Einführung zur Orchesterprobe des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks am 12. Juni 2019


Dmitri Šostakovič: Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2, op. 126

Dmitri Sostakovic
Dmitrij Dmitrievič Šostakovič (* 1906 in St. Petersburg, † 1975 in Moskau)

Šostakovič begann 1919 mit seinem Studium in Sankt Petersburg. Mit seiner Diplomarbeit, seiner 1. Symphonie, begründete er 1925 seinen internationalen Ruf. Seine Werke gingen über die Bühnen der Welt. Mit Beginn der 1930er Jahre wurden verschiedene seiner Werke immer wieder heftig kritisiert, es wurden ihm Formalismus und Avantgardismus vorgeworfen. Während Leningrad fast 2 ½ Jahre durch die deutsche Wehrmacht blockiert wurde, konnte Šostakovič mit seiner Familie in Kujbyšev an der Wolga weiterarbeiten. Sogar Aufführungen wurden ermöglicht.
 Doch auch nach dem Krieg entzündete sich erneut eine Diskussion über moderne sowjetische Musik: Šostakovič und viele namhafte Komponisten der Sowjetunion, z.B. Prokof'ev oder Chatschaturjan, wurden 1948 vom sowjetischen Komponistenverband und dessen Präsidenten Tichon Chrennikov unter ideologischer Führung Andrej Ždanovs wiederum des „Formalismus“ und der „Volksfremdheit“ beschuldigt. Šostakovič komponierte weiterhin, ohne auf die Vorwürfe einzugehen. Praktisch alle bedeutenden Werke dieser Zeit waren ausschließlich für die Schublade bestimmt und kamen erst nach Stalins Tod, in der Zeit des „Tauwetters“, manche erst nach der politischen Wende 1989/1990 zur Uraufführung. Seine persönliche Lage entsprach weiterhin derjenigen der Zeit nach 1936: über sein Schicksal bestimmte einzig die Gnade der Machthaber. Weltweit mittlerweile ein berühmter und angesehener Komponist, sah sich Šostakovič in der Sowjetunion erneut in der Lage, ständig zwischen der drohenden Verhaftung und Auszeichnungen für sein Werk zu stehen.
 Er profilierte sich mit Werken, die dem sozialistischen Realismus scheinbar unterzuordnen waren, und hielt problematischere Werke zurück. Er entzog sich dem politischen Druck teils durch platte Huldigungswerke, die der offiziellen Linie folgten, teils durch innere Emigration. In viele Stücke zog er einen doppelten Boden ein, um seine wahren Ansichten zu verschleiern – so gründlich, dass Fachleute bis heute rätseln, was Ernst ist und was Ironie, wo der Spaß aufhört und die grausige Groteske beginnt.
 Ab Mitte der 60er Jahre plagten ihn verschiedene Krankheiten und in der Folge Behinderungen, eine fortschreitende Lähmung seiner rechten Hand, eine Gehbehinderung sowie mehrere Herzinfarkte.



Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2, op. 126 (1966)

Orchesterbesetzung: Solo-Violoncello, 2 Flöten (1 auch Piccolo), 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott – 2 Hörner – Pauken, 3 Schlagzeuger, 2 Harfen – Streicher (14/12/10/8/6)
Sätze: 1. Largo, 2. Allegretto, 3. Allegretto
Spieldauer: ca. 34 Min.
Widmung: Mstislav Leopol'dovič Rostropovič
Uraufführung: 25.09.1966, Moskau, Philharmonie, Mstislav Rostropovič, Vc., Evgeni Svetlanov, Ltg.

Seit Stalins Tod 1953 hatte sich die politische Lage etwas gebessert. Dafür haderte der Komponist nun mit seiner Gesundheit. Anfang des Jahres 1966 erlitt er einen Schlaganfall, von dem er sich in einem Sanatorium auf der Halbinsel Krim erholte. Dort vollendete er auch sein zweites Cellokonzert, dessen Uraufführung für die Feier zu seinem 60. Geburtstag angesetzt war. Den Solopart übernahm – wie beim Vorgängerwerk – Mstislaw Rostropovič, der einst Komposition bei Šostakovič studiert hatte, bevor er sich ganz dem Cello verschrieb. Er ahnte sicher, dass dies kein gut gelauntes Galastück werden würde. So erklang zur mutmaßlichen überraschung der Parteikader ein etwa halbstündiges Werk, das mit seiner Aura von Resignation, Trauer und Abschied typisch für Šostakovičs Spätstil ist.
 Das eigenartige Werk wird mit einem Largo des Soloinstruments in freier Atonalität in der Tiefe angestimmt. Das Cello wirkt wie ein Winterwanderer, der durch die Ruinen eines Lebens schreitet. Die Orchestercelli, dann die übrigen Streicher gesellen sich dazu, ein breites Singen führt in eine aparte Kadenz mit der Trommel. Es erklingen Motivfetzen, die an frühere Werke des Komponisten erinnern, ohne direkte Zitate zu sein. Das Perkussive ist immer dominant.
 Den zweiten Satz eröffnet wieder das Solo-Cello mit einem Paukenthema; dessen Tonrepetitionen münden in einen Gassenhauer mit burlesken Schleifern, der auf dem Volkslied Bubliki (= Kauft Kringel, warme Kringel) aus Odessa beruht, das Šostakovič angeblich „zufällig“ in die Partitur geraten ist. Tatsächlich hatte er es bereits 1928 in seiner ersten erhaltenen Oper Nos (Die Nase) verwendet.
 Markige Horn-Fanfaren mit Trommelwirbeln kündigen den nahtlosen übergang ins Finale an. In der Folge scheinen sie das Solocello immer wieder zu heroischen Tönen anstacheln zu wollen, doch dies zieht sich zusammen mit der Flöte in eine verträumte Parallelwelt zurück. Noch einmal erklingt das Bubliki-Thema, nun grotesk übersteigert. Der erste Satz wird noch einmal herauf gerufen, noch einmal gibt es eine spritzige Kadenz mit der Trommel, dann wird die Musik zu einem gellenden Höhepunkt getrieben und stürzt klagend ab. Die Themen des Satzes erschienen erneut – diesmal beruhigt. Am Ende bleibt das Hämmern von Holzblock, Tomtom und Trommel, das Klöppeln des Xylophons und das Zupfen des Violoncellos, das dieses überaus farbige Konzert beendet.


Pablo Heras-Casado

Leitung: Pablo Heras-Casado

Er ist ein spanischer Dirigent. Er studierte an der Universität Granada Kunstgeschichte und Schauspiel und anschließend an der Universidad de Alcalá Dirigieren. Meisterkurse führten ihn unter anderem zu Christopher Hogwood. Während seines Studiums gründete er das Ensemble Capella Exaudi und die experimentelle Gruppe Sonóora. Er dirigierte namhafte Orchester in aller Welt. Regelmäßig ist er auch für das Ensemble Intercontemporain (Paris) und das Klangforum Wien tätig. Seit 2011 ist er Erster Dirigent des Orchestra of St. Luke's in New York City.

Sol Gabetta

Violoncello: Sol Gabetta

Sie ist eine argentinische Cellistin. Als Zehnjährige gewann sie ihren ersten Wettbewerb in Argentinien. Sie studierte in Madrid, Basel und Berlin, zuletzt bei David Geringas. Seitdem konzertierte sie mit zahlreichen Orchestern und erhielt diverse Auszeichnungen, unter anderem einen 3. Preis beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD 1998 in München und mehrfach den ECHO Klassik. Seit Oktober 2005 unterrichtet sie als Assistentin von Ivan Monighetti an der Musik-Akademie in Basel. Sie ist außerdem Initiatorin des Kammermusikfestivals SOLsberg im schweizerischen Olsberg.
Sol Gabetta spielt auf einem Violoncello von Matteo Goffriller von 1730.