Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 12. Juni 2019


Maurice Ravel: La valse

Maurice Ravel
Maurice Ravel (* 1875 in Ciboure, frz. Baskenland; † 1937 in Paris)

1889 begann Ravel sein Studium am Pariser Konservatorium. Lange Zeit spielte er mit dem Gedanken, eine Pianistenlaufbahn einzuschlagen. Aber seinem Spiel wurde zwar Wärme, Gefühl und Temperament bescheinigt, die Bravour anderer Mitschüler erreichte er nicht. Ravel war der sprichwörtliche „faule Hund“, so musste er die Meisterklasse verlassen. In späteren Jahren sollte er sich nur noch ans Klavier setzen, um eigene Kompositionen zu Gehör zu bringen – und selbst das nur widerwillig.
 Im Januar 1897 kehrte Ravel an das Konservatorium zurück und trat in die Kompositionsklasse von Gabriel Fauré ein, daneben studierte er Kontrapunkt, Fuge und Orchestration bei André Gedalge. Fauré war es auch, der Ravel Zutritt zu den mondänen Salons des damaligen Paris ermöglichte. Über die dortigen Erlebnisse spottete Ravel, und seine kultiviert blasierten, zynischen Auftritte mit plissiertem Hemd und Monokel irritierten sogar seinen besten Freund Ricardo Viñes. Wurde er gefragt, welcher Schule oder Strömung er angehöre, pflegte Ravel zu antworten: „Überhaupt keiner, ich bin Anarchist.“
 Fünfmal bewarb er sich um den Rompreis und gewann ihn nie, obwohl er sich inzwischen als Komponist einen Namen gemacht hatte. Zwischen 1900 und dem 1. Weltkrieg war seine produktivste Zeit. Hatte er bis dahin fast ausschließlich Klavierstücke und Lieder geschaffen, erschloss er sich mit der Orchesterouvertüre Shéhérazade, dem F-Dur-Streichquartett, der Oper L’Heure espagnole, der Rhapsodie espagnole (die Manuel de Fallas Aufmerksamkeit erregte) und der im Auftrag Djagilews komponierten Ballettmusik Daphnis et Chloé jetzt auch größere musikalische Formen. 1913 lernte Ravel Stravinskij kennen, mit dem er bei einer Bearbeitung von Musorgskijs unvollendeter Oper Chowanschtschina zusammenarbeitete.
 Ravel arbeitete seine Kompositionen mit größter Sorgfalt und Detailversessenheit aus, Stravinskij nannte ihn deswegen einmal den „Schweizer Uhrmacher“ unter den Komponisten.



La valse - Poème chorégraphique pour Orchestre (1906-1920)

Orchesterbesetzung: 3 Flöten (3. auch Piccolo), 3 Oboen (3. auch Englischhorn), 2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fagotte, Kontrafagott – 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba – Pauken, 6 Schlagzeuger, 2 Harfen, Streicher (16/14/12/10/8)
Spieldauer: ca. 12 Min.
Uraufführung: 12. Dezember 1920 in Paris (konzertant); Oktober 1926 in Antwerpen, Royal Flemish Opera Ballet .

1919 erhielt Ravel von Sergej Diagilev den Auftrag für ein Ballett zum Thema „Wien und seine Walzer“ für die Ballets Russes. Beim Komponieren griff er auf „Vienne“ betiteltes Material zurück, das er ab 1906 erstellt hatte. Als das fertige Stück 1920 im Kreis von Diagilev, Stravinskij, Poulenc und anderen vorgeführt wurde, lehnte Diagilev es ab, da es „kein Ballett, sondern das Porträt eines Balletts“ sei. Nach der ersten getanzten Aufführung durch das Royal Flemish Opera Ballet 1926 in Antwerpen folgten weitere choreographische Umsetzungen durch Bronisława Niżyńska 1928, George Balanchine 1951 und Frederick Ashton 1958.
 Ravel beschrieb sein Interesse am Walzer-Rhythmus in einem Brief an Jean Marnold: „Du kennst meine starke Anziehungskraft für diese wunderbaren Rhythmen und dass ich die Lebensfreude, die sich im Tanz ausdrückt, viel tiefer schätze als den Franckistischen Puritanismus.“
 In La Valse werden Elemente des Wiener Walzers aufgegriffen, die mit den Mitteln impressionistischer Harmonik und Rhythmik ausgeweitet werden. Dadurch sollte eine Art Apotheose des Wiener Walzers dargestellt werden, mit dem Ravel den „Eindruck einer fantastischen und tödlichen Art eines Derwischtanzes“ verband. Zur Verdeutlichung stellt Ravel seiner Partitur folgendes Programm voran: „Flüchtig lassen sich durch schwebende Nebelschleier hindurch walzertanzende Paare erkennen. Nach und nach lösen sich die Schleier auf: man erblickt einen riesigen Saal mit zahllosen im Kreise wirbelnden Menschen. Die Szene erhellt sich zunehmend; plötzlich erstrahlen die Kronleuchter in hellem Glanz. Eine kaiserliche Residenz um 1855.“
 Nach und nach treten an die Stelle der Walzerseligkeit verzerrte Rhythmen und dissonante Harmonien. Aber einer zeitkritischen Interpretation widerspricht Ravel: „Während einige einen Versuch der Parodie entdecken, in der Tat eine Karikatur, sehen andere kategorisch eine tragische Anspielung darauf – das Ende des Zweiten Reiches, die Situation in Wien nach dem Krieg, etc … Dieser Tanz mag tragisch erscheinen, wie jede andere Emotion … auf das Äußerste getrieben. Aber man sollte darin nur sehen, was die Musik ausdrückt: ein aufsteigendes Fortschreiten der Klangfülle, Licht und Bewegung.“


Pablo Heras-Casado

Leitung: Pablo Heras-Casado

Er ist ein spanischer Dirigent. Er studierte an der Universität Granada Kunstgeschichte und Schauspiel und anschließend an der Universidad de Alcalá Dirigieren. Meisterkurse führten ihn unter anderem zu Christopher Hogwood. Während seines Studiums gründete er das Ensemble Capella Exaudi und die experimentelle Gruppe Sonóora. Er dirigierte namhafte Orchester in aller Welt. Regelmäßig ist er auch für das Ensemble Intercontemporain (Paris) und das Klangforum Wien tätig. Seit 2011 ist er Erster Dirigent des Orchestra of St. Luke's in New York City.