakteristika wie Humor, gewitzter Urbanität, Antiakademismus und kultiviertem Dilettantismus, denn erst zwischen 1921 und 1924 sollte er unter Anleitung von Charles Koechlin ernsthafte, grundlegende Kompositionsstudien aufnehmen.
 Im Auftrag Sergej Djagilevs komponierte er Les Biches, ein Erfolgsstück mit erotischen Untertönen. Dies brachte ihm eine Reihe weiterer Aufträge ein. Er nutzte die Auftragsserie zur Konzeption und zum Ausbau konzertanter Werke wie dem autobiographisch gefärbten Ballett Aubade (1929) im Gewand eines Klavierkonzertes, der makabren Szenenfolge Le Bal masqué nach Max Jacob (1932), dem von der Cembalistin Wanda Landowska uraufgeführten Concert champêtre (1927/28), dem d-Moll-Konzert für zwei Klaviere (1932) und einem seiner ersten Meisterwerke, dem von Streichern und Pauken getragenen, mit furioser Wucht auftrumpfenden Orgelkonzert g-Moll (1938).



Konzert für zwei Klaviere d-Moll (1932)

Orchesterbesetzung: 2 Solo-Klaviere – 2 Flöten (eine auch Piccolo), 2 Oboen (eine auch Englischhorn), 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 2 Hörner, 2 Trompeten, 2 Posaunen, Tuba – Schlagzeug – Streicher
Sätze: 1. Allegro ma non troppo
2. Larghetto
3. Finale: Allegro molto
Spieldauer: ca. 19 Min.
Auftrag: Winnaretta Singer (Poulencs Mäzenin).
Uraufführung: 5. Sept. 1932, Venedig; Francis Poulenc und Jacques Février – Klav; Orchestre La Scala; Désiré Defauw – Ltg.

Poulenc scheute vor Eklektizismus nicht zurück; für sein brillantes d-Moll-Doppelkonzert, ein sehr erfolgreiches Showstück, fand er Geschmack an Einsprengseln und Stilzitaten – balinesische Meditationsmusik mit Anklängen an das Gamelanorchester, Mozart-Parodie – gekrönt von einem ins Bizarre gesteigerten Finalfeuerwerk.
 Im ersten Satz umgeht er die Konvention des Sonatenallegros zugunsten einer dreiteilen ABA-Form mit langsameren Mittelteil.
 In seinem zweiten, langsamen Satz – auch dieser Satz in der dreiteiligen ABA-Form – erinnert Poulenc an das Andante aus Mozarts d-Moll-Konzert KV 466. Der zunehmend klangvolle Mittelteil steigert sich stetig und entfernt sich von Mozart zugunsten einer französischeren Färbung à la Camille Saint-Saëns.
 Das Finale ist ein Rondo, das verschiedenste Elemente miteinander kombiniert. Da ist die Unbekümmertheit eines Pariser Musiksalons, da sind die hypnotisierenden Klänge eines Gamelan-Orchesters, da ist zuweilen eine aggressive Motorik, da sind alltägliche, populäre, manchmal bewusst vulgäre Wendungen von provozierender Simplizität miteinander und gegeneinander gesetzt. Das wechselt sich in schnellem Tempo ab, die Einzelteile sind manchmal aberwitzig kurz. Schillerndes Tempo und energiegeladene Rhythmen erzeugen eine lebhafte, spritzige Wirkung.
 So brillant es auch klingen mag, das Poulenc-Konzert für zwei Klaviere verlangt von seinen Klaviersolisten mehr Fähigkeiten im Zusammenspiel als in der Technik. Poulenc schafft einen dramatischen und doch reizvollen Dialog zwischen den beiden Tasteninstrumenten und dem Orchester. Seine Orchestrierung stellt Holz- und Blechbläser sowie das Schlagzeug in den Vordergrund und weist den Streichern eine ungewohnte Nebenrolle zu.


Alain Altinoglu

Leitung: Alain Altinoglu

Der 1975 in Paris geborene Dirigent armenischer Abstammung studierte am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse, an dem er seitdem auch selbst unterrichtet und seit 2014 die Dirigierklasse leitet. 2016 wurde Altinoglu Directeur Musical des Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel, gerade hat er dort seinen Vertrag bis 2025 verlängert. Neben seiner Tätigkeit als Dirigent begleitet er seine Ehefrau, die Mezzosopranistin und Liedsängerin Nora Gubisch am Klavier und macht hin und wieder auch Ausflüge in den Bereich von Jazz und Improvisation. Seit 2021 ist er Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters.

Lucas u. Arthur Jussen

Solisten: Lucas und Arthur Jussen

Lucas (* 1993) und Arthur (* 1996) sind Brüder, sie wurden in Hilversum geboren, sie spielen seit frühester Jugend häufig als Klavier-Duo. Sie entstammen einer musikalischen Familie: Die Mutter ist Flötistin, der Vater Schlagzeuger. Sie studierten bei dem Klavierpädagogen Jan Wijn, nahmen Unterricht bei Maria João Pires und spielten mit den Pianisten Ricardo Castro und Lang Lang. 2006 debütierten sie mit Mozarts 10. Konzert für zwei Klaviere. 2009 führten sie erstmals das Konzert für zwei Klaviere d-Moll von Francis Poulenc auf. Nach zweijährigem Studium bei Menahem Pressler in den USA setzt Lucas seine Ausbildung bei Dmitri Bashkirov an der Musikhochschule Reina Sofia in Madrid fort. Arthur studiert am Konservatorium von Amsterdam bei Jan Wijn.