Einführung zum Konzert des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 12. Oktober 2022


Maurice Ravel: Shéhérazade. Trois Poèmes pour chant et orchestre

Maurice Ravel
Maurice Ravel (* 1875 in Ciboure im französischen Baskenland; † 1937 in Paris)

1889 bis 1895 studierte Ravel Klavier am Pariser Konservatorium, musste aber wegen mangelnden Engagements die Meisterklasse verlassen. In späteren Jahren sollte er sich nur noch ans Klavier setzen, um eigene Kompositionen zu Gehör zu bringen – und selbst das nur widerwillig. 1897 trat er in die Kompositionsklasse von Gabriel Fauré ein, daneben studierte er Kontrapunkt, Fuge und Orchestration bei André Gedalge. Fauré war es auch, der Ravel Zutritt zu den mondänen Salons des damaligen Paris ermöglichte. Über die dortigen Erlebnisse spottete Ravel und amüsierte sich mit kultiviert blasierten, zynischen Auftritten mit plissiertem Hemd und Monokel. Wurde er gefragt, welcher Schule oder Strömung er angehöre, pflegte er zu antworten: „Überhaupt keiner, ich bin Anarchist.“
 Zwischen 1900 und dem 1. Weltkrieg war seine produktivste Zeit. Hatte er bis dahin fast ausschließlich Klavierstücke und Lieder geschaffen, erschloss er sich mit der Orchester-Ouvertüre Shéhérazade (1898), dem F-Dur-Streichquartett (1903), der Rhapsodie espagnole (1908), die Manuel de Falla auffiel, der Oper L’Heure espagnole (1909) und der im Auftrag Sergej Djagilevs komponierten Ballettmusik Daphnis et Chloé (1912) jetzt auch größere musikalische Formen.



Shéhérazade. Trois Poèmes pour chant et orchestre (1903)

Orchesterbesetzung: Solo-Sopran – 3 Flöten (1 auch Picc.), 3 Oboen (1 auch Englischhorn), 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba – Pauken, 3 Schlagzeuge, Glockenspiel, 2 Harfen, Celesta – Streicher
Spieldauer: ca. 15 ½ Min.
Sätze: 1. Asie – 2. La flûte enchantée – 3. L'indifférent
Text: Tristan Klingsor (= Pseudonym von Léon Leclère)
Widmungen: Asie: Jeanne Hatto – La flûte enchantée: Madame René de Saint-Marceaux – L'indifférent: Emma Bardac
Uraufführung: 17. Mai 1904, Paris, Jeanne Hatto – Sopran, Alfred Cortot – Ltg.

Bereits 1898 schrieb Ravel die Ouvertüre Shéhérazade für eine geplante Oper. Vier Jahre später hatte er einen viel größeren Erfolg mit dem gleichnamigen Liederzyklus, der heute ein Standardwerk geworden ist. Beide Vertonungen sind von russischen Komponisten beeinflusst, insbesondere von Rimski-Korsakow, der 1888 eine Scheherazade geschrieben hatte.
 In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts lernte Ravel den Dichter Tristan Klingsor kennen, der kurz zuvor einige Gedichte unter dem Titel Scheherazade veröffentlicht hatte. Auch diese waren von Rimski-Korsakovs Suite inspiriert. Ravel und Klingsor waren Mitglieder einer Gruppe junger kreativer Künstler, die sich „Les Apaches“ (die Hooligans) nannten; der Dichter las der Gruppe einige seiner neuen Verse vor, und Ravel war sofort von der Idee angetan, drei davon zu vertonen. Er bat Klingsor, einige kleinere Änderungen vorzunehmen, bevor er sich an die Arbeit an der Musik machte.
Asie ist das erste und längste der Lieder steht in es-Moll und dauert bei einer Aufführung etwa zehn Minuten. Es beschwört ein Panorama orientalischer Fantasie herauf. Mit den wiederholten Worten „je voudrais voir...“ („Ich möchte sehen...“) träumt der Dichter von der Flucht aus dem Alltag in eine europäische Fantasie mit asiatischen Verlockungen. Die Musik wird immer intensiver, bis sie schließlich abklingt und friedlich in der realen Welt endet.
 In La flûte enchantée hört eine junge Sklavin, die sich um ihren schlafenden Herrn kümmert, wie ihr Liebhaber draußen auf seiner Flöte spielt. Die Musik, eine Mischung aus trauriger und fröhlicher Stimmung, erscheint ihr wie ein Kuss, der ihr von ihrem Geliebten zugefliegt. Die Flötenmelodie ist im phrygischen Modus komponiert.
L'indifférent, das letzte Lied des Zyklus, hat zu vielen Spekulationen Anlass gegeben. Der Dichter oder sein imaginärer Sprecher ist von den Reizen eines androgynen Jünglings sehr angetan, kann ihn aber nicht dazu überreden, in sein (oder ihr?) Haus zu kommen, um Wein zu trinken. Es ist nicht klar, ob der Verehrer des Jungen männlich oder weiblich ist; einer von Ravels Kollegen äußerte die starke Hoffnung, dass das Lied von einer Frau gesungen wird, wie es üblich ist. Das Lied steht in E-Dur, mit oszillierenden Streichermotiven in der Orchesterbegleitung, die an Debussys Nocturnes erinnern können.


Constantinos Carydis

Leitung: Constantinos Carydis

Der griechische Dirigent und Pianist wurde 1974 in Athen geboren. Er studierte Musiktheorie und Klavier am Nationalen Konservatorium von Athen, danach Dirigieren an der Hochschule für Musik und Theater in München bei Hermann Michael. Als Pianist konzertierte er mit griechischen Orchestern und trat bei Solorecitals und Kammermusikabenden auf. Nach seinem Debüt beim Staatstheater am Gärtnerplatz in München konzentrierte er sich auf seine Dirigentenkarriere. Bald wandte er sich der Oper zu, Engagements an der Staatsoper Stuttgart und ab 2006 an der Wiener Staatsoper folgten. 2016 war er an der Oper Frankfurt mit Bizets Carmen zu hören.
 Der Musikjournalist Karl Harb schrieb über ihn: „Für jedes Stück findet Carydis eine passende, spezifische Klangaura, entwickelt einen Farbenreichtum, der nur entstehen kann, wenn man selbst kleinste Nuancen, Verzierungen, Phrasierungsdetails beachtet und ernst nimmt, mithin ins Innerste der Werke zu hören versteht.“ Carydis dirigiert – wie viele heutige Dirigenten – ohne Taktstock.

Hanna-Elisabeth Müller

Solistin: Hanna-Elisabeth Müller

Die Sopranistin wurde 1985 in Mannheim geboren. Sie studierte 2005 bis 2009 in Mannheim bei Rudolf Piernay und in verschiedenen Meisterklassen. Ab 2010 war sie an der Bayerischen Staatsoper engagiert und wurde für Opernrollen u.a. bei den Salzburger Osterfestspielen, an der Niederländischen Oper Amsterdam, an der Metropolitan Oper New York und an der Mailänder Scala verpflichtet. Daneben arbeitet sie als Lied- und Konzertsängerin. Seit ihrer Teilnahme am Heidelberger Frühling 2011 pflegt sie gemeinsam mit ihrer festen Pianistin Juliane Ruf und oft auch mit Orchesterbegleitung ein Repertoire von der Romantik bis zur Moderne.
 Mit dem hr-Sinfonieorchester war sie im Juni 2019 als Solistin bei dem Stabat Mater von Antonín Dvořák zu hören.