Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 22. Juni 2018


Giacomo Puccini: Missa di Gloria

Giacomo Puccini
Giacomo Puccini (* 1858 in Lucca; † 1924 in Brüssel)

Puccini stammt aus einer Musikerfamilie. Sein Vater Michele Puccini (1813-1864) war – wie Generationen der Familie zuvor – Leiter der Stadtkapelle von Lucca, Organist am Dom und Komponist von Opern und Messen. Die Familientradition verlangte, dass Giacomo als ältester Sohn (er hatte sieben Schwestern und einen Bruder) ebenfalls das angesehenste musikalische Amt der Stadt übernehmen sollte. Als sein Vater Michele, der zuletzt auch Direktor der lokalen Musikschule war, 1864 starb, verwies deren Gründer, Giovanni Pacini, in seiner Trauerrede nachdrücklich auf den damals fünfjährigen Giacomo als legitimen künftigen Erben der familiären Traditionsämter. Er erhielt deshalb eine gründliche musikalische Ausbildung; nach dem Tod seines Vaters unterrichtete ihn zunächst sein Onkel Fortunato Magi, später folgte die Ausbildung in den Seminaren der lucchesischen Hauptkirchen, San Martino und San Michele, schließlich im Istituto musicale Pacini. Dort war Carlo Angeloni sein wichtigster Lehrer, der vor allem geistliche Werke für den kirchenmusikalischen Alltag in Lucca, aber auch einige Opern geschrieben hat. Puccini erhielt einige Preise, trat in Schulkonzerten als Begleiter am Harmonium und Klavier auf, spielte Orgel in verschiedenen Kirchen Luccas und der Umgebung, unterrichtete einen begüterten Schüler und wirkte als Pianist in einer weiträumig beschäftigten Tanzkapelle mit. Puccini wurde durch vielfältige musikalische Einflüsse geprägt: durch den Schulunterricht mit Fugenkompositionen und Generalbasslehre, die Opernaufführungen in den Theatern der Stadt, die Kirchenkonzerte, aber auch die Lektüre von Klavierauszügen der Werke zeitgenössischer Komponisten. Auffällig ist, dass er sich schon in dieser frühen Zeit für das Schaffen Richard Wagners interessierte. Allerdings bezeichnete er eine Aufführung von Giuseppe Verdis Aida 1876 im benachbarten Pisa als Initialzündung für seine Opernleidenschaft.
 Aus Puccinis lucchesischer Ausbildungszeit sind sechs Werke bekannt; etliche Klavier- oder Orgelstücke aus dieser Zeit wurden 1988 in einer Auktion angeboten und sind seitdem verschollen. Die erhaltenen Stücke – überwiegend für Chor und großes Orchester – zeigen Puccini auf dem Weg zum Komponisten solider Gebrauchsware. Das gilt für das kurze Preludio für Orchester (1876) ebenso wie für den Mottetto per San Paolino (1877) – mit seinem ariosen Bariton-Solo, ein offensichtlich in Lucca sehr populäres Werk, das insgesamt viermal innerhalb der folgenden drei Jahre aufgeführt wurde. Erfolglos blieb dagegen um die gleiche Zeit Puccinis Beteiligung an einem Kompositionswettbewerb mit einer Cantata auf einen vorgegebenen patriotischen Text.
 Unter Puccinis Jugendwerken ist die Messa von 1880, in die er ein bereits 1878 entstandenes Credo integrierte, die umfangreichste und bedeutendste Arbeit. Sie demonstriert, welche handwerklichen Fähigkeiten er erworben hatte: Belcanto-Arien im „aktuellen“ Stil stehen neben chorischen Fugen und Doppelfugen, konventionelle rezitativische Passagen neben einem „lockeren“ Agnus-Dei-Duett, das Puccini fast notengetreu in seine Oper Manon Lescaut (1893) übernehmen konnte.
 Obwohl ihm mit dieser Gesellenarbeit der Weg zu Luccas höchsten musikalischen Ämtern wohl offengestanden hätte, entschied sich Puccini für die Fortsetzung seines Studiums am Mailänder Konservatorium. Faktisch bedeutete das den Bruch mit der Familientradition; Puccini erhoffte sich wohl von seiner Übersiedlung in die italienische Musikhauptstadt andere Aussichten als die auf den Posten eines Provinzkapellmeisters. Von Ende 1880 bis zum Sommer 1883 studierte er in Mailand, zunächst bei dem eher konservativen Antonio Bazzini, der vor allem einen internationalen Ruf als Violinvirtuose besaß, anschließend bei Amilcare Ponchielli.
 Sein Studium betrieb Puccini konzentriert, er komponierte fast ausschließlich Unterrichtsaufgaben. Größere Arbeiten wie der Preludio sinfonico für großes Orchester (1882) als Prüfungsarbeit des zweiten Studienjahres und das Capriccio sinfonico (1883) zum Abschluss des dritten und letzten Jahres zeigen bereits deutlich eine eigene Handschrift. Daneben nutzte er die Möglichkeit, Aufführungen neuerer Werke des Musiktheaters zu besuchen, und lernte so Opern von Carl Maria von Weber, Jules Massenet, Charles Gounod, Richard Wagner, Alfredo Catalani und anderen kennen.
 Nach Abschluss seines Studiums betrieb Puccini konsequent und zielstrebig seine Karriere als Opernkomponist. Er schaffte es, für seine erste Oper Le Willis später Le Villi (1883) Sponsoren zu finden für eine privat finanzierte und erfolgreiche Aufführung im Mailänder Teatro Dal Verme. Jahre vor der Entstehung des sogenannten Verismo versuchte Puccini hier bereits die Integration von italienischem Belcanto in einen an Wagner sich orientierenden orchestralen Duktus, die für sein weiteres Schaffen kennzeichnend werden sollte.



Messa a quattro voci (heute: Messa di Gloria) (1880)

Orchesterbesetzung: Tenor-Solo, Bariton-Solo, Chor (SATB) – 3 Flöten (1 auch Piccolo), 2 Oboen, 2 Klarinetten (beide auch in C), 2 Fagotte – 2 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba – Pauken – Streicher (14-12-10-8-6)
Sätze: 1. Kyrie: Larghetto
2. Gloria: Allegro ma non troppo – Andante – Andante sostenuto – Tempo I – Andante sostenuto – Andante mosso – Maestoso – Allegro – Piω mosso – Presto
3. Credo: Andante – Allegro – Tempo I – Larghetto – Allegro – Andantino
4. Sanctus e Benedictus: Andante – Andantino
5. Agnus Dei: Andantino
Spieldauer: ca. 43 Min.
Uraufführung: 12. Juli 1880 in Lucca

Das vollständige Manuskript der Messa hat Puccini nie veröffentlicht, sein Werk wurde – trotz erfolgreicher Uraufführung während eines Gottesdienstes am Fest des Heiligen Paolino in Lucca – zu Lebzeiten des Komponisten nicht wieder aufgeführt. Erst 1950 wurde die Partitur durch den amerikanischen Priester Dante del Fiorentino bei Arbeiten an einer Puccini-Biographie wiederentdeckt. Er hatte eine alte Kopie der Handschrift von der Familie Vandini in Lucca erworben, die er für das Original hielt. Das wirkliche Original hatte die Tochter Puccinis dessen Verlag Ricordi geschenkt. Es kam zu einem Streit über die Rechte, der schließlich durch eine Aufteilung zwischen Ricordi und Mills Musik, dem Verlag des Fiorentino-Skripts, gelöst wurde. Die Messa verdankt Del Fiorentino den Namen Messa di Gloria, den er vermutlich wegen der im Vergleich zu anderen Messevertonungen ungewöhnlichen Länge des Gloria wählte. Erst 1952 kam es zu Wiederaufführungen, zunächst in Chicago, dann in Neapel.
 Die Teile der Messe sind von auffallend unterschiedlicher Länge: Kyrie – 67 Takte, Gloria – 531 Takte, Credo – 250 Takte, Sanctus – 20 Takte, Benedictus – 65 Takte, Agnus Dei – 54 Takte. Warum sich das Stück so unausgewogenen präsentiert – das Gloria ist länger als alle anderen Teile zusammengenommen – ist nicht ganz klar. Es wurde vermutet, dass der junge Puccini in Zeitnot geriet, da sich der Festtag des in Lucca verehrten Heiligen Paolinus näherte, zu dessen Ehren das Werk öffentlich aufgeführt werden sollte.
 1877 schrieb Puccini während seines Studiums den Motetto per San Paolino zum Fest des heiligen Paolino (12. Juli). Daraus schuf er das Kyrie, welches er später als musikalischen Ankerpunkt für eine dramatische Szene in seiner zweiten Oper, Edgar (1889), verwendete. Nach einer Orchestereinleitung beginnt die erste „Kyrie“-Anrufung mit einem lyrisch fließenden Oberstimmensatz und einem kurzen Motiv, das kanonisch verarbeitet wird. Das „Christe“ steht in der parallelen Molltonart und verläuft unruhiger als die „Kyrie“-Rahmenteile. Es steigert sich mit einer insistierenden Repetitionsfigur aus akzentuierten Achteln, die bereits in der Orchestereinleitung kurz aufschienen. Der dritte Teil wiederholt den ersten. Eine vom Orchester gespielte Coda schließt den Satz ab.
 Das Gloria dauert etwa 21 Minuten. Der erste Textabschnitt „Gloria in excelsis Deo“ ist eingängig und liedhaft. Dieser Teil wird auch zwischen „Gratias“- und „Domine Deus“-Abschnitt eingefügt und am Schluss nochmals aufgenommen. Wie ein pathosgeladener Opernchor klingt das umfangreiche „Qui tollis“. Das chromatisch über dem Orgelpunkt C entfaltete „Miserere nobis“ wird dann vom ganzen Chor unisono gesungen, ehe ein kanonischer Durchlauf der Kantilene den Abschnitt beendet. Als große mehrteilige Fuge ist der Schlussabschnitt „Cum Sancto Spiritu“ angelegt.
 Das Credo, ursprünglich als eigenständiges Werk konzipiert, komponierte Puccini bereits 1878. Paukenwirbel und Crescendo-Akkorde der Bläser eröffnen den Satz. Das „Et in carnatus est“ beginnt im Chor a cappella, der die expressive Melodie des Tenorsolisten begleitet; nach kurzer Zeit mischen sich erst Streicher, dann Bläser in den Vokalsatz, stützen, akzentuieren ihn und setzen klangfarbliche Akzente. Das anschließende „Crucifixus“ beginnt ganz gegensätzlich dazu als Basskantilene aus der Tiefe. Von dort steigt es zunehmend erregt durch die Worte „Etiam pro nobis“ emotionsgeladen in die Höhe. Mit „Et resurrexit“ beginnt ein fugato, dem das „Et in Spiritum Sanctum“ im Andante, das „Et unam sanctam catholicam“ im Larghetto und das „Et vitam venturi saeculi“ in einem schlichten Andantino folgen. Nach dem letzten Amen des Chores schließt das Orchester mit einem über 4 Takte aus dem pianissimo in ein fortissimo crescendierenden C-Dur Akkord das Credo ab.
 Chorisch-homophon (mit colla parte eingesetzten Instrumenten) beginnt das sehr knapp gehaltene Sanctus. Bei „Dominus Deus Sabaoth“ fächert sich der Satz dann polyphon auf, bei „Pleni sunt coeli“ deklamiert der Chor unisono in Dreiklangsmotivik, vom Orchestertutti komplementär ergänzt mit schmetternden Akkordrepetitionen. Nach äußerst kurzem „Hosanna“ gehört das ausgedehntere Benedictus ganz dem Baritonsolisten.
 Das gleichfalls sehr kurze Agnus Dei im Dreivierteltakt gestaltet Puccini responsorial: Tenor-, Baritonsolist und schließlich beide zusammen in Terzen- respektive Sextenmelodik tragen die drei „Agnus Dei“-Anrufungen über einer Begleitung aus Kontrabass-Pizzicati und nachschlagenden Achteln der höheren Streicher vor. Der Chor repetiert „Miserere nobis“ in quintfällig sequenzierendem Oberstimmensatz. Das „Dona nobis pacem“ wird dann von den Solisten in Triolenmelodik angefügt und zum Schluss noch einmal kurz vom Chor aufgegriffen. Das kaum veränderte Agnus Dei verwendet Puccini als Tanz-Madrigal im zweiten Akt seiner dritten Oper, Manon Lescaut.


Andrés Orozco-Estrada

Leitung: Andrés Orozco-Estrada

1977 in Medellín, Kolumbien geboren. Er begann seine Ausbildung mit Violinunterricht. Als 15jähriger erhielt er den ersten Dirigierunterricht. Von 1997 bis 2003 studierte er an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Wien, in der Dirigierklasse von Uroš Lajovic, einem Schüler des legendären Hans Swarowsky. 2004 sprang Orozco-Estrada kurzfristig bei einem Festwochen-Konzert des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich im Wiener Musikverein ein. Dieses Konzert, nach dem Orozco-Estrada von der Wiener Presse als „das Wunder von Wien“ gefeiert wurde, führte zu einer intensiven Zusammenarbeit mit dem Orchester, sowie zu Einladungen zahlreicher internationaler Orchester. 2007 wurde er Chefdirigent des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich. Mit der Saison 2014/2015 folgte er Paavo Järvi als Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters und wurde Musikdirektor der texanischen Houston Symphony. Ab der Saison 2021/22 wird er Chefdirigent der Wiener Symphoniker als Nachfolger von Philippe Jordan.

Massimo Giordano

Tenor: Massimo Giordano

wurde in Pompeji geboren und studierte zunächst in Triest Flöte. Sein Gesangstalent wurde zufällig erkannt. Er studierte dann bei Cecilia Fusco in Triest. 1997 gewann er den Bellini-Gesangswettbewerb. Seitdem singt er in allen wichtigen Opernhäusern der Welt.







Shenyang

Bassbariton: Shenyang

wurde 1984 im chinesischen Tianjin geboren. Er studierte in Shanghai bei Zhou Xiaoyan am Zhou Xiaoyan International Opera Center. Die Sopranistin Renée Fleming ermöglichte ihm ein Gesangsstudium an der Metropolitan Opera in New York. 2007 gewann er den BBC Cardiff „Sänger der Welt“-Wettbewerb.






MDR Rundfunkchor

Der MDR-Rundfunkchor ist der größte und traditionsreichste Chor des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und gilt weltweit als eines der gefragtesten Ensembles seiner Art. Es besticht nicht nur als exzellenter Partner der bedeutendsten Orchester, sondern auch mit viel beachteten A-cappella-Interpretationen. Weltliche und geistliche Musik, Ensemblegesang sowie Chorsinfonik gehören gleichermaßen zum Repertoire, das beinahe ein Jahrtausend Musikgeschichte umspannt. Als Spezialensemble für zeitgenössische Musik haben sich die 73 Choristen zudem durch zahlreiche Ur- und Erstaufführungen einen Namen gemacht.