Einführung zu den Konzerten des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 19. und 20. Januar 2023


Sergej Rachmaninov: Symphonie Nr. 3

Sergej Rachmaninov
Sergej Rachmaninov (* 1873 in Semënovo im Gouv. Nowgorod; † 1943 in Beverly Hills)

Nach vielen internationalen Konzertreisen reduzierte Rachmaninov seine Reisetätigkeit nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges; im Januar 1917 trat er letztmals öffentlich als Dirigent auf, danach erst wieder 1939 in Philadelphia. Durch die Revolution verlor Rachmaninov sein Landgut und seine Ersparnisse; er nutzte eine Einladung zu Konzerten in Schweden, um im Dezember 1917 mit seiner Familie Russland für immer zu verlassen.
 Ende 1918 begann er eine phänomenale pianistische Karriere in den USA, für die er in großem Umfang neues Repertoire erarbeitete. Seine zahlreichen Auftritte machten ihn zu einem der berühmtesten und vermögendsten Musiker der Zwischenkriegszeit, doch blieb sein Lebensstil, der auf Bewahrung der russischen Sitten angelegt war, eher unspektakulär.
 Während er den Rundfunk und gesendete Live-Auftritte ablehnte, investierte Rachmaninov relativ viel Zeit und akribische Sorgfalt in Plattenaufnahmen. Er erwarb ein Haus in Locust Point/New Jork, spielte 1922 erstmals wieder in Europa und fand während einer längeren Konzertpause 1925/26 zum Komponieren zurück. 1929 zog Rachmaninov nach Claire-fontaine-en-Yvelines nahe Paris, wo es zu vielen Begegnungen mit russischen Emigranten und Künstlern kam. Als Mitunterzeichner eines Artikels gegen die sowjetische Kulturpolitik in der New York Times zog Rachmaninov ein Aufführungsverbot seiner Werke in der UdSSR auf sich, das etwa zwei ]ahre währte; endgültig rehabilitiert wurde der Komponist dort durch seine Spendenbereitschaft im Zweiten Weltkrieg. Am Vierwaldstätter See ließ Rachmaninov ab 1930 eine Bauhaus-Villa errichten, in der er von 1934 bis 1939 lebte, unterbrochen von Konzertreisen primär in die USA. Nach Kriegsausbruch zogen die Rachmaninovs erneut in die USA, zunächst nach New York und Long Island, ab Sommer 1942 nach Beverly Hills/California. Im Januar 1943 machte sich eine tödliche Erkrankung, durch exzessiven Zigarettenkonsum ausgelöster Krebs, bemerkbar. Rachmaninov starb kurz vor seinem 70. Geburtstag.



Symphonie Nr. 3, a-Moll op. 44 (1936)

Orchesterbesetzung: 3 Flöten (1 auch Picc.), 3 Oboen (1 auch Englischhorn), 3 Klarinetten (1 auch Bassklarinette), 3 Fagotte (1 auch Kontrafagott) – 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba – Pauken, 5 Schlagzeuge, Harfe – Streicher
Sätze: 1. Lento – Allegro moderato – Allegro
2. Adagio ma non troppo – Allegro vivace
3. Allegro – Allegro vivace – Allegro (Tempo primo) – Allegretto – Allegro vivace.
Spieldauer: ca. 41 Min.
Uraufführung: 6. Nov. 1936, Philadelphia Orchestra, Leopold Stokovsky - Ltg.

Im Sommer 1935 komponierte Rachmaninov in seiner Villa am Vierwaldstätter See etwa zwei Drittel der Symphonie, musste die Arbeit aber für seine Konzerte in den USA und in Frankreich bis ins nächste Jahr verschieben und stellte dann, 29 Jahre nach seiner 2. Symphonie, die 3. Symphonie fertig.
 Der erste Satz beginnt mit einer archaischen Melodie der Klarinetten, des gestopften Horns und der Celli aus nur drei Tönen, einer Art Überschrift der Sinfonie, ein Schicksalsmotiv. Schnelle Akkorde des gesamten Orchesters unterbrechen. Aus wirbelndem Treiben schälen sich eine Vielzahl unterschwelliger Melodien heraus. Das Tempo beschleunigt sich und bringt uns zum Seitenthema, einer feierlichen Cellomelodie, die sich steigert und Züge eines schnellen Marsches annimmt. Der Charakter der Durchführung beginnt mit schnellen Triolen in den Streichern und kontrapunktisch verarbeiteten Melodien in Holzbläsern und Hörnern. Verschiedene Steigerungen und Rücknahmen führen zu dem Anfangsmotiv, Posaunen und Tuba bilden eine Art tragischen Höhepunkt. Danach wird die Reprise anders wahrgenommen – trauriger, elegischer. Und die Struktur des Seitenthemas ist verändert, eine andere Balance hat sich eingestellt. Es folgt ein beruhigender, fließender, verblassender Strom. Erst ganz am Ende intoniert das pizzicato der Streicher unheilvoll noch einmal das Überschriften-Motiv des Anfangs.
 Der zweite Satz beginnt mit demselben Anfangsthema, nun aber als Hornsolo vor dem Hintergrund farbiger Harfenakkorde. Die Violine übernimmt und spielt eine ausdrucksstarke Melodie, eine der bemerkenswertesten von Rachmaninov. Fantasievoll und reich an raffinierter Chromatik wird es von Flöte, Bassklarinette, Cello, Fagott und Englischhorn aufgenommen und das Orchester weitet sich allmählich zu einer ausdrucksvollen Kantilene aus. Als kleines Übergangsmotiv spielen die beiden Violinen alternierend ein Quintolenmotiv. In die Mitte des Satzes baut Rachmaninov eine Scherzo-Episode und zieht somit die beiden Mittelsätze zu einem zusammen. Fantasievolle, halb reale, halb phantastische Bilder huschen umher und erinnern an die symphonischen Miniaturen von Ljadov. Scharfe, stachelige Intonationen, bedrohliches Rascheln werden durch glockenartige Klänge ersetzt. Allmählich beruhigt sich alles, es kommt ein Moment der Besinnung und wieder erklingt das schicksalhafte Überschriften-Motiv. Das erste Tempo kehrt zurück und beginnt mit der jetzt erweiterten Quintolenimitation in den Streichern. Die Wiederholung des ersten Teils wird verkürzt und das Adagio schließt mit unserem Überschriften-Motiv.
 Das Finale ist ganz in schnellen Bewegungen komponiert und steckt voller Energie. Aber auch hier tauchen zuweilen Anklänge an die Einleitung auf, als eine Art Memento mori während eines freudigen Festes. Das erste Thema des Finales ist ein eiliger Tanz voller Synkopen, das zweite lyrisch und schwelgerisch. In der Durchführung folgt eine brillant entwickelte Fuge, mit den Violinen beginnend. In den scharfen Konturen seines Themas – dem modifizierten, geschärften Thema des Hauptteils – lassen sich Anklänge an das Überschriften-Motiv der Sinfonie erkennen. Die Fuge geht direkt in eine Walzer-Episode über. Nach einem ausdrucksstarken Rezitativ des Fagottsolos taucht das Überschriften-Motiv wieder auf und endet mit dem bedrohlichen Schrei des vollen Orchesters. Es erklingt eine harte, kantige Melodie, die an die zentrale Scherzo-Episode des zweiten Satzes erinnert. Gelegentlich erscheint in den kontrapunktischen Stimmen ein bedrohliches Dies irae-Motiv – abgeleitet aus einem mittelalterlichen Hymnus über das Jüngste Gericht. Allmählich tritt dieses in den Vordergrund, immer wütender wird sein Ansturm. Die Wellen der musikalischen Entwicklung steigen und fallen, erreichen kolossale Höhepunkte, ziehen sich zurück und steigen wieder an. Die Reprise beginnt mit dem ungestümen Tanz, dessen Kräfte nun erschöpft zu sein scheinen. Gegenüber der Exposition ist alles verwandelt: Sowohl der tänzerische Wirbelwind des ersten Themas als auch das sanfte, lyrische Seitenthema und selbst die brillante, üppige Coda sind angereichert mit dem Überschriften- bzw. Schicksals-Motiv, und das Dies irae-Motiv schimmert immerzu durch und beide Motive vermischen sich.


Andris Poga

Leitung: Andris Poga

Der lettische Dirigent wurde 1980 in Riga geboren. Er studierte Dirigieren an der Lettischen Musikakademie Jāzeps Vītols und Philosophie an der Staatlichen Universität Lettlands. Von 2004 bis 2005 nahm er Dirigierunterricht bei UroŠ Lajovic an der Wiener Universität für Musik und Darstellende Kunst. Außerdem besuchte er Meisterkurse bei Seijia Ozawa und Leif Segerstam. 2010 gewann er den ersten Preis des Internationalen Dirigierwettbewerbs „Evgeny Svetlanov“ in Montpellier, anschließend wurde er als Assistent von Paavo Järvi beim Orchestre de Paris und als Assistent Conductor beim Boston Symphony Orchestra verpflichtet. Seit der Saison 2013/14 ist er Chefdirigent des Lettischen Nationalorchesters Riga und dirigierte seitdem zahlreiche Orchester in Deutschland, Frankreich, in den USA und in Japan als Gastdirigent.