Einführung zum Livestream-Konzert des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 21. Januar 2021


Erik Satie: Gymnopedies Nr.1 und Nr.3
(orchestriert von Claude Debussy)

Erik Satie
Erik Satie (* 1866 in Honfleur (Calvados); † 1925 in Paris)

Der Sohn eines französischen Vaters und einer schottischen Mutter, war Orgelschüler von Alexandre Guilmant, studierte 1879-1886 Klavier und Harmonielehre am Conservatoire in Paris brach das Studium aber ab, um ab 1881 als Barpianist in den Carbarets „Chat Noir“ und „Auberge du Clou“ am Montmartre zu arbeiten. 1898 ließ er sich in Arcueil, einer Arbeitervorstadt von Paris, nieder. Er war mit Jean Cocteau, Claude Debussy, Sergej Diaghilew, Leonide Massine und Pablo Picasso befreundet. Erst 1905-1908 vertiefte er seine kompositorische Ausbildung mit kontrapunktischen Studien bei Vincent d'Indy und Albert Roussel an der Schola Cantorum. Der Skandal bei der Uraufführung seines kubistischen Balletts Parade (1917) bewirkte den künstlerischen Durchbruch. 1918 scharten sich um ihn die „Nouveaux Jeunes“, aus denen 1920 die „Groupe des Six“ hervorgeht, der Georges Auric, Louis Durey, Arthur Honegger, Darius Milhaud, Francis Poulenc und Germaine Tailleferre angehören. 1923 gruppieren sich seine Anhänger mit Henry Cliquet-Pleyel, Roger Désormière, Maxime Jacob und Henri Sauguet in der „Ecole d'Arcueil“. Er starb an einem Leberleiden.
 Bereits in den ersten Kompositionen des jungen Autodidakten sind wesentliche Merkmale seiner späteren Musik enthalten. Neben der Abweichung vom Dur-Moll-System gehören dazu Einfachheit und Klarheit, Kürze und Schlichtheit. Er lehnte Virtuosität und Raffinement ab und komponierte nach einer Art Baukastensystem. Um die Zeit des Ersten Weltkriegs formulierte er sein Arbeitsprinzip als „style dépouillé“ („abgehäuteten Stil“), der dem üppigen romantischen und impressionistischen Klangrausch abschwört und den Satz auf die nüchterne musikalische Grundsubstanz unter Verzicht auf ornamentales Beiwerk zurückführt. Mit der Reduktion musikalischer Mittel, der kompositorischen Vereinfachung, der Beschränkung auf das Wesentliche wollte er die Spätromantik durch eine „neue Sachlichkeit“ überwinden.
 Sein Hang zu exzentrischen Titeln, wie Schiefe Tänze, Morgendämmerung zur Mittagszeit, Schlappe Präludien für einen Hund, Ausgetrocknete Embryos oder Klavierstücke in Form einer Birne und zu skurrilen und ironischen Spielanweisungen wie leicht wie ein Ei, mit Höflichkeit verlangsamen oder in der Art einer Nachtigall, die Zahnschmerzen hat weisen auf seinen skurillen Humor und zeigen die Verknüpfung zum Dadaismus und dem beginnenden Surrealismus.



Gymnopédies Nr.1 und 3 (1888) – orchestriert von Claude Debussy (1897)

Orchesterbesetzung: 2 Flöten, 1 Oboe, 4 Hörner, 1 Schlagzeug, 2 Harfen, Streicher (10-8-7-6-4)
Spieldauer: ca. 7 Min.
Uraufführung: 20. Februar 1897, Paris, Ltg: Gustave Doret.

In Saties ersten Klavier-Kompositionen, den Ogives (1886), den Sarabandes (1887) und den Gymnopédies (1888) ist die spätere radikale und charakteristische Abkehr von der bürgerlichen Ästhetik noch nicht zu erkennen. Es handelt sich um den Versuch der heimischen Sphäre der Salonmusik, wie sie von seinem Vater und seiner Stiefmutter gepflegt wurde, mit technisch anspruchslosen Stimmungsbildern in einer pseudo-antikisierenden Tonsprache zu entkommen.
 Auf die griechische Antike verweist vor allem die exotische Bezeichnung. Rousseau erklärte die „Gymnopédie“ in seinem Dictionnaire de musique als Lied oder Melodie, zu der junge Spartanerinnen unbekleidet tanzten. Dass sich Satie tatsächlich von der letzten Wortbedeutung leiten ließ, ergibt sich vor allem aus dem Titelzusatz Danse antique im Vorabdruck der 1ère Gymnopédie. Mit diesem Untertitel stellte Satie jedoch zugleich eine Verbindung zu dem Gedicht Les Antiques des befreundeten Dichters José Patricio Contamine de Latour her, aus dem er einen Vers entnahm und dem Vorabdruck der 1ère Gymnopédie als Epigraph voranstellte:

Den Schatten schräg durchschneidend ein strahlend heller Strom
sich in goldnen Wogen auf den glatten Stein ergoss,
wo die Ambrakerne im Feuer funkelnd
ihre Sarabande mischten mit der Gymnopädie.

Die drei Gymnopédies entstanden in rascher Folge zwischen Februar und Anfang April 1888, kurz nachdem Satie sein Elternhaus verlassen hatte und in das Pariser Künstlerviertel Montmartre übersiedelt war. Die 1ère Gymnopédie war Jeanne de Bret gewidmet, vermutlich eine ehemalige Mitschülerin und Jugendfreundin Saties. Das dritte Stück widmete Satie dann jedoch dem Komponisten Charles-Gaston Levadé, der ihn nach eigenem Bekunden in Harmonielehre unterrichtet hatte; Satie veröffentlichte es noch im gleichen Jahr auf eigene Kosten im Selbstverlag.
 Die drei Gymnopédies sind zweiteilig angelegt, dabei jedoch durch und durch statisch konzipiert, indem sie jegliche Entwicklung vermeiden. Der alle drei Stücke verbindende einheitliche Zug beruht auf einer einzigen melodischen Idee in Gestalt eines auf- bzw. absteigenden Skalenmotivs, die jeweils von einer unterschiedlichen Richtung aus betrachtet wird. Darin ähneln sie einer Skulptur, deren Erscheinung sich ebenfalls je nach Perspektive verändert. Die nachträgliche Umgestaltung des Skalenmotivs im Autograph der 2ème Gymnopédie steht offenbar im Zusammenhang mit diesem zyklischen Gedanken, indem sie die einheitliche Perspektive verstärkt.
 Debussy, der seit 1891 Satie freundschaftlich verbunden war, orchestrierte beide Stücke im Auftrag des Dirigenten Gustave Doret, die zweite hielt er für eine Orchestrierung nicht geeignet. Zugleich änderte er die Reihenfolge, so dass in der Orchesterversion zunächst die ursprünglich 3ème Gymnopédie erklingt.


Alain Altinoglu

Leitung: Alain Altinoglu

Der 1975 in Paris geborene Dirigent armenischer Abstammung studierte am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse, an dem er seitdem auch selbst unterrichtet und seit 2014 die Dirigierklasse leitet. 2016 wurde Altinoglu Directeur Musical des Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel, gerade hat er dort seinen Vertrag bis 2025 verlängert. Neben seiner Tätigkeit als Dirigent begleitet er seine Ehefrau, die Mezzosopranistin und Liedsängerin Nora Gubisch am Klavier und macht hin und wieder auch Ausflüge in den Bereich von Jazz und Improvisation. Ab 2021 wird er Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters.