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Sieben kleine Sätze
für Geige, Cello und Klavier

ca. 19 Min.
komponiert und Uraufführung 2001
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→ Video mit Partitur, Aufnahme 2011 Dresden, elole-Klaviertrio.

Einführung


Ein Vergnügen ist es, für so wunderbare Musiker zu komponieren, wie ich es hier konnte.
Eine Reihe von Ereignissen dieser Komposition wurzeln in gemeinsamen Erlebnissen, kleinen Randbemerkungen und Gesprächen über Musik mit diesen Musikern. Da gab es z.B. ein Gespräch mit Matthias Lorenz über Joseph Haydn und seine Methode, mit Hörererwartungen umzugehen, sie zu wecken und sie dann ganz anders als erwartet einzulösen, und mit der Frage, ob diese Denkweise auch heute möglich sei. Wir konnten uns darüber nicht ganz einigen. Meine Überlegungen landeten sehr schnell bei Fluxus.

Nun finde ich es oft ziemlich lächerlich, wenn Gegenwartskomponisten sich 40 Jahre alte Methoden aneignen, von Grenzüberschreitung reden, und im übrigen so tun, als hätten sie etwas völlig Neues erfunden. Die Verwendung von theatralischen, performativen oder szenischen Elementen innerhalb von Musik ist nicht erst heutzutage keine Grenzüberschreitung mehr, sondern ein ehrwürdiges Erbe. Wenn man allerdings die gegenwärtige Renaissance der Konzertrituale betrachtet, ist zu konstatieren, dass dieses Erbe weithin ignoriert wird - und leider kommen die Ignoranten meistens unbeschadet davon.

Für mich ging es hier also um eine Verknüpfung zweier historischer Positionen (nicht ohne Platz für meine eigenen zu lassen!), und die Frage entsteht, ob die Verbindung dann über beide hinausreichen kann. Über Haydn vielleicht, indem das Fragen nach den Erwartungen sich nicht allein auf das Immanente des Stückes richtet, sondern den ganzen Bezugsrahmen „Konzert“, „Aufführung“, „Interpretation“, „Komposition“ einbezieht und schließlich hinterfragt. Über Fluxus, indem die Aktion in einen widerspruchsvollen, aber seriösen Rahmen gestellt ist, der ihr das Plakative und eine gewisse Verweigerungshaltung austreibt, ohne ihr die Spitze der Provokation und der Selbstironie zu nehmen.

Der konstruktive Rahmen der Sieben kleinen Sätze selbst ist relativ einfach: Jedes Instrument hat eine eigene Reihe, die durch verschiedene Permutationen mehrfach durchlaufen wird. (Es widerspricht zwar dem Prinzip der Ökonomie des Materials, aber die Differenz des Materials erzeugt einfach schöne Gegen- und Gleichläufigkeiten, wie es mit nur einer einzigen Reihe nicht möglich wäre.) Die einzelnen Sätze unterscheiden sich nun in Hinsicht auf die Größe ihrer Tongruppen (ein primitives, und deshalb sehr deutliches Merkmal), in Hinsicht auf ihre Klangerzeugung und ihre Musizierorganisation. So besteht der erste Satz ausschließlich aus Gruppen von fünf Tönen, es wird ausschließlich auf die Holzteile der Instrumente geklopft und der Satz wird gemeinsam begonnen und dann im jeweils eigenen Tempo unabhängig voneinander gespielt. Im vierten Satz sind es Tongruppen von drei Klängen, hier sind Serien von sehr schnellen akzentuierten Akkord- bzw. Doppelgriffwiederholungen, es gibt ein gemeinsames Tempo und ein schnelles gleichmäßiges Metrum. Im 3. Satz gibt es Einer-Gruppen und damit eigentlich keine Gruppierung. usw. Im 5. Satz gibt es eine Skala von Tempi, die von allen drei Stimmen benutzt werden, mit Anschlüssen an die anderen Stimmen.

Zwischen diesen Sätzen stehen jeweils kleine Aktionen. Nach dem 1. Satz geht der Cellist einmal um sein Cello herum, am Ende des 2. Satzes, noch während die Geige spielt, wendet sich der Pianist an den Cellisten mit den Worten: „Was wär' D. Lös ohne Belang!”. Und am Ende des sechsten Satzes schließlich sucht der Geiger eine Person aus dem Publikum, die für ihn den siebten Satz spielt.

Diese Auflistung von Unterschieden macht schon deutlich: Ich habe hier eine weite Palette heterogenen Materials gesucht. Das „Eigentliche” findet - wie immer - in den Beziehungen dieser heterogenen Positionen statt. Und dieses muss - auch hier wie immer - jeder für sich selbst finden.

Ein Schlüssel findet sich sicher auch in dem Text des 5. Satzes, der nur den Musikern als ganzes verständlich werden kann: Es ist ein kleiner Ausschnitt aus einem Essay von Massimo Cacciari: Chronos apokalypseos - Zeit der Apokalypse.


Text


Aber - wird nicht genau dies unsere Chiffre sein: die Apokalypse des Vergänglichen wieder in einer Sprache, einem Wort zu versuchen, das nicht jenes lebende ist, das nicht jenes prophetische sein kann? Als ob sich das Ich, das sich im Werk zeigt, durch geheime Machenschaften seiner Sprache, dank Erinnerungen, die noch erblühen müssen, tatsächlich ins Wir verklären, verwandeln könnte? Als ob dieses Ich, aufgrund seiner gegenwärtigen Einsamkeit, den Blitz, der das Aber bindet, zu dem wir fähig sind, dem Wir verspräche, zu dem wir noch nicht fähig sind? Wird es nicht genau dies sein, was wir müssen: das Aber nachhallen lassen, als ob das Wir nicht ‚niemals mehr’, aber ‚noch nicht’ wäre?

→ Massimo Cacciari: Chronos apokalypseos - Zeit der Apokalypse. in: ders.: Zeit ohne Kronos, Ritter Klagenfurt 1986, S. 37f.

Aufführungen


Uraufführung:
18. Oktober 2001: Kulturrathaus, Dresden; → elole-Klaviertrio: → Uta-Maria Lempert - Vl, → Matthias Lorenz - Vc und → Stefan Eder - Klav

weitere Aufführungen:
20. Oktober 2001 Groß-Gerungs, Österreich
19. April 2002 Odessa Festival
14. Juni 2002 Coswig
14. September 2002 Eisgarn, Österreich
20. Januar 2003 Zürich, Helferei
7. Juli 2004 Dresden, Albert-Hall
28. Oktober 2004 Dresden, Leonhardi-Museum
5. Oktober 2011 Dresden, Festspielhaus Hellerau
9. Oktober 2011 Chemnitz, Neue Sächsische Galerie
26. April 2012 Oldenburg, Altes Gymnasium

Kritik


Dresdner Neuste Nachrichten am 22. Okt. 2001, zum Konzert am 18. Okt.

Von bieder bis brachial
Klaviertrio-Abend mit Neuer Musik im Kulturrathaus
von → Benjamin Schweitzer

Wenn der Cellist Matthias Lorenz zum Konzert antritt, dann darf man im allgemeinen mit interessanten Entdeckungen rechnen. Für das jüngste Projekt hatten Lorenz, die Geigerin Uta-Maria Lempert und der Pianist Stefan Eder ein Programm um die Klaviertrio-Besetzung zusammengestellt. (...)
Die zweite Uraufführung des Abends, „Sieben kleine Sätze” von Friedemann Schmidt-Mechau, konnte sich daneben1) allerdings gut behaupten.
Ein raffiniertes, subversives, präzises Stück, in das stumme Gesten - wie ein zärtliches Drehen der Geige oder ein kurzer Rundlauf ums Cello - ebenso integriert sind wie bezaubernde Klopf-Passagen auf dem Instrumentenkorpus und dem Deckel des Flügels. Das alles erschien nicht als billiger, gesuchter Effekt, sondern passte sich wie selbstverständlich ein; den Interpreten machte dies sichtlich Freude (...) Von tiefer (Selbst-) Ironie schließlich die Anweisung, den letzten Abschnitt des Stückes spontan durch ein Mitglied des Publikums spielen zu lassen...
Immerhin also ein feinsinniger Abschluss eines riskant konzipierten Kammermusikabends.


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1) Gemeint ist hier Bernd-Alois Zimmermanns Duo „Intercomunicazione” für Violoncello und Klavier, das in dem Konzert vor den „Sieben kleinen Sätzen” gespielt wurde.