Von der Vertrautheit des Zweifels
Musik für acht Stimmen
mit einem Text von → Robert Musil

ca. 5 Min. 10 Sek.
komponiert 2024
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Einführung


Für die Komposition Von der Vertrautheit des Zweifels wurde ein Text von Robert Musil (1880-1942) aus dem nachgelassenen Anhang zu „Der Mann ohne Eigenschaften“ gewählt. In dem Abschnitt diskutieren die Geschwister Ulrich und Agathe die Frage, ob und wie genau Farben, Formen, Erscheinungen und Gefühle mit Begriffen und Worten beschrieben und benannt werden können. Agathe glaubt, dass sich Worte immer nur ahnungsweise den Phänomenen annähern können und niemals genau treffen werden. Sie sagt:

Ich rate dir, sieh einmal einen Spiegel in der Nacht an: er ist dunkel, er ist schwarz, du siehst beinahe überhaupt nichts; und doch ist dieses Nichts ganz deutlich etwas anderes als das Nichts der übrigen Finsternis. Du ahnst das Glas, die Verdoppelung der Tiefe, irgendeine noch zurückgebliebene Fähigkeit zu schimmern – und doch gewahrst du gar nichts!

In meiner Interpretation steht der Spiegel hier als Metapher für die Übersetzung oder Übertragung in die Sprache der Worte, die Nacht für die Unkenntnis, die Verdoppelung der Tiefe und das Schimmern für das Ahnen der Phänomene. Agathe bestreitet also nicht, dass es eine Verbindung zwischen der Sprache der Worte und den Phänomenen gibt, sie zweifelt aber an Möglichkeiten von Deckungsgleichheit.
Dieser Haltung folgend überträgt die Komposition die sprachlichen Metaphern in musikalische. Der Text ist in kleine Abschnitte eingeteilt, die jeweils eigene Bewegungsformen, kontrapunktische Strukturen und Besetzungskombinationen aufweisen. In drei Stufen wird das Tempo jeweils im Verhältnis 4:3 gesteigert, der letzte Abschnitt springt zurück in das Anfangstempo. Ein einzelner Akkord – ein Molldreiklang mit großer Septim – und seine Umkehrung bildet eine Verbindung über alle kleinen Abschnitte. Der Anfangsteil wird gespiegelt wiederholt, dabei rhythmisch etwas verkürzt. Die beiden „und doch“ stellen im unisono Brüche dar, mit denen inhaltlich und musikalisch andere Richtungen eingeschlagen werden. Die beiden Textstellen, die die Wahrnehmung infrage stellen („du siehst beinahe überhaupt nichts“ und „und doch gewahrst du gar nichts“), von denen die erste zweimal komponiert ist, werden auf jeweils grundsätzlich andere Weise aufgefasst. Verbindend ist hier die gleichzeitige Verwendung von geflüsterter, bzw. gesprochener Sprache mit Gesang.