Einführung zum Konzert des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 22. November 2022


Camille Saint-Saëns: Caprice d'aprés l'Etude en forme de valse, op. 52,6

für Violine und Orchester arr. von Eugène Ysaye

Camille Saint-Saëns
Camille Saint-Saëns (* 1835 in Paris; † 1921 in Algier)

Seine Mutter erteilte ihrem begabten Sohn bereits in dessen Kindheit Klavierunterricht, den später Camille-Marie Stamaty übernahm. Früh war Camille Saint-Saëns als Wunderkind gefeiert worden. Seine erste Komposition, einen Galopp für Klavier, schuf er im Alter von drei Jahren und fünf Monaten. Und als Saint-Saëns zehn war, gab er im Mai 1846 sein Debüt als Konzertpianist vor großem Publikum, in der Pariser Salle Pleyel mit Klavierkonzerten von Mozart und Beethoven. Als Zugabe spielte er noch eine Sonate von Beethoven, die das Publikum frei unter sämtlichen 32 aussuchen durfte – er hatte sie ausnahmslos alle im Kopf und in den Fingern. 1848 wurde er vom Conservatoire in Paris aufgenommen, wo er Kompositionsschüler von Fromental Halévy wurde. Im Jahr 1853 wurde er Organist an Sainte-Merry und 1857 an der Madeleine. 1861 wurde er von der Schule Niedermeyer als Klavierlehrer verpflichtet. Seine erste Oper schrieb er 1865, die aber erst 1877 auf die Bühne kam. Saint-Saëns war ein Universalist, versiert in allen Gattungen: Er schuf Opern und Bühnenmusiken, Messen und Oratorien, weltliche Chorwerke in den verschiedensten Formen und Besetzungen, zahlreiche Lieder, Konzerte, Symphonien, Symphonische Dichtungen, Klavier- und Orgelmusik, Werke für Harmonium und Kammermusik in allen erdenklichen Konstellationen. Er galt als Wortführer und Wegbereiter der modernen französischen Sinfonik. Er wurde mit Ehrungen und Anerkennungen überhäuft.


Eugène Ysaÿe
Eugène Ysaÿe (* 1858 in Lüttich; † 1931 in Brüssel)

Eugène Ysaÿe war vielleicht der berühmteste Geiger des späten neunzehnten Jahrhunderts. Schon früh begann er bei seinem Vater mit dem Geigenunterricht. Später studierte er bei Henryk Wieniawski und später bei dem belgischen Geiger Henri Vieuxtemps in Paris. Mit Anfang zwanzig machte sich Ysaÿe einen Namen und begann, als Solist in ganz Europa und schließlich auch in den Vereinigten Staaten zu konzertieren.
 Ysaÿe knüpfte Beziehungen zu den wichtigsten Komponisten seiner Zeit, darunter Franck, Saint-Saëns, Debussy, Chausson und d'Indy. Eine Reihe wichtiger Kompositionen wurden ihm gewidmet, darunter Francks Violinsonate, Debussys Streichquartett, Chaussons Poéme und Saint-Saëns' Streichquartett in e-Moll, op. 112.
 Ysaÿe war ein unermüdlicher Interpret neuer Musik. Das Ysaÿe-Quartett, das er 1886 gründete, brachte zahlreiche Werke zur Uraufführung, darunter Debussys Streichquartett.
 1894 eröffnete er in Brüssel eine Reihe von Orchesterkonzerten, „um den Werken neuer Komponisten eine Bühne zu bieten und jungen Musikern, die sich am Konservatorium qualifiziert hatten, eine Beschäftigung zu verschaffen“. Ysaÿe dirigierte viele dieser Konzerte, die sowohl neue als auch klassische Werke enthielten.



Caprice d’aprés l’Etude en forme de valse op. 52,6, für Klavier (1877)
für Violine und Orchester arr. von Eugène Ysaÿe (1901)

Orchesterbesetzung: Solo-Violine – 2 Flöten (1 auch Picc.), 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 2 Hörner, 2 Trompeten – Pauken, Schlagzeug – Streicher
Spieldauer: ca. 10 Min.
Uraufführung: vermutlich 5. April 1901

Die Etüde op. 52 Nr. 6 in Des-Dur von Camille Saint-Saëns ist ein virtuoses Klavierstück, das an Liszts Paganini-Etüden erinnert. Ysaÿes Werk ist eine geniale Adaption des Stücks und man kann sagen, dass es in vielerlei Hinsicht interessanter und musikalisch lebendiger ist als das Original, auf dem es basiert. Ysaÿe verwandelt ein eher routinemäßiges, wenn auch technisch anspruchsvolles Klavierstück in ein Miniatur-Violinkonzert, das sowohl Schwung und Größe als auch Zartheit und Witz besitzt. Saint-Saëns selbst war von Ysaÿes Bearbeitung sehr angetan. Nachdem er Ysaÿe das Werk im Februar 1904 in Monte Carlo hatte spielen hören, schrieb er an seinen Verleger: „Heute im Konzert ... spielte Ysaÿe besser als je zuvor. Er fügte dem Programm seine Caprice über meine Etude en forme de Valse hinzu, die eine Extravaganz, und eine amüsante Tour de Force darstellt.“
 Bei der Bearbeitung dieses Werks für Violine und Orchester nimmt Ysaÿe eine Reihe wirkungsvoller Änderungen vor. Er transponiert die Etüde nach D-Dur. Dies ermöglicht mehr offene Saiten und natürliche Obertöne, und die offenen Saiten verleihen dem Klang zusätzliche Resonanz, auch wenn sie nicht gespielt werden. Ysaÿe schöpft die Ausdrucksmöglichkeiten der Violine voll aus.
 Das Stück hat eine ABA’-Form. Während der A-Teil dramatisch und virtuos ist, ist der B-Teil lyrisch und anmutig. Er ist deutlich kürzer als der A-Teil und umfasst nur 48 Takte. Das Thema des B-Teils ist aus dem Eingangsthema des A-Teils abgeleitet. In der Reprise ist das Hauptthema stärker orchestriert als in der vorherigen Fassung, und die Violinstimme ist noch anspruchsvoller. Mit einem flüchtigen Verweis auf das zweite Thema steigert sich die Musik zu einem großen Höhepunkt, der zur Coda führt.


Alain Altinoglu

Leitung: Alain Altinoglu

Der 1975 in Paris geborene Dirigent armenischer Abstammung studierte am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse, an dem er seitdem auch selbst unterrichtet und seit 2014 die Dirigierklasse leitet. 2016 wurde Altinoglu Directeur Musical des Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel, gerade hat er dort seinen Vertrag bis 2025 verlängert. Neben seiner Tätigkeit als Dirigent begleitet er seine Ehefrau, die Mezzosopranistin und Liedsängerin Nora Gubisch am Klavier und macht hin und wieder auch Ausflüge in den Bereich von Jazz und Improvisation. Seit 2021 ist er Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters.

Emmanuel Tjeknavorian

Solist: Emmanuel Tjeknavorian

Der Geiger und Dirigent wurde 1995 in Wien geboren. Mit fünf Jahren erhielt er in Armenien ersten Geigenunterricht. Mit zehn kehrte er nach Wien zurück und studierte von 2011 bis 2018 bei Gerhard Schulz, dem ehemaligen Mitglied des Alban-Berg-Quartetts, an der Musikuniversität Wien. Außerdem studierte er bei Petros Haykazyan, Artashes Mkrtchyan, und Arkadij Winokurow. Ab 2014 studierte er bei seinem Vater Dirigieren und besuchte Meisterkurse für Dirigieren in England und Italien. Seit 2017 moderiert er monatlich eine eigene Radio-Show in einem österreichischen Radio-Sender „Der Klassik-Tjek“. Er konzertierte mit verschiedenen Orchestern in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Finnland, Frankreich, England und in den USA. Beim Festival de Paques in Aix en Provence spielte er auf Mozarts eigener „Costa-Geige“.