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Ein junger Geist voller Gesten, Gedanken und Klänge
Dr. Gertrud Meyer-Denkmann gestorben
Sie war wach, neugierig und ungeduldig; sie war hartnäckig und querköpfig; sie ging den Dingen auf den Grund und konnte Fachidiotentum und Schmalspurdenken nicht leiden; sie war überaus vielseitig interessiert und überzeugt, dass tieferes Verstehen nur in der Wechselwirkung zwischen praktischer Auseinandersetzung und Reflektion, zwischen Tun und Denken errungen werden könne.
Meine ersten Begegnungen mit Gertrud Meyer-Denkmann (der „GMD“ - wie sie sich gerne nennen ließ) gehen auf die zweite Hälfte der sechziger Jahre zurück, als sie in Oldenburg in der „Brücke der Nationen“ im Rahmen einer Konzertreihe als Klaviersolistin neue Musik vorstellte. Ich war damals dreizehn oder vierzehn Jahre alt und erinnere sehr genau eine Aufführung von Cages Water Music, die mich so erstaunte, dass ich mir keines ihrer Folgekonzerte mehr entgehen ließ. Als ich 1987 an die Universität kam, war sie daher meine erste Anlaufadresse. Daraus entwickelte sich eine langjährige Zusammenarbeit, aus der ihre letzten fünf Bücher hervorgegangen sind.
Gertrud Meyer-Denkmann wurde 1918 in Oldenburg geboren. Nach Klavier- und Orgelstudium, Musikpädagogik- und Organisten-Examen unterrichtete sie seit 1943 in Oldenburg. Schon bevor sie 1957 zum ersten Mal nach Darmstadt kam, suchte sie nach neuen Wegen im Musikunterricht. Mit Kindergruppen experimentierte sie improvisierend mit der Verbindung von klanglichem, körperlichem und sprachlichem Ausdruck. Im strukturellen Denken der bildenden Kunst, besonders bei den Theorie und Praxis verbindenden Arbeiten von Reinhard Pfennig, fand sie hierfür Anregungen.
Die Entdeckung der Musik von Webern, Stockhausen, Boulez, Nono, später Cage und Schnebel in Darmstadt erschloss ihr eine neue Welt, die sie brennend interessierte. Bei den Pianisten Steuermann und David Tudor erhielt sie speziellen Unterricht in neuer und experimenteller Musik. Alsbald konzertierte sie solistisch und mit Ensembles von Stockhausen, Kagel, Cage und anderen.
Diese Erfahrungen band sie in ihre pädagogische Tätigkeit ein: Mit ihrem ersten Buch „Klangexperimente und Gestaltungsversuche im Kindesalter“ entwickelte sie eine neue Musikpädagogik, die musikalische Strukturen mit Bewegungs- und Ausdrucksgesten verband. Auf diese Weise konnten Kinder die Strukturen neuer Musik erimprovisieren. Mit dem Buch „Struktur und Praxis neuer Musik im Unterricht“ baute sie ihre Methode aus, vertiefte die Einsichten und Analysen und schuf damit ein breites Kompendium experimenteller und improvisatorischer Verfahren.
Neben der aktiven Teilnahme am Konzertleben, der Produktion von Schallplatten, Rundfunk- und Fernsehsendungen, Berichten und Rezensionen begann ihre Lehrtätigkeit zunächst an den Musikhochschulen in Köln, Düsseldorf und Bremen, später an den Universitäten Oldenburg und Bremen. Daneben gab sie Kurse in vielen europäischen Ländern, in den USA und Indien. 1988 zeichnete die Universität Oldenburg sie mit der Ehrendoktorwürde aus. Dort hatte sie bis 2004 einen Lehrauftrag - da war sie sechsundachtzig Jahre alt, und war noch stets über neue Entwicklungen auf dem Laufenden.
Ich blieb auch über mein Studium hinaus mit ihr in engem Kontakt. 1996 berichtete sie mir von einem neuen Buchprojekt - einem Klavierbuch, in dem sie ihre Arbeits-, Spiel- und Denkmethoden nun speziell für das Lernen am Klavier ausarbeiten wollte. Eine ganze Menge Material war schon vorhanden und sie bat mich, einzelne Übungen in meinem Klavierunterricht auszuprobieren. Wir diskutierten Aufgabenstellungen, Formulierungen, Klaviertechniken und ästhetische Zusammenhänge. Im Laufe dieser Arbeit fragte sie mich, ob ich ihr nicht beim Verfassen des Buches assistieren könne. Auf diese Weise entstanden in den nächsten zwölf Jahren vier weitere Bücher, darunter das wichtige Gestenbuch „Mehr als nur Töne“, ihre Autobiographie und das Buch über Sprache.
In diese Zeit fiel auch ein Projekt, das ihr immer wieder Kopfzerbrechen bereitete. Sie hatte begonnen, Universitätskollegen verschiedenster Fachbereiche zu einem monatlichen Jour-fixe-Gespräch einzuladen. Ihr Ansinnen war es, die Disziplinen miteinander in Kontakt zu bringen, Unterschiede der Sprache, des Denkens, der logischen Strukturen und philosophischen Ansätze aufzufinden und Verständigungsmöglichkeiten anhand ästhetisch geprägter Themen zu suchen.
Zeit ihres Lebens hat Gertrud Meyer-Denkmann die Welt bereist, ist aber immer wieder in ihr Oldenburger Haus am Uhlhornsweg mit dem riesigen Gartenparadies zurückgekehrt. Dort ist sie am 19. Dezember 2014 im Alter von sechsundneunzig Jahren gestorben.
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Buchveröffentlichungen:
Klangexperimente und Gestaltungsversuche im Kindesalter. Neue Wege einer musikalischen Grundausbildung. Wien: Universal Edition, 1970 (auch auf Englisch und Griechisch)
Struktur und Praxis neuer Musik im Unterricht. Experiment und Methode. Wien: Universal Edition, 1972
Schulsozialarbeit mit Musik und anderen Medien. Lilienthal bei Bremen: Eres, 1979
Kassettenrekorderspiele und Tonbandproduktionen. Modelle und Projekte für den Unterricht. Regensburg: Bosse, 1984
Körper – Gesten – Klänge. Improvisation, Interpretation und Komposition neuer Musik am Klavier. Saarbrücken: Pfau, 1998
Mehr als nur Töne. Aspekte des Gestischen in neuer Musik und im Musiktheater. Saarbrücken: Pfau, 2003
Grenzübergänge zwischen Musik, Kunst und den Medien heute. Oldenburg: Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg, 2005
Zeitschnitte meines Lebens mit neuer Musik und Musikpädagogik 1950-2005. Hofheim: Wolke, 2007
Sprache sprechen - spielen - lernen. Eine kommunikative Sprachförderung. Oldenburg: BIS, 2009
Abgedruckt in Musiktexte 144, Februar 2015, S. 117
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