Einführung zum Livestream-Konzert des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 21. Januar 2021


Florent Schmitt: La Tragédie de Salomé

Florent Schmitt
Florent Schmitt (* 1870 in Blâmont (Dép. Meurthe-et-Moselle); † 1958 in Neulli-sur-Seine bei Paris)

Nach einem Frühstudium an Conservatoire von Nancy schrieb sich Schmitt ab 1889 am Conservatoire Paris ein, wo er Harmonie bei Théodore Dubois und Albert Lavignac, Kontrapunkt und Fuge bei André Gédalge und Jule Massenet sowie Komposition bei Gabriel Fauré studierte. 1900 erhielt er für seine Kantate Sémiramis den Großen Preis für Komposition, weilte in Rom an der Villa Medici und bereiste mehrere Jahre Europa und den Nahen Osten. Auf diesen Reisen sammelte er zahlreiche Themen z. B. am Toten Meer, die er später in der Tragédie de Salomé und in anderen Werken verwendete. Unter den zahlreichen Kompositionen seiner Frühzeit ist vor allem die gewaltige, oratorische Ausmaße annehmende und an Bruckner gemahnende Vertonung des 47. Psalms op. 38 von 1904, bei deren Uraufführung Nadja Boulanger an der Orgel saß. Der Kipling-Übersetzer und neu ernannte Direktor des Théâtre des Arts, Robert d'Humières, war von dem Werk so begeistert, dass er Schmitt beauftragte, die Musik zu einem Ballett über die Figur der Salomé zu komponieren.
 Trotz aller Modernismen, die Schmitts Werke in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auszeichneten, hielt er an den musikalischen Formen des 19. Jahrhunderts fest und war für einen französischen Komponisten dieser Epoche ungewöhnlich tief in der deutschen Romantik (Brahms, Schumann) und Spätromantik (Wagner und Strauss) verwurzelt. Letzteres kommt insbesondere in seinem nuancenreichen, polyphonen Instrumentalsatz zum Ausdruck.
 Trotz der Erfolge bevorzugte Schmitt eine oft unbequeme Rolle des Außenseiters eines den zahlreichen Gruppierungen mißtrauisch gegenüberstehenden Unabhängigen. Dazu passte seine immer nur kurzzeitige Bereitschaft zur Übernahme öffentlicher Ämter, wohingegen er sich ein Jahrzehnt (1929-1939) als Musikkritiker an Le Temps engagierte.
 Schmitt hat keine Schule herangebildet, er hielt an seinem Stil trotz aller Weiterentwicklungen in den 20er, 30er und 40er Jahren fest. So geriet er vor allem nach dem 2. Weltkrieg trotz der hohen Qualität seiner Werke ins Abseits des französischen und internationalen Musiklebens.
 Möglicherweise hat dies auch mit seiner politischen Haltung zu tun: Schmitt war übersteigerter Nationalist, Antisemit und überzeugter Anhänger des deutschen Nationalsozialismus. Während der deutschen Besatzung wurde er geschätzt und avancierte unter dem Vichy-Regime zum zweiten Ehrenpräsidenten des Orchesters mit dem vielsagenden Namen „Collaboration“.



La Tragédie de Salomé op. 50 (Erstfassung: 1907)

Orchesterbesetzung: Sopran (hinter der Bühne) – 1 Flöte (auch Picc.), 1 Oboe (auch Englischhorn), 1 Klarinette, 1 Fagott – 2 Hörner, 1 Trompete, 2 Posaunen – Pauken, 2 Schlagzeuger, Harfe – Streicher (10-8-7-6-4)
Spieldauer: ca. 1 Std.
Mimodram in einem Akt und sieben Tableaus, nach einem Gedicht von Robert d'Humières.
Uraufführung: 9. November 1907, Théâtre des Arts in Paris, Tanz: Loïe Fuller, Ltg.: Désiré-Émile Inghelbrecht.

Wenige Monate nach der Uraufführung von Richard Strauss' Salomé, die im Mai 1907 im Théâtre du Châtelet stattfand, beschloss Robert d'Humières als Direktor des Théâtre des Arts, eine choreografische Show zu inszenieren, die frei von der biblischen Figur der Salomé inspiriert und für die Tänzerin Loïe Fuller gedacht war. D'Humières, der kurz zuvor Florent Schmitts Psalm 47 gehört hatte und davon begeistert war, wandte sich im Sommer 1907 über Jean Forestier, einen Freund Schmitts, an den Komponisten.
 Florent Schmitt nahm den Vorschlag sofort an und komponierte La Tragédie de Salomé in zwei Monaten, im Herbst 1907. Er musste sich einem großen Hindernis stellen: Er war gezwungen, das Orchester angesichts der beengten räumlichen Situation des Théâtre des Arts auf etwa zwanzig Spieler zu reduzieren, was eine Herausforderung für ihn darstellte, der doch erst kürzlich seine Vorliebe für große Orchestrierungen entdeckt und bewiesen hatte. Außerdem hatte wenige Monate zuvor die Pariser Uraufführung von Richard Strauss' Salomé stattgefunden, und auch wenn es sich dabei um eine andere Musikgattung handelte, hätte Schmitt einen Vergleich, der zu seinem Nachteil ausgefallen wäre, nicht ertragen können. Dieses große Hindernis konnte er mit einer subtilen Orchestrierung umgehen, die gekonnt mit den Kontrasten in der Partitur umging und eine große Klangvielfalt hervorbrachte.

 Das erste Tableaux zeigt zu dem erklingenden Prélude den Palast des Herodes und seine Terrasse mit Blick auf das Tote Meer. Johannes erscheint und überquert langsam die Terrasse. Es herrscht eine Atmosphäre von Misstrauen und Lust, der Geruch von Harem und Henker. Es folgen sechs Tänze, mit denen die Facetten der Persönlichkeit Salomés gezeigt werden: vom Leichtsinn der Jugend bis zum Schrecken, nacheinander durch Stolz, Sinnlichkeit, Grausamkeit und Lust.
 Das zweite Tableaux bringt eine durch Fackeln erhellte Szene. Ihr Licht wirft Funken auf die Stoffe und Juwelen, die aus einer kostbaren Truhe quellen. Herodias, nachdenklich, taucht ihre Hände hinein, dann hebt Halsketten, Schleier aus Goldlamé. Salomé erscheint wie gebannt, beugt sich vor, schmückt sich, um dann mit kindlicher Freude ihren ersten Tanz zu zeigen: Den Tanz der Perlen.
 Das dritte Tableaux zeigt das Herrscherpaar beim Bankett, Sklavinnen bringen frisches Obst und Erfrischungen für alle. Herodias blickt zärtlich zu ihrem Gemahl und erinnert ihn an die Zeiten ihrer ersten jungen Liebe, doch Herodes zeigt sich abweisend. Salomé erscheint auf dem obersten Absatz der großen Treppe. Geschmückt ist mit einem Kleid aus herrlichen Federn. Sie zelebriert den Tanz des Pfaus.
 An der Basis des Gemäuers winden sich im vierten Tableaux zwei giftige Kobras - die Schlange als Symbol für Sinnlichkeit und bizarre Erotik. Die königliche Mutter weicht zurück. Doch Salome hat die Reptilien vorher reichlich mit Mäusen gefüttert, so dass diese keinen Appetit auf kleine Mädchen haben. Sie geht liebevoll mit ihnen um, legt sie sich um den Hals oder setzt sie vor sich auf die Marmorfliesen. Salomé tanzt nun den Schlangentanz.
 Im fünften Tableaux umhüllt Dunkelheit Herodes, verloren in Gedanken der Lust und Angst, während Herodias ihn wachsam beobachtet. Auf dem Meer scheinen geheimnisvolle Lichter aus der Tiefe zu kommen. Salomé tanzt den Stahltanz.
 Im sechsten Tableaux tanzt Salomé den lasziven Schleiertanz zur Verführung Herodes'. Dieser ergreift sie und zerreißt ihre Schleier, sie ist einen Moment nackt. Doch Johannes kommt hinzu und bedeckt sie mit seinem Mantel. Herodes' Wutausbruch wird schnell von Herodias als Todesurteil gedeutet, der Henker schleppt Johannes weg. Mit dem Kopf des Täufers auf einem Zinnteller erscheint er wieder. Salome ergreift die Trophäe. Dann, wie von einer plötzlichen Angst ergriffen, läuft sie zum Rand der Terrasse und wirft den abgeschlagenen Kopf ins Meer, das sich blutrot färbt. Salome fällt in Ohnmacht.
 Im siebten Tableaux kommt Salomé zu sich. Johannes' Kopf erscheint und starrt sie an. Sie wendet sich ab, doch sie entgeht dem Blick nicht. Um der blutigen Vision zu entfliehen, tanzt sie den Tanz der Angst. Während sie tanzt, bricht ein Sturm los, ein wütender Wind umhüllt sie. Die Kuppeln des Palastes zerbersten auf dem Hügel. Ein höllisches Inferno bricht los. Salomé verschwindet in einer veritablen Apokalypse.

 Nach Loïe Fuller, die mit der Erstaufführung des Balletts am Théâtre des Arts in Paris triumphierte, wurde La Tragédie de Salomé, die in den 1910er Jahren ins Ballettrepertoire aufgenommen wurde, im Laufe des 20. Jahrhunderts mehrfach auf der Bühne wiederbelebt, vor allem von Natacha Trouhanova. Die Tänzerin Ida Rubinstein feierte 1919 an der Pariser Oper einen großen Erfolg. Andere Tänzer, darunter Tamara Karsavina und Yvonne Daunt, wurden später in der Titelrolle beklatscht.
 1910 arbeitete Schmitt das Ballett zu einer Orchestersuite für großes Orchester um und verkürzte dabei das Stück auf die Hälfte.


Alain Altinoglu

Leitung: Alain Altinoglu

Der 1975 in Paris geborene Dirigent armenischer Abstammung studierte am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse, an dem er seitdem auch selbst unterrichtet und seit 2014 die Dirigierklasse leitet. 2016 wurde Altinoglu Directeur Musical des Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel, gerade hat er dort seinen Vertrag bis 2025 verlängert. Neben seiner Tätigkeit als Dirigent begleitet er seine Ehefrau, die Mezzosopranistin und Liedsängerin Nora Gubisch am Klavier und macht hin und wieder auch Ausflüge in den Bereich von Jazz und Improvisation. Ab 2021 wird er Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters.

Ambur Braid

Sopran: Ambur Braid

Die dramatische Koloratursopranistin wurde in British Columbia in Kanada geboren. Sie studierte von 2002 bis 2006 in Toronto bei Donna Sherman an der Glenn Gould School des Royal Conservatory of Music, anschließend bis 2008 bei Wendy Hillhouse am San Francisco Conservatory of Music. Weitere Workshops folgten bei Ann Baltz, Wendy Nielsen und Marina Krilovici. Seitdem verfolgt sie eine internationale Opernkarriere. Um ein jüngeres Publikum für die klassischen Künste zu begeistern, arbeitet sie gern stilübergreifend in Cross-Over-Kollaborationen und ist mit der Indie-Rock-Band „Broken Social Scene“, der Rock-Gruppe „The Arkells“, der New-Wave-Band „Austra“ und dem Ensemble des Singer/Songwriters Sam Roberts aufgetreten.