möglicher Zugriff
Musik für Schlagzeug-Ensemble a 3-6 Spieler
mit einem Text von → Ernst Jandl

bei 3 Spielern ca. 7 Min. 20 Sec., bei 6 Spielern ca. 8 Min. 20 Sec.
komponiert 2010
→ Download pdf 135 kB

Einführung


Wie der Text von Ernst Jandl „Die Kugel“ ganz nüchtern als Beschreibung eines physikalischen Vorgangs, aber auch in übertragenem Sinn auf emotionale, mentale oder soziale Weise verstanden werden kann, so auch die Musik, die um diesen Text herumgelegt ist. Sie wendet insgesamt elf Ausführungen der elementaren Form des Kanons zur Verdichtung rhythmischer Strukturen, zur Verknüpfung klanglicher Gegensätze und zur Bildung einer formalen Gestalt an. Dazu gehört ein Kanon mit irregulären Einsätzen (ungleiche Abstände), also mit multiplem Kontrapunkt (A), ein Diminutions-Kanon (B), ebenso wie ein Umkehrungs- und Krebskanon (C), Kanon D ist ganz einfach und regulär. Die Kanons werden zwei- (C und D) oder dreimal (A und B) wiederholt, und dabei jeweils mit anderer Klanglichkeit und z.Tl. auch mit einem anderen Tempo gespielt.
In der Mitte steht der rhythmisiert und abwechselnd gesprochene Jandl-Text mit instrumentaler Begleitung.
Dass die Kanon-Technik sowohl für die Musiker eine Erleichterung darstellt - man kann die Folgen unisono üben, man kann dem Vorgänger nachspielen, die Folge kurzer Abschnitte gibt die Möglichkeit zur Orientierung und u.U. zur Korrektur - als auch dem Hörer ein einfach zu durchschauendes Gerüst gibt, ist natürlich nicht unbeabsichtigt.
Daneben sind eine Reihe weiterer Auffassungen („Zugriffe“) möglich, die konstruktiv angelegt sind. So kann die Wahrnehmung der Aufeinanderfolge der verschiedenen Klangwelten der einzelnen Abschnitte in den Mittelpunkt rücken.
Ebenso möglich ist, die Wechsel zwischen den einzelnen Kanons, die durch die auslaufende und wieder nacheinander einsetzende Struktur der Kanons jeweils ein Wechsel in der Reduktion, der Verdünnung, der Stille darstellt, in den Fokus der Betrachtung zu stellen.
Schließlich ergibt die unterschiedliche Technik der Kanons eine Abfolge unterschiedlicher Komplexitäten, die als eigene Entwicklung des Stückes betrachtet werden kann.
Damit rücken die Möglichkeiten der Auffassung des Stückes selbst in den Mittelpunkt des Interesses und die Hör- (und Spiel-) tätigkeit richtet sich auf sich selbst als möglicher Erkenntnisprozess.


Texte


die kugel

die kugel rollt
wenn sie angestoßen wird
oder auf eine schiefe bahn gerät

die kugel rollt langsamer
wenn der stoß an kraft verliert
oder die bahn flacher wird

die kugel kommt zum stillstand
wenn die kraft des stoßes erlischt
oder die bahn ganz flach geworden ist
oder wenn ein rand die kugel aufhält
oder eine Hand sie aufhebt


Ernst Jandl

Das Gedicht wurde dem Band „Peter und die Kuh“, Luchterhand München 1996 entnommen.