Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 14. Mai 2019


Sergei Prokof'ev: 2. Violinkonzert

Sergej Prokof'ev
Sergej Sergeevič Prokof'ev (* 1891 auf Gut Sonzowka, heute Dnjepropetrowsk, Ukraine, † 1953 in Moskau)

Verbunden mit Prokef'evs Lebensstationen wird auch sein Werk in drei große ästhetische Perioden eingeteilt. Nach Klavierunterricht und ersten Kompositionsversuchen im Elternhaus wurde er Anfang 1904 Aleksandr Glazunov vorgestellt, der ihm ein Studium am Sankt Petersburger Konservatorium empfahl. So studierte er von 1904 bis 1914 Komposition, Kontrapunkt, Orchestration, Klavier und Dirigieren. Unterdessen war er mit einigen Kompositionen an die Öffentlichkeit getreten und hatte sich als brillanter Pianist einen Namen gemacht. Bis 1918 blieb er in Russland, reiste viel und gab Konzerte. Die Werke dieser ersten „russischen Periode“ zeichnen sich durch eigenwillige Rhythmen, scharfe Dissonanzen, „sarkastischen“ Humor und große, vitale Kraft aus. Obgleich er eindeutig mit spätromantischen Traditionen bricht, hält er in dieser Periode an der Tonalität fest und löst sich damit noch nicht völlig von der musikalischen Vergangenheit.
 Aufgrund der schwierigen Situation nach der Oktoberrevolution entschloss sich Prokof'ev 1918, Russland zu verlassen, und zog in die USA – im Unterschied zu vielen anderen ging er allerdings nicht als Emigrant. Der sowjetische Volkskommissar für Erziehung, Anatolij Lunačarskij, genehmigte seine Ausreise mit den Worten: „Sie sind Revolutionär in der Musik und wir sind es im Leben – wir müssten zusammenarbeiten. Aber wenn Sie nach Amerika wollen, werde ich Ihnen nichts in den Weg legen.“
 Dort gelang es ihm jedoch nicht, Fuß zu fassen, so dass er sich im April 1920 nach einem finanziellen Fiasko in Frankreich und im bayerischen Ettal niederließ. Seine Tonsprache in der zweiten „Auslandsperiode“ wurde entschieden „moderner“. Häufig setzt sich Prokof'ev nun über die Tonalität hinweg. Klangballungen und stürmische Ausbrüche kennzeichnen viele seiner damaligen Werke.
 Seine vielfältigen Konzertreisen als Dirigent und besonders als Pianist führten ihn 1927 erstmals wieder in die Sowjetunion. Die Annäherung an Russland steigerte Prokof'evs Produktivität, er vereinfachte seine Harmonik, seine Melodien wurden stärker konturiert, die Verbindung zur russischen Volksmusik intensiver. Noch in Westeuropa war diese Tendenz deutlich, das 2. Violinkonzert gehört stilistisch schon in diese neue „sowjetische“ Periode. 1936, nach einigen Jahren des Pendelns zwischen Moskau und Paris, ließ er sich endgültig in Moskau nieder.



2. Violinkonzert in g-Moll, op. 63 (1935)

Orchesterbesetzung: Solo-Violine - 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 2 Hörner, 2 Trompeten – 2 Schlagzeuge – Streicher (14-12-10-08-06)
Sätze: 1. Allegro moderato, 2. Andante assai – Allegretto, 3. Allegro ben marcato
Spieldauer: ca. 30 Min.
Uraufführung: 1. Dez. 1935. Teatro Monumental in Madrid. Robert Soetens, Violine. Orquesta Sinfónica de Madrid. Enrique Fernández Arbós, Ltg.

Das Violinkonzert entstand im Sommer des Jahres 1935, etwa zwanzig Jahre nach dem ersten. Französischen Verehrer des Geigenvirtuosen Robert Soetens regten Prokof'ev an, für diesen ein Violinkonzert zu schreiben. Prokof'ev, der sich ohnehin mit dem Gedanken trug, ein weiteres Violinkonzert zu schreiben, kam diesem Wunsch nach. Zu dieser Zeit lebte der Komponist nicht mehr in Russland, verspürte aber zunehmend den Wunsch, dorthin zurückzukehren. Das Violinkonzert entstand in verschiedenen Ländern während seiner Konzertreisen. So wurde der erste Satz beispielsweise in Paris komponiert, während das lyrische Hauptthema des Andantes in Woronesch geschrieben wurde.
 Prokof'ev entschied sich für die klassische dreisätzige Form und konzipierte das Werk nach den Maßstäben seiner „neuen Einfachheit“. Der Solopart ist trotzdem höchst anspruchsvoll und virtuos gestaltet.
 Der Hauptsatz des Konzertes beginnt mit einer Solointonation des an den russischen Volkston angelehnten Hauptthemas durch die Violine. Die Bratschen und Kontrabässe stimmen in den Themenvortrag mit ein, bevor ein rhythmisch verändertes, schnelleres Zwischenspiel den Vortrag unterbricht. Immer wieder kommt es zu kurzen und unruhigen Zwischenspielen. Ein zweiter Gedanke von lyrischer Natur wird durch Streicher und Holzbläser eingeführt, bevor die Solovioline ihre Kantilene entwickelt. In der Folge wechseln sich rasche, virtuose Elemente mit nachdenklichen Passagen ab. Das erste Thema setzt sich immer weiter durch und wird vielfältig verarbeitet, hierbei nimmt es zunehmend einen freudigen und sprunghaften Duktus an. Gegen Ende des Satzes kehrt es in seiner dramatischen Ausgangsform zurück und beendet den Satz, begleitet von Streicher-Pizzicati.
 Das Andante beginnt mit einem lyrischen Thema, der Solovioline auf dem weichen Untergrund langsam schreitender Pizzicati der Streicher. Das kantable Hauptthema breitet sich in ergreifendem Gesang des Soloinstrumentes aus und wird dann vom ganzen Orchester aufgenommen und begleitet. Nachdem es mit Tonwiederholungen und Geschwindigkeitssteigerungen verarbeitet wurde, taucht es erneut im ganzen Orchester auf, nun begleitet von rhythmisch leicht verschobenen Akkorden. Es folgt der Allegretto-Teil, welcher an die Verarbeitung des Hauptthemas im ersten Satz erinnert. Die Solo-Violine spielt schnelle Tonreihen und Tonwiederholungen, auf einem geheimnisvoll wirkenden Klanggrund der Holzbläser. Kurz darauf bekommen diese Sololäufe der Violine einen breiteren Orchesteruntergrund, der mit einem marschartigen Gedanken durch die Trompeten eingeführt wird. Die Rückkehr des lyrischen Hauptthemas führt schließlich zum leisen Verklingen.
 Der letzte Satz beginnt mit einem markanten, leicht disharmonischen Thema der Solovioline. Auf rhythmisch pochenden Untergrund entfaltet sie im virtuosen Spiel das tänzerische Hauptthema. Dieses Treiben durchzieht den atemlosen Satz, welcher am deutlichsten der „neuen Einfachheit“ des Kompositionsstils Prokof'evs entspricht, da die harmonischen und rhythmischen Strukturen des Satzes einfach und modern wirken. Der markant-begleitende Einsatz von Schlaginstrumenten verleiht dem Satz ein besonderes Klangbild.
 Die Uraufführung des Konzertes wurde, im Gegensatz zur Erstaufführung des 1. Violinkonzertes, zu einem großen Erfolg für Solist und Komponisten. Prokof'ev, der wenig später nach Russland zurückkehrte, konnte sich dort gegen die propagandistische Vereinnahmungen des Stalin-Regimes nicht wehren. Die sowjetische Musikkritik wertete die Hinwendung Prokof'evs zur Solovioline und zur Einfachheit, als Verwirklichung des geltenden sowjetischen Ideals, der einfachen und volkstümlichen Kunst.


Susanne Mälkki

Leitung: Susanne Mälkki

Sie wurde zunächst als Cellistin ausgebildet und studierte anschließend Dirigieren in Helsinki. Von 1995 bis 1998 war sie Solo-Cellistin der Göteborger Symphoniker, bevor sie sich ganz dem Dirigieren zuwandte. Ab 2002 war sie Chefdirigentin des Stavanger Symphonieorchesters, ab 2006 leitete sie das Pariser Ensemble Intercontemporain. Sie brachte dort zahlreiche neue Kompositionen zur Uraufführung und wirkte an Musiktheaterproduktionen mit Werken von Kaija Saariaho und Morton Feldman mit. 2013 wurde sie Erste Gastdirigentin des Gulbenkian-Orchesters Lissabon, seit September 2014 Chefdirigentin der Helsinkier Philharmoniker.


Gil Shaham

Violine: Gil Shaham

Er ist ein US-amerikanischer Violinist. Er studierte zunächst bei Samuel Bernstein an der Rubin Academy of Music in Jerusalem und erhielt Unterricht bei verschiedenen bekannten Geigern. Er spielte mit zahlreichen Orchestern in aller Welt und erhielt viele Preise. Er spielt fast die gesamte Bandbreite der Violinliteratur, wobei sein Schwerpunkt auf der Romantik liegt. Er lebt mit seiner Familie in New York.
Shaham spielt auf einer Stradivari aus dem Jahre 1699.